Porträt Schriftsteller Guy Helminger aus Luxemburg: „Ich war ein bisschen größenwahnsinnig“

Merzig/Köln · Der Schriftsteller Guy Helminger hat am Sonntag den Gustav-Regler-Preis der Stadt Merzig erhalten. Ein Gespräch über seine alte Heimat Luxemburg, das Leben und Überleben als freier Schriftsteller, Radikalisierung und das, was ihn politisch ärgert: nicht zuletzt das neoliberale Denken, „das nicht auszurotten ist“.

 Guy Helminger vergangene Woche in Irland. Da hatte er einen alten ausgewanderten Freund besucht aus der Zeit, als Helminger Barkeeper in einer Kölner Punkkneipe war.

Guy Helminger vergangene Woche in Irland. Da hatte er einen alten ausgewanderten Freund besucht aus der Zeit, als Helminger Barkeeper in einer Kölner Punkkneipe war.

Foto: Guy Helminger

Der Pfingstmontag hat Guy Helminger ziemlich überrascht. Die Nacht zuvor ist er aus Irland nach Köln zurückgekommen, vor dem Telefon-Interview am Montag wollte er noch schnell einkaufen gehen – aber es ist eben Feiertag. „Ich habs nicht geschnallt“, sagt er, „und jetzt habe ich nichts im Haus.“ Aber der Schriftsteller hat hilfreiche Nachbarn mit vollem Kühlschrank, „und morgen bin ich eh wieder weg“. Da geht es nach Berlin, wo sein Stück „Madame Köpenick“ deutsche Premiere feiert (Uraufführung war im Januar in Helmingers alter Heimat Luxemburg). Von dort geht es nach Merzig, wo er den Gustav-Regler-Preis in Empfang nimmt. Die Woche drauf ist er in Luxemburg, dort moderiert er am 16. Juni im Théâtre National ein Gespräch mit Eva Menasse.

Helminger ist viel unterwegs und „breit aufgestellt. Anders ginge es gar nicht.“ Der Autor aus Esch schreibt Hörspiele, Romane, Reisebücher (Ende des Monats erscheint eines über Brasilien), Theaterstücke, Drehbücher, Lyrik; hinzu kommen Moderationen, etwa die des „Literarischen Salons“ zusammen mit Navid Kermani, laut FAZ „die lässigste aller Kölner Literaturveranstaltungen“. Nimmt man all das zusammen, sagt der Schriftsteller, „kann man davon leben – nicht vom Verkauf der Bücher, aber doch von Literatur“. Seit 20 Jahren gelingt das Helminger, der im Januar 60 Jahre alt wird. Doch bis dahin musste er sein Schreiben mit vielen Nebenjobs finanzieren, „auf dem Bau, als Schauspieler, Organisator von Sportveranstaltungen für RTL und als Barkeeper in einer Kölner Punkkneipe“. Die aktuelle Irlandreise führte ihn zu einem alten, ausgewanderten Freund aus just dieser Kneipenzeit.

„Dicke Wälzer, von Zola und Balzac – das war für mich fürchterlich.“

Dass Helminger sein Leben mit Schreiben verbringen würde, war ihm mit 17 klar. Vorher hatte er mit Literatur wenig im Sinn, „im Gymnasium lasen wir dicke Wälzer, von Zola und Balzac - das war für mich fürchterlich“. Doch bei Lyrik war es um den jungen Guy geschehen. „Gottfried Benn hat mich fasziniert, ich habe sofort angefangen, ihn zu imitieren.“ Da wusste er, dass er Schriftsteller werden würde. Was er noch nicht wusste: „Dass man nicht der einzige ist, der schreibt, und dass die Welt nicht auf einen wartet. Das wurde mir erst später klar.“

 Guy Helminger in West Cork.

Guy Helminger in West Cork.

Foto: Guy Helminger

Helminger ging in den 1980ern nach Heidelberg, dann nach Köln, studierte Germanistik und Philosophie, schrieb, finanzierte sich durch die besagten Nebenjobs, bis er die nicht mehr brauchte. Für ihn ein großes Aufatmen: „Mit dem sozialen Terror in einem Betrieb bin ich immer schwer klargekommen, weil ich nicht sehr diplomatisch bin und mich nicht gerne unterordne.“ Jetzt kann der mehrfach Prämierte (unter anderem mit dem 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb) machen, was er will, „aber man muss Workaholic sein“. In seinem Fall mit fester Struktur: Von acht bis 13 Uhr schreibt er jeden Tag der Woche, nach dem Mittagessen schreibt er weiter oder macht das, was sonst so anfällt: Mails beantworten, Termine planen, Interviews geben oder auch führen – etwa für die Literaturbeilage des „Luxemburger Tageblatts“, die er betreut.

„Da kann es kein weißes Blatt geben.“

Ein nicht endender Schreibprozess also, bei dem die vielbeschworene Angst vor dem blanken weißen Blatt ihn nie geplagt hat: „Ein Mythos von Autorinnen und Autoren, um sich interessant zu machen.“ Helminger macht sich unterwegs ständig Notizen oder recherchiert, was ihn gerade interessiert – so ist sein PC mit vielen Materialordnern bestens bestückt. „Wenn ich ein Buch abgeschlossen habe, öffne ich einen Ordner, lese etwas und habe sofort wieder ein Thema – da kann es kein weißes Blatt geben.“

Helminger schreibt überwiegend in Deutsch, das sei heute „seine primäre Sprache“, auch wenn Luxemburgisch seine Muttersprache ist; spricht er Deutsch, hört man das Melodiöse des Luxemburgischen heraus. „Ich hatte Ambitionen, war ein bisschen größenwahnsinnig“, sagt er, „und wollte ein möglichst großes Publikum erreichen – das ist mit Luxemburgisch schwierig“. Die alte Heimat besucht er regelmäßig, mindestens einmal im Monat. Mutter, Bruder und Schwester leben dort, es gibt Lesungen und Moderationen, seine jüngsten Werke verlegt er beim Luxemburger Verlag Capybarabooks. „Die Verbindung ist sehr stark. Ich bin eigentlich weg – aber auch nicht.“

„Neoliberales Denken, das einfach nicht auszurotten ist“

Helminger schreibt darüber, was ihn umtreibt – Migration, Europa, gesellschaftliche und politische Schieflagen, nicht zuletzt das neoliberale Denken, „das einfach nicht auszurotten ist“. Dies ist ebenso der Hintergrund seines 2008er Buchs „Neubrasilien“ über Migration wie der seines jüngsten Romans „Lärm“, ein Werk über Radikalisierung. „Ich bin überzeugt, dass wir diesen starken Rechtsruck in Europa durch die neoliberale Politik haben.“ Eine Politik, bei der sich die meisten Menschen abgehängt fühlten und immer ärmer würden, „führt zu einer Radikalisierung“. Die könne er generell nachvollziehen, allerdings nicht mehr, „wenn sie in die völlige falsche Richtung von rechten Kanälen und Verschwörungstheorien geht“. Generell plädiert Helminger dafür, „viel mehr auf die Straße zu gehen. Es ist eine der letzten Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.“

Am Sonntag erhält er nun den Gustav-Regler-Preis. Zum Namensgeber, dem Merziger Schriftsteller (1898-1963, „Das Ohr des Malchus“), fühlt er eine gewisse Verbindung: „Er ist einer der Repräsentanten der westeuropäischen Linken und hat Themen, in deren Tradition ich mich durchaus stellen kann.“ Etwa, dass Regler „Sprache als ein Gegenmittel zu Herrschaftsverhältnissen gesehen hat“. Regler sei auch insofern interessant, als er „an ein kommunistisches Ideal geglaubt hat, dann aber fähig war, das Ganze neu zu bewerten und es kritisch zu sehen, egal, was seine Entourage davon hält“. Anderes an Regler dagegen befremdet ihn, etwa „wenn er stolz davon geschrieben hat, wie er im Ersten Weltkrieg alle möglichen lebensgefährlichen Aufträge übernommen hat.“ Helminger hätte das nicht getan. „Aber wenn man jung ist, ist man auch noch irre.“

„Ich bin da nicht optimistisch. Es wird sich gar nichts ändern.“

Den Preis, dotiert mit 10 000 Euro, erhält Helminger nun mit zweijähriger Verspätung, wegen der Pandemie. Wie hat er die überstanden? „Auch für mich ist alles weggebrochen, keine Lesungen, keine Moderationen.“ Aber die Bücherbeilage im „Tageblatt“ und Stipendien waren eine große Hilfe. „Ich bin ja kein Bestseller-Autor.“ An die während der Pandemie oft geäußerte These, die Welt danach werde besser, die Menschheit sozialer und achtsamer sein, glaubt Helminger nicht. „Ich bin da nicht optimistisch. Es wird sich gar nichts ändern. Die Menschen machen genau so weiter wie vorher.“

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