Interview mit Schriftstellerin Karen Köhler „Sie sind lustig“

Saarbrücken · Die Schriftstellerin, die heute im Filmhaus liest, über ihren Debütroman und Rundumbetreuung in einer Saarbrücker Buchhandlung.

 Die Schriftstellerin Karen Köhler.

Die Schriftstellerin Karen Köhler.

Foto: Christian Rothe

Mit ihrem 2014 vorgelegten Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ gelang Karen Köhler ein Einstand nach Maß. Die in St. Pauli lebende Autorin hat Schauspiel studiert – einige Zeit auch in Saarbrücken gearbeitet – und schreibt Drehbücher, Prosa und Theaterstücke. „Miroloi“ ist ihr erster Roman und erzählt von einer jungen Frau, die als Findelkind in einer abgeschirmten Gesellschaft aufwächst, in der Männer das Sagen haben. Wir haben mit Köhler (45) gesprochen, die an diesem Donnerstag im Saarbrücker Filmhaus liest.

Frau Köhler, Sie sind eine eifrige Schreiberin und bedienen zahlreiche Genres. Wie kamen Sie dazu, einen großen Roman zu schreiben?

KÖHLER Ob der Roman groß ist, weiß ich nicht, lang ist er jedenfalls geworden, zu meiner eigenen Überraschung. Eigentlich ist Miroloi das Ergebnis einer sehr umfangreichen Prokrastination (Aufschieben von Aufgaben, d. Red.). Ich wollte mit dem Buch eine Geschichte über Ausgrenzung erzählen, für mich hat das dann die Form und das Genre vorgegeben. Es geht in dem Roman darum, wie eine fiktive geschlossene Gesellschaft dem Fremden begegnet und wie ein Mensch zum Fremden gemacht wird. Männer wie Frauen sind dabei festgeschriebenen Rollenbildern unterworfen. In 128 Strophen wird das Leben einer Außenseiterin durchdekliniert. In meiner Phantasie war die Strophen-Struktur von Anfang an vorhanden. Wie lang der Text werden würde, habe ich erst nach etwa 150 Seiten abschätzen können, als ich das Gefühl hatte: Jetzt habe ich wohl ein Drittel der Geschichte geschrieben.

Warum nutzen Sie das Stilmittel der griechisch-orthodoxen Totenklage, also eines von Frauen zum Andenken an einen Toten gedichteten Totenliedes für Ihren ersten Roman?

KÖHLER Der Titel Miroloi kam tatsächlich erst, als ich schon 200 Seiten geschrieben hatte. Vorher hieß der Text „Der Gesang“, davor „Das Dorf“. Die Strophen – und dass es eine orale Übermittlung sein soll – war mir aber von Anfang an klar. Als ich in meiner Recherche auf den Begriff „Miroloi“ stieß, wusste ich, dass das Buch so heißen muss. Bei einem traditionellen Miroloi wird das gesamte Leben eines verstorbenen Menschen von den Klagefrauen noch einmal nachgesungen. Dabei ist der Text improvisiert. Meine Hauptfigur ist, wie gesagt, eine Außenseiterin, sie weiß, dass ihr nach ihrem Tod niemand ein Miroloi singen wird, also beginnt sie selbst damit, es zu singen. Es ist eine Bezeugung des eigenen Lebens: Seht her, hört her, es gibt mich, es hat mich gegeben, es wird mich gegeben haben.

Ihrem Debütroman stellen Sie als Motto „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“ von Hannah Arendt voran. Obwohl der Roman auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand und positiv rezensiert wurde, gab es auch Kritik. Wollte man an Ihnen ein Exempel statuieren? Hat der Rezensionsmarkt am vom Verlag „als Buch des Bücherherbstes“ apostrophierten Produkt zurückgeschlagen und auf seine ursprüngliche Kompetenz der unabhängigen Kritik verweisen wollen?

KÖHLER Ich frage mich gerade, wie Sie von dem meinem Roman vorangestellten Hannah Arendt-Zitat auf die Ebene der Literaturkritik kommen, bzw. den, wie Sie ihn nennen, „Rezensionsmarkt“... Ein Verlag hat die Aufgabe, Bücher zu verlegen. Die Bücher werden verlagsintern und von den Vertreterinnen und Vertretern gelesen. Danach wird auf der Vetreter*innen-Konferenz entschieden, welche Titel wie präsentiert werden. Den Begriff des sogenannten „Spitzentitels“ gibt es beim Hanser Verlag nicht, wohl aber unterschiedliche Erwartungen an die Langlebigkeit, den Verkauf und Ähnliches der einzelnen Bücher. Manche Titel werden über besonderes Marketing beworben, was bei Miroloi aber gar nicht der Fall war. Das lief alles, wie beispielsweise bei Fatma Aydemirs Debüt „Ellbogen“ auch. Dass das Buch von meinem Verlag „als Buch des Bücherherbstes“ bezeichnet wurde, ist mir neu. Das alles sind Prozesse, die mit meiner Arbeit eigentlich nichts zu tun haben und sich auch meinem Einfluss entziehen. Welche Spekulationen sich da um Positionierung eines Titels innerhalb des Programms usw. entspinnen, vermag ich nicht zu beurteilen. Auch nicht, ob es ein Exempel sein sollte, das da von ein paar Literaturkritikern versucht wurde zu statuieren. Wenn man ein Buch veröffentlicht, ist es ja immer der Kritik ausgesetzt, positiv wie negativ. Damit muss man rechnen und das muss man aushalten können. Ich kann das aushalten. Jeder und jede darf zu Miroloi sagen, was er oder sie möchte. Solange sich eine Kritik auf den Text bezieht und fundiert ist, kann ich im besten Fall eine neue Perspektive aufgezeigt bekommen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass sich die Debatte um Miroloi gar nicht so sehr auf den Text bezieht. Es freut mich aber, dass mein erster Roman für den deutschen Buchpreis nominiert wurde.

Auch in dem von Ihnen herausgegebenen und just erschienenen „Hanser Akzente“-Band mit dem Titel „Briefe an die Täter“ wird von den 16 Autorinnen eine dezidiert weibliche Perspektive eingenommen. Inwiefern hat sich das weibliche Reden über Schuld und Schuldige in den vergangenen Jahren verändert?

KÖHLER In der Literatur spiegelt sich ja auch nur das strukturelle Problem wider, dass Frauen nicht angemessen repräsentiert werden. Stellen Sie sich mal zuhause vor Ihr Bücherregal und ziehen alle Bücher von Frauen ein Stückchen heraus und zählen nach, wie viel Prozent das sind. Im Schnitt kommen Menschen, die ich dazu auffordere, auf 20 Prozent Bücher von Frauen in ihrem Regal. Die Süddeutsche Zeitung hat gerade einen Schuber herausgebracht „Soulmates“ mit zehn Werken der Weltliteratur. Raten Sie mal, wie viele Frauen in diesem Schuber vertreten sind: Null. Null von Zehn. Das ist eine beleidigende Quote, die das Narrativ nährt: Hohe Literatur wird eben von Männern geschrieben, sorry Ladies, hier ist leider die gläserne Decke. A propos gläserne Decke: Es gibt deutsche Börsenunternehmen, die in ihrem Vorstand eine null Prozent Frauenquote wollen, haben und halten... Für die „Akzente“ habe ich nun bewusst 15 Frauen gebeten zu schreiben, weil ich einen Raum bereitstellen wollte, in einer Landschaft, in der Frauen unterrepräsentiert sind. Ich habe das Thema vorgegeben, das zu meinem Vergnügen sehr unterschiedlich interpretiert wurde. Das Reden über Schuld und Schuldige hat sich insofern in den letzten Jahren verändert, dass es mehr im Kollektiv geschieht, dadurch das Strukturelle aufgezeigt und von der individuellen Erfahrung abgelöst wird.

Frau Köhler, hält die Phase Ihrer „Écriture féminine“, das Frau-Sprechen noch an? Lesen Sie aufgrund der offensichtlichen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten nur Literatur von Frauen?

KÖHLER Quatsch. Natürlich lese ich auch Literatur von Autoren. Die Hälfte der Menschheit besteht aus Männern, die zum Teil sehr, sehr gute Literatur schreiben. Ich kaufe allerdings seit mittlerweile drei Jahren fast ausschließlich Bücher von Autorinnen. Das ist ein großer Unterscheid. Mit dieser Kaufentscheidung möchte ich den Kolleginnen etwas zugute kommen lassen und auf meine – zugegebenermaßen bescheidene – Weise Frauen in der Literaturlandschaft unterstützen, indem ich bewusst mein Kapital in sie investiere. Ich habe in den letzten drei Jahren auch drei Ausnahmen gemacht und Bücher von Autoren gekauft, auf die ich sehr gespannt war und nicht warten wollte.

Gibt es ein weibliches Schreiben? Wenn ja, wie viele?

KÖHLER Haha. Ja. Gibt es. Sehr viele. Wenn eine Frau schreibt, zum Beispiel.

Bei Ihren beiden Büchern sticht die liebevolle Ausstattung ins Auge. Warum legen Sie darauf so viel Wert?

KÖHLER Der Verlag hatte mich beim ersten Buch gefragt, ob ich das Cover gestalten möchte. Ich illustriere ja nebenbei auch für andere Verlage, das haben die irgendwie mitbekommen. Ich habe dann Entwürfe gemacht und sie sind mitgegangen. Beim zweiten Buch haben sie mich wieder gefragt, aber ich hätte es zeitlich nicht allein geschafft. Also habe ich mit dem Art Director vom Hanser Verlag, Peter Hassiepen, sehr eng zusammengearbeitet: Die Motive sind alle von mir und er hat das Cover entworfen. Ich habe auch Leseband und Schrift im Innenteil mit ausgewählt. Ein gut gestaltetes Buch hebt das Leseerlebnis an. Es entsteht ein Mehrwert gegenüber dem Taschenbuch oder dem Ebook.

Was verbindet Sie abgesehen von etwaigen Lesungen mit Saarbrücken?

KÖHLER Ich habe ein paar Jahre am Staatstheater Saarbrücken als Schauspielerin gearbeitet. In dieser Zeit war ich oft in der Buchhandlung von Ludwig Hofstätter. Weil ich wenig Geld hatte, ließ Herr Hofstätter mich damals ein paar Bücher im Laden lesen, ich bekam sogar Kaffee dazu. Seitdem bin ich ihm sehr verbunden, dankbar, dass es Buchhändler und Buchhändlerinnen wie ihn gibt und folge seinen Einladungen nach Saarbrücken gerne. An die Stadt habe ich sehr positive Erinnerungen und immer noch Freunde und Freundinnen hier.

Erzählband, Roman – kommt jetzt ein Lyrikband?

KÖHLER Sie sind lustig. Keine Ahnung, was jetzt kommt, ich lasse mich überraschen.

 Miroloi

Miroloi

Foto: Hanser

Karen Köhler: Miroloi. Hanser, 464 Seiten, 24 Euro.
Lesung: Donnerstag, 28. November, 20 Uhr, Filmhaus Saarbrücken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort