"Hexenjagd" im Saarländischen Staatstheater Den Teufel an die Wand gemalt

Saarbrücken · Premieren-Wochenende im Saarländischen Staatstheater: Im Großen Haus ging Arthur Millers „Hexenjagd“ bildgewaltig über die Bühne, in der Sparte 4 war der zweite Teil der „Saarland-Trilogie“ zu sehen.

 In Salem bricht langsam Hysterie aus: Barbara Krzoska (l.) als Abigail Williams, die die Denunziationswelle ins Rollen bringt, rechts Laura Trapp als Tituba. Hinten wandeln Thorsten Köhler als Richter Danforth und junge Frauen des ensemble 4 als Salems Mädchen.

In Salem bricht langsam Hysterie aus: Barbara Krzoska (l.) als Abigail Williams, die die Denunziationswelle ins Rollen bringt, rechts Laura Trapp als Tituba. Hinten wandeln Thorsten Köhler als Richter Danforth und junge Frauen des ensemble 4 als Salems Mädchen.

Foto: Martin Kaufhold/martinkaufhold.de ;Martin Kaufhold

Nanu – eine neue, sehr saarländische Form des App­lauses? Am Ende fliegt ein Ringel Lyoner (immerhin eingeschweißt) auf die Bühne, vor die Gummistiefel von Schauspieler Ali Berber. Lange überlebt haben wird die Fleischwurst wohl nicht, war diese „Hexenjagd“ für das am Ende wohl hungrige Ensemble doch ein Kraftakt – drei Stunden lang und schweißtreibend.

„Hexenjagd“ ist Arthur Millers zweiter Bühnenklassiker, nach und hinter dem „Tod eines Handlungsreisenden“. Um gegen die hysterische Kommunistenhatz der 1950er unter dem Rechtsaußen-Senator Joseph McCarthy an zu schreiben, griff Miller 1953 einen historischen Fall von 1692 auf: In der US-Gemeinde Salem werden junge Frauen beim nächtlichen Tanzen im Wald ertappt – gottloses Verhalten in den Augen der Puritaner. Die Mädchen retten sich mit einer höchst effektive Lüge: Man habe sie verhext, sagen sie, und nennen auch Namen jener, die scheinbar mit dem Teufel paktieren.

Der Ort reagiert prompt. In einer hysterischen Aufwallung der Denunziation werden Hunderte Personen verhaftet, 19 Menschen gehängt. Für Miller eine Paralelle zum Amerika der 1950er Jahre, in dem schon erklärte Sympathien mit kommunistischen Ideen Karrieren vernichteten. Und heute sagt uns dieser „Fall Salem“, dass es das Post-Faktische, die Überlegenheit herausposaunter Meinung gegenüber Tatsachen auch schon im 17. Jahrhundert gegeben hat; lange bevor Weltpolitik mittels Twitter und „alternativer Fakten“ gemacht wurde.

      Szenen einer Ehe: Ali Berber und Verena Bukal als die Proctors.

Szenen einer Ehe: Ali Berber und Verena Bukal als die Proctors.

Foto: Martin Kaufhold/martinkaufhold.de ;Martin Kaufhold

Was macht nun Regisseur Christoph Mehler aus diesem Stoff? Dankenswerterweise keine krampfige Modernisierung mit Verweisen etwa auf denunzierende Facebook-Shit­storms. Sondern eine spannungsreiche, bildstarke Inszenierung, die ebenso die letztlich simplen Mechanismen der Denunziation beleuchtet wie die Psychologie ihrer Figuren – gespielt von einem großartigen Ensemble. Schon die gedehnte, genussvoll ausgespiele Eingangszene lässt uns die Enge des Puritanismus spüren: Der Ortsgeistliche (Gregor Trakis) zieht mit sakralem Ernst seine Kreise um die Mädchen des Orts, die mit knappen „Kopf gerade“-Kommandos die richtige Haltung lernen sollen. Wer kann es den Mädchen verdenken, dass sie die geistige Käseglocke des Orts verlassen, um nachts im Wald zu tanzen, bei einer blutrot ausgeleuchteten Techno-Eruption? (Musik von David Rimsky-Korsakow.)

Arthur Millers „Hexenjagd“ in Saarbrücken
32 Bilder

Arthur Millers „Hexenjagd“ in Saarbrücken

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Mit dabei ist Abigail Williams (Barbara Krzoska), das ehemalige Dienstmädchen des Landwirts John Proctor (Ali Berber), der mit ihr seine Frau betrogen hat – das zeigt die Inszenierung parallel zum nächtlichen Tanz und ist dabei mehr Henry Miller als Arthur Miller. Doch mittlerweile weist Proctor sie zurück und versucht die angeschlagene Ehe mit seiner Frau Elizabeth (Verena Bukal, mal fragil, mal resolut und eisern) zu retten. Das wären schon Probleme genug – doch als die Mädchen mit ihren Beschuldigungen erfolgreich sind und sie ihre ungeheure Macht entdecken, ist in Salem nichts mehr, wie es war (oder zu sein vorgab).

Miller mag das Stück im Furor angesichts der Verhältnisse geschrieben haben, zeichnet seine Figuren aber differenziert, was die Mimen in Saarbrücken wunderbar ausspielen. Barbara Krzoska macht die Figur  der Abigail nachvollziehbar, ihr Leiden an einer Gemeinde, die sie für „befleckt“ hält. Krzoskas Szenen mit dem mehrmals herausgeschrieenen „Mein Name ist rein in der Stadt“ ist herzergreifend – ebenso wie die Darstellung  von Anne Rieckhof als Mary Warren, die Magd der Proctors; eine gute Seele eigentlich, aber  intellektuell schnell überfordert und verführt von der unerwarteten Macht.

Gespielt wird diese Mädchentruppe von Laienmimen des „ensemble 4“ des Staatstheaters, die hier Großes leisten – vom individuellen Ausrasten und Singen im Chor bis hin zur kollektiven Wut, in der sie gemeinsam den gleichen Text herausbrüllen; vom minutenlangen Synchron-Schrubben mit Bürsten bis hin einer schier endlos ausgespielten Szene: Sie deklamieren das Glaubensbekenntnis, während sie mit Springseilen hüpfen. Minutenlang, während der Text immer mechanischer und bedeutungsloser wird und niemand mehr kann – eine schöne Kritik an leeren Religionsritualen, die in Salem blühen. Schließlich habe der Reverend drei Jahre hart gearbeitet, „um diese starrköpfigen Menschen zu beugen“, sagt er zu Beginn. Am Ende wird er 72 Todesurteile unterschrieben haben. Kirchenbesuche werden penibel vermerkt: John Proctor etwa muss sich dafür rechtfertigen, dass er „in 17 Monaten nur 26 Mal“ zur Kirche gegangen ist. (Für heutige Zeiten eigentlich kein schlechter Schnitt).

Diese Geschichte um Glauben und Aberglauben, Hysterie und Manipulation kleidet Jennifer Hörr in ein Bühnenbild, das gleichzeitig schlicht wie opulent wirkt. Ein manchmal rotierender Stahlkäfig dient anfang als abgeschotteter Ort für die geheimnisumflorte Sklavin Tituba (Laura Trapp, in einer Art Totenmaske, sehr körperlich und expressiv), dann als imaginärer Kerker in dem vielleichts stärksten Bild des Abends: Proctors Frau Elizabeth, mittlerweile geteert und gefedert, einfach weil ihr Name in der Hexendiskussion einmal erwähnt wurde, wird von der Bühnendecke herab an Seilen zwischen die Gitterstäbe herabgelassen, wo die Mädchen erwartungsvoll kauern.

Am Ende ist die Szenerie nur noch von Fackeln beleuchtet, der zunehmend brutale Richter Danforth (Thorsten Köhler) sieht noch verlotterter aus als zuvor, seine Schwester im Geiste, Ann Puttnam (Christiane Motter), ist ihrer Haarpracht und ihrer puritanischen  Garderobe entkleidet; der Lack für das Schreckensregime scheint ab. Da bleiben nur noch eine Entscheidung und eine Gewissensfrage – die von John Proctor, den Ali Berber mit einer sinnigen Mischung spielt aus fast naiver Aufrichtigkeit und einer wohl typisch männlichen Selbstverblendung –  wenn er die Frau, mit der er mehrmals seine Ehe gebrochen hat, als „Hure“ bezeichnet. Hexerei ist das zwar nicht, aber klassische Doppelmoral, für die man allerdings nicht gehängt wird.

Termine: 18. und 27. September; 11., 19., 22. und 25. Oktober; 2. November.

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