Ján Kalman Stefánsson liest in Saarbrücken Wohin, wenn es keinen Weg aus der Welt gibt?

Saarbrücken · Der isländische Autor Ján Kalman Stefánsson liest an diesem Mittwoch im Saarbrücker Kino Achteinhalb.

 Ján Kalman Stefánsson.

Ján Kalman Stefánsson.

Foto: Einar Falur Ingólfsson

Was treibt einen jungen Menschen in den Selbstmord? Gleich zu Anfang seines jüngsten Romans wirft der isländische Autor Jón Kalman Stefánsson diese Frage auf. Ásta landet nach einem „missglückten Selbstmordversuch“ in einer Wiener Psychiatrie. „Missglückt?“ Der Erzähler fragt sich, ob es gerechtfertigt sei, das so zu formulieren: „Als sei es etwas Negatives, ein vernichtendes Urteil und der Mensch gescheitert, der es nicht geschafft hat, sich das Leben zu nehmen?“. Die Antwort folgt wenig später: „Warum nicht aus dem Leben scheiden, wenn alles vorbei ist und alle oder jedenfalls die meisten, die einem etwas bedeuten, tot sind?“ Denn Ásta muss bereits in jungen Jahren gravierende Verluste verkraften: Kaum geboren, verlässt ihre Mutter Helga die Familie, um von bürgerlichen Fesseln befreit fortan als obdachlose Seherin durch Rejkjavik zu irrlichten. Nachdem ihre Schwester gestorben ist, siedelt sie mit dem Vater Sigvaldi nach Norwegen über, wo sie bei einer liebevollen, aber sehr eigensinnigen Ziehmutter aufwächst, was sie zum Gespött ihrer Mitschüler macht. Dennoch hält sie am Leben und der Liebe fest: „Lass von meinem Namen den letzten Buchstaben weg, und es bleibt … Ást, das heißt Liebe. Ástfanginn, verliebt. In Liebe gefangen. Ein Gefangener der Liebe.“

Auch in seinem elften ins Deutsche übersetzten Roman begeistert Stefánsson mit seinem eindringlichen poetischen Sprachstil, von dem Buchhändler Ludwig Hofstätter bereits bei der Lektüre von „Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit“ begeistert war. Dass er Stefánsson nach Saarbrücken holen konnte (deutscher Teil der Lesung: Gunter Cremer), freut ihn außerordentlich. Hierzulande ist Stefánsson mit seinen Romanen „Der Sommer hinter dem Hügel“ und „Das Licht auf den Bergen“ bekannt geworden. Wegen der komplexen Anlage des aktuellen Romans mit stetigen Zeiten- und Perspektivenwechseln fällt die Orientierung zwar nicht leicht – aber dafür entwickelt das Geschilderte einen Bewusstseinssog, dem man sich nur schwer entziehen möchte.

Diese fragmentierte Erzählweise resultiert aus der unzuverlässige Erinnerung der (vermutlich drei) Erzählinstanzen des Romans: „Sobald sich die erste Erinnerung in unserem Gedächtnis eingewurzelt hat, hören wir auf, chronologisch zu empfinden und zu denken, und von da an leben wir ebenso sehr in dem, was vergangen ist, wie in dem, was gerade vergeht.“

Ástas unbeugsames Leben verläuft mit seinen Aufbrüchen und Fehltritten keineswegs stringent, was gewisse Parallelen zu Stefánsson aufzeigt, der sich vor seinem Durchbruch als Schriftsteller mit verschiedensten Jobs durchschlug – unter anderem als Maurer und Polizist.

Jón Kalman Stefánsson: Ástas Geschichte. Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Piper, 464 S., 24,70 €.
Lesung:  Mittwoch, 27. November, 19 Uhr, Kino Achteinhalb.

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