Kinofilm „Axiom“ in Saarbrücken Ist das Leben ein großer Schwindel?

Saarbrücken · Eine Entdeckung im Saarbrücker Filmhaus und in der Kinowerkstatt St. Ingbert: Der Film „Axiom“ erzählt von einem Mann, der sich konsequent durchs Leben lügt.

 Julius (Moritz Treuenfels) tischt seiner Freundin Marie (Ricarda Seifried) eine seiner charmenten Geschichten auf.

Julius (Moritz Treuenfels) tischt seiner Freundin Marie (Ricarda Seifried) eine seiner charmenten Geschichten auf.

Foto: Bon Voyage Films/Martin Menke

Man hört ihm ja gerne zu. Julius hat für jede Lebenslage eine geistreiche Bemerkung parat, eine interessante Geschichte, die ihm neulich wohl passiert ist. Die flicht er in Konversationen mit angenehmer Stimme ein, ob am Arbeitsplatz Museum, wo er verbotenerweise fotografierende Kunstfreunde ermahnt, ob in der Straßenbahn oder am Hochkultur-Restauranttisch. Mit diesem jungen Mann der gepflegten Umgangsformen fühlt man sich eben wohl. Bis sich kleine Risse in der Fassade zeigen und man sich über ihn wundert – etwa wenn er Freunde zu einem Ausflug mit dem Segelboot seiner adeligen Mutter einlädt, das Auto aber kilometerweit vom Hafen parkt. Vielleicht ist es ihm nicht so eilig mit dem Segeln, das dann sowie nie stattfindet, weil Julius vor der Bootsbesteigung einen epileptischen Anfall erleidet. Langsam kommen seine Freundinnen und Freunde ebenso ins Grübeln wie die Kinogänger. Was ist los mit diesem Julius? Und wer ist er eigentlich?

 Julius (Moritz Treuenfels) ist da, wo er am liebsten ist: Im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Julius (Moritz Treuenfels) ist da, wo er am liebsten ist: Im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Foto: Bon Voyage Films/Martin Menke

„Axiom“ ist ein hinreißender Film, melancholisch und witzig zugleich, dabei so lässig wie tiefsinnig – ein Glücksfall. Julius entpuppt sich als versponnener Lügner, der nahezu auf jede Situation passend reagiert, sich wie ein soziales Chamäleon fast überall anpasst und sich für nahezu jeden neuen Gesprächspartner neu erfindet. Für seine Freundin ist er ein Architekt, der gerade das Großprojekt „Serbische Botschaft“ entwirft; für einen WG-Bekannten ist er ein Autor und Stipendiat, der ein halbes Jahr nach Tokio geht; für Hochkulturbekannte ein junger Mann, der eine schwierige Kindheit mit drogensüchtigen Eltern erfolgreich bewältigt hat. „Du brauchst einen Plan B“, sagt er einem Kollegen und hat stets einen solchen parat.

Autor und Regisseur Jöns Jönsson, ein Schwede, der in Berlin Film studiert hat, lässt den Hintergrund vage. Ist Julius ein Narziss mit Persönlichkeitsstörung? Oder trägt er gerne zu dick auf, um eigene Komplexe zu übertünchen? Oder ist er in einer Gesellschaft des Selbstoptimierens, des Blendens auch des digitalen Narzissmus’ einfach nur konsequent und liefert lügend das, was verlangt wird: Erfolg und Status?

Der Film wertet dabei nicht, er zeigt einfach, mit einer gewissen, aber nicht grenzenlosen Anteilnahme, einen Lügenbaron bei der Arbeit. Moritz Treuenfels in seiner ersten Kinohauptrolle ist eine Entdeckung; sein Julius kann ebenso mitleiderregend sein wie nervtötend, mal möchte man ihn in den Arm nehmen, mal ihm die Freundschaft kündigen. Er ist ein Münchhausen, zugleich ein Getriebener. Die Szene, wie sich Julius in ein Architektenbüro einschleicht, um den speziellen Berufsduktus aufzuschnappen, ist ein Kabinettstückchen von subtilem Spiel und Spannungsaufbau.

Jönsson lässt die Mono- und Dialoge enorm lässig klingen, realistisch und beiläufig, das wirkt alles verbal wie aus dem Leben gegriffen – hohe Inszenierungskunst, das so leicht und locker wirken zu lassen; der vielbeschäftigte saarländische Kameramann Johannes Louis liefert dazu klare, unprätentiöse Bilder, konzentriert sich manchmal nur auf Julius‘ Gesicht, während von außen Gespräche auf ihn einströmen, die er aufsaugen wird, um sich gleich kenntnisreich einzumischen. Es ist auch schön, die Schauspielerin Ines Marie Westernströer in einer Rolle zu sehen, die ihr etwas mehr Raum gibt als (bislang) die der Ermittlerin im saarländischen „Tatort“. Sie spielt in „Axiom“ eine Kollegin von Julius aus dem Museum, die ihn mit seinen Lügen konfrontiert – Julius reagiert ziemlich bizarr.

Das ständige kunstvolle Lügen hat den Effekt, dass man im Film irgendwann kaum noch irgendetwas glauben mag. Ein ehemaliger Kollege von Julius erzählt ihm eine Geschichte über seine Kindheit, eine Hautkrankheit und die helfende Kraft der Religion, die weit erfundener klingt als alles, was Julius bisher aufgetischt hat. Eine große Lüge? Oder schreibt das Leben immer noch die besten Geschichten? (In diesem Fall dann doch der Drehbuchautor). Man weiß es nicht, aber Julius hört gebannt zu – er weiß ja nie, wann er selbst so eine Geschichte gebrauchen kann.

„Axiom“ läuft ab Donnerstag täglich im Saarbrücker Filmhaus, die Kinowerkstatt St. Ingbert zeigt den Film am Freitag um 20 Uhr.
www.filmhaus.saarbruecken.de
www.kinowerkstatt.de/

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