Saarbrücker Theaterpremiere Ermüdender Pakt mit dem Teufel
Saarbrücken · Die Premiere von Jakob Noltes „Die Glücklichen und die Traurigen“ am vergangenen Freitag in Saarbrückens Sparte4 führte auf absurdes Parkett. Wobei die Fragen dahinter durchaus ernst sind. Unter Thorsten Köhlers Regie driftet das Stück allerdings häufig ins Gaghafte ab.
Eine reiche Frau kauft sich ein ganzes Städtchen. Die Ausgangssituation erinnert an Dürrenmatts „Der Besuch der Alten Dame“, wo eine Millionärin ihrem einstigen Heimatort Reichtum verspricht, wenn die Bürger ihr ihren früheren Liebhaber ausliefern – eine Parabel über die Korrumpierbarkeit des Menschen.
In dem Schauspiel „Die Glücklichen und die Traurigen“ von Jakob Nolte, das am Freitag in der Sparte4 uraufgeführt wurde, verhält sich die Sache anders, aber noch fataler: Hier haben die Einwohner nicht einmal eine Wahl, sie werden schlicht verraten und verhökert. Denn als der drohende Bankrott eines Autokonzerns die Existenz von ganz Niedersachsen bedroht, kommt das Angebot einer anonymen Investorin gerade recht: Sie kauft dem Bundesland eine komplette Kleinstadt ab, zum Preis von 32 Milliarden Euro plus Versandkosten. Und schwupps sticht ein riesiges Containerschiff in See – Ziel unbekannt, an Bord eine ganze Stadt samt Einwohnern und dubioser Crew.
Soweit die Vorgeschichte, live berichtet von einem Rotkäppchen mit Fliegenpilz-Hut (Anne Rieckhoff) vor einer projizierten Kulisse aus sonnendurchfluteter deutscher Waldromantik. Dazu läuft die Musik von Rimski-Korsakows „Scheherazade“ und unterstreicht: keine Panik, alles nur ein Märchen. Erst während ihrer Odyssee über die Weltmeere, die im Folgenden in episodenhafter Montagetechnik erzählt wird, dämmert den Passagieren, dass sie offenbar einem Pakt mit dem Teufel geopfert wurden. Doch wenn selbiger am Ende leutselig eine Dose Cola spendiert, soll das vermutlich nur noch mal bekräftigen: Hey Leute, war nicht so gemeint, alles nur ein großer Spaß. Wirklich?
Wir befinden uns auf dem Terrain des Absurden, so viel ist klar. Aber dahinter dräut die Frage, wie viel an diesem grotesk überspitzten Geschehen bereits real ist: globaler Ausverkauf, der Mensch als Ware, die Macht von Industriekonzernen und Lobbyisten über den Staat, die Skrupellosigkeit finanzieller Hasardeure und so fort. Das thematisiert Autor Nolte jedoch nicht in konventioneller Form, sondern mittels eines dialogischen Bandwurms, dessen einzelne Glieder keinen konkreten Personen zugeordnet sind.
Das wiederum lässt reichlich Raum für Spekulatives und Regisseur Thorsten Köhler freie Hand: Er verteilt den Text auf wenige Protagonisten, die mal vor, mal schemenhaft hinter durchlässiger Gaze-Leinwand agieren, wobei lediglich Ausschnitte dieses Hintergrundgeschehens per Video oder Live-Projektion (Bildregie, Kamera: Grigory Shklyar) groß nach vorne geholt werden. Da sind etwa die Füße von Toilettenbesuchern, die gegen den omnipräsenten Maschinenlärm anschreien. Oder die Hände des streitenden Paares im Bordrestaurant (Anne Rieckhoff, Fabian Gröver), aus dessen Verhandlungen mit dem Kellner (Tizian Steffen) Köhler die abstruse Komik eines Loriot-Sketches heraus kitzelt. So weit, so gut.
Doch der Reiz dieser Erzählweise erschöpft sich auf Dauer in plakativer Gaghaftigkeit; die oft redundanten und rätselhaften Dialoge, an denen sich das Ensemble bravourös abarbeitet, ermüden. Vieles bleibt unklar und soll es wohl auch. Beispielsweise, warum Gröver irgendwann als keimende Kartoffel (Bühne und Kostüme: Justus Saretz) herumläuft. Oder warum die kapriziöse Sandra, zu der sich der Kellner in unerwiderter Liebe verzehrt, von einem Mann (Jan Hutter) gespielt wird und sich als japanische Geisha schminkt. Dass sie als Werbeträgerin für eine bekannte Nuss-Nougat-Crème mit einer pathetischen Version von Pink Floyds „High Hopes“ eine heile Vergangenheit betrauert, die hier auch in einer Flut von Fotos mit urbanen Impressionen und historischen Aufnahmen gesellschaftlichen Lebens präsent ist, vermittelt sich da schon schlüssiger. Nicht nur kryptisch, sondern hochproblematisch an dem Stück ist jedoch etwas anderes: An Bord geht, so heißt es, eine Chinesin im Nikab um, hinter der die geheimnisvolle Investorin vermutet wird.
(Figuren-)Schauspieler Tizian Steffen führt sie in Gestalt einer gespensterhaften Puppe, die mit der Stimme des Leibhaftigen spricht und einen Mord begeht, den Köhler als unmissverständliche Reminiszenz an die berühmte Duschszene aus Hitchcocks „Psycho“ inszeniert. Nun war „der Chinese“ ja schon in Fontanes „Effi Briest“ für exotischen Grusel gut, hier darf er wohl als Verkörperung eines verheerenden Heuschrecken-Kapitalismus gedeutet werden. Welche Signalwirkung aber hat es, wenn sich dieses personifizierte Böse hinter einem Gesichtsschleier verbirgt, der traditionell mit der muslimischen Kultur verknüpft ist?
Nächste Vorstellungen am 18., 19. und 28. November sowie am 5. und 16 Dezember. Karten unter (06 81) 3 09 24 86