Interview zum Film „Edie“ „Die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“

Saarbrücken · Der englische Regisseur Simon Hunter über seinen Film „Edie“, den er in Saarbrücken vorstellt, den Brexit und über deutsche Rechts- wie Linksextreme.

 Sheila Hancock als Edie, die im Alter nach einer langen, unglücklichen Ehe noch einmal etwas wagt.

Sheila Hancock als Edie, die im Alter nach einer langen, unglücklichen Ehe noch einmal etwas wagt.

Foto: Cape Wrath Films

  Was bleibt Edie noch? Die Engländerin ist Mitte 80, der lange von ihr gepflegte Ehemann ist tot, ihre Tochter will sie in einem Seniorenheim unterbringen. Doch Edie hat  einen Plan – sie will auf den schottischen Berg Suilven steigen, einen Sehnsuchtsort ihrer Kindheit. In den Highlands heuert sie einen jungen Bergführer an, der sich ersteinmal an die resolute Dame gewöhnen muss. Regisseur Simon  Hunter erzählt in seinem Film „Edie – „Für Träume ist es nie zu spät“ mit viel Gefühl und famosen Landschaftsaufnahmen von einem ungleichen Duo und vom Ausbrechen aus allzu festen Lebensbahnen.

Ihr Film ist nicht kitschig, aber durchaus so etwas wie ein „Wohlfühl“-Film – war das das Ziel?

   Regisseur Simon Hunter (49): „Edie“ ist sein erster Kinofilm seit „Mutant Chronicles“ (2008).

Regisseur Simon Hunter (49): „Edie“ ist sein erster Kinofilm seit „Mutant Chronicles“ (2008).

Foto: Weltkino Filmverleih

HUNTER Das hatte ich vor. Es gibt genug Deprimierendes in der Welt, womit sich viele Filme ja auch beschäftigen, was eine gute Sache ist. Aber manchmal sollten Filme daran erinnern, dass man seinem Leben eine bessere Wendung geben kann, auch wenn es im Falle von Edie viele Jahre dauern kann. Ich wollte einen trostlosen Filmbeginn, von dem aus sich dann eine Entwicklung vollzieht. Das erste und das letzte Bild von „Edie“ könnten aus zwei ganz verschiedenen Filmen stammen.

Ihr Hauptdarstellerin Sheila Hancock war bei den Dreharbeiten 83 Jahre alt – da hätte es sich bei den Kletterszenen ja durchaus angeboten, mit Filmtricks zu schummeln.

HUNTER Ja, aber das war nie eine Option. Alles ist real vor Ort gedreht. Wir sind alle auf den Berg und haben dort einige Nächte gecampt – mit Sheila Hancock. Man muss schon mal 14 Kilometer gehen, bis man überhaupt am Fuß des Bergs ist, von wo aus man losklettert. Niemand von uns wusste letztlich ganz genau, ob wir das  schaffen – was ja ganz gut zur Geschichte des Films passt.

Gab es gefährliche Momente, an denen Sie aufgeben wollten?

HUNTER  Nein, die hätte es aber geben können. Ein verstauchter Fuß der Hauptdarstellerin hätte genügt,  und wir hätten den Film wohl zusammenschustern müssen aus Naturaufnahmen mit einem Double und Nahaufnahmen von Sheila Hancock, die wir im Tal und im Sitzen drehen. Aber manchmal hat man eben Glück, und dafür ich bin sehr dankbar.

Ältere Menschen sind ja selten Hauptfiguren in Kinofilmen.

HUNTER Leider – umso wichtiger ist es, dass man Filme mit älteren Figuren dreht, für ein reiferes Publikum. Deshalb hat „Edie“ auch einen eher sanften Erzählrhythmus.

Wie schwierig war da die Finanzierung?

HUNTER Die ist ja bei keinem Film einfach. Egal wie gut das Drehbuch ist – letztlich versucht man Geldgeber mit 100 Seiten Papier zu überzeugen. Aber ich glaube, unsere Wohlfühl-Botschaft und das Thema Hoffnung haben geholfen. Schwieriger war die Versicherung für Sheila Hancock, denn niemand in ihrem Alter war jemals zuvor da oben. Aber irgendwie konnten wir die Versicherung überzeugen.

Sie haben einen Werbespot gedreht für die Initiative „People’s Vote“, die sich um eine neue Abstimmung über den Brexit bemüht hat. Sie sind kein Freund des Brexit?

HUNTER Nein, denn der Brexit ist für England die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Konsequenzen werde ich bis zum Ende meines Lebens spüren. Er ist symp­tomatisch für den blindwütigen Populismus, der sich über den ganzen Globus ausbreitet. Mit dem Spot wollte ich wenigstens etwas tun und Überzeugungsarbeit leisten, dass wir etwas Falsches getan haben. Ich hoffe, dass die jüngere Generation diese Katastrophe irgendwann in den Griff bekommt.

Waren Sie 2016 überrascht vom Brexit-Votum?

HUNTER  Jeder war überrascht. Ein Referendum ist ein schreckliches Regierungs-Instrument. Mussolini mochte solche Referenden sehr, weil sie meistens populistische Antworten auf komplexe Fragen geben. Den Brexit-Befürwortern ist es gelungen, die britische Öffentlichkeit zu überzeugen, dass der Brexit alle Probleme löst, und verpackt haben Sie das Ganze in eine nostalgische Verklärung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Das Positive ist immerhin, dass mit die größte Pro-Europa-Bewegung jetzt aus England kommt. Im März gingen dort fast eine Million Menschen mit EU-Flaggen auf die Straßen – das hätte ich bei einer Nation, die dem europäischen Projekt immer etwas skeptisch gegenüberstand, nie gedacht.

Sie sind Engländer, leben in London und auch in Dresden – was wird sich für Sie nach dem Brexit ändern, wenn er dann mal kommt?

HUNTER Ein harter Brexit ohne Deal wäre das Schlimmste für Menschen, die in England und in der EU arbeiten und leben. Ich arbeite in der ganzen EU, das Reisen wird für mich schwieriger, auch tägliche Dinge wie die Absicherung im Krankheitsfall etwa. Die deutsche Regierung hat britischen Staatsbürgern einen Aufenthaltsstatus zugesichert, wenn man sich vor dem Brexit registriert – das ist eine gute Sache. Im Juni kommt mein Sohn zur Welt, als halber Deutscher wird immerhin er mit einem britischen und einem deutschen EU-Pass aufwachsen.

Wie sehen Sie das Erstarken der Rechten, gerade auch in den neuen Bundesländern? Sie leben ja zeitweise in Sachsen.

HUNTER Es geht nicht nur um die extreme Rechte, sondern auch um die extreme Linke. Ich habe mit vielen Menschen aus beiden Spektren gesprochen – sie ähneln sich sehr. Man muss für die Zukunft offen sein – beide sind das nicht. Beide fürchten technologischen Wandel, Einwanderer und neue Ideen. Für die Linken ist immer der amerikanische Imperialismus schuld, für die Rechten sind es immer die Flüchtlinge, und beide Seiten bewundern ein autokratisches, unfreiheitliches Regime wie das von Putin. Simple Ideen, vermischt mit Verschwörungstheorien, angefeuert von sozialen Medien, die enge Weltsichten bestätigen – da geht jede Komplexität verloren. Man will einfache Lösungen. Beide Spektren sind von Natur aus autoritär, und beide machen mir Angst. Antifa, AfD, NPD – das ist für mich alles dasselbe, mit einem aggressiven Polit-Ansatz. Doch Politik ist extrem komplex, man muss schwierige Entscheidungen fällen und geistig in der realen Welt leben. Bald sind hier in Sachsen Wahlen. Ich habe noch von keinem Kandidaten irgendetwas gehört, womit er die wirklichen Probleme angehen will.

Welche sind das für Sie?

HUNTER  Etwa dass Deutschland seine Atomkraftwerke abschaltet, was eine gute Sache ist – aber durch seine Kohleenergie hat Deutschland jetzt den größten Co2-Ausstoß in Europa. Oder nehmen sie gefürchtete Arbeitsplatzverluste durch die E-Autos, die Auswirkung von zunehmender Datenüberwachung, die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz. Da höre ich hier gar nichts.

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