Interdisziplinäre Fachtagung Zwischen Multisensorik und Multimedialität

Saarbrücken · Da ist von Präsenzkulturen und Mediendivergenzen die Rede. Vom semiotischen Feld von Texten, von Paratexten und von Interfaces in romantischen Texten. Von grenzüberschreitender Oszillation zwischen Ästhetik und Alltagswelt und davon, was die Ermächtigung von Technologien mit der Suche nach einer neuen Unmittelbarkeit zu tun hat.

 Referent Patrick Rupert-Kruse bei seinem Vortrag über das „Storytelling of the future“ im Filmhaus.

Referent Patrick Rupert-Kruse bei seinem Vortrag über das „Storytelling of the future“ im Filmhaus.

Foto: Kerstin Krämer

Von Embodied Storytelling, Roomscales und Controlling, von hapto-taktilen Modalitäten, pneumatischen Aktuatoren und Affekt-Übertragungen, von Points of Perception und einem Peripersonal Space.

Wer am Donnerstag von jeglichem Vorwissen unbelastet mitten in die Diskussion im Anschluss an den Vortrag der Regensburger Referentin Christiane Heibach über die Erlebbarkeit von Geschichten und „Intersensorik im Multimedia Storytelling“ hinein platzt, versteht erst mal nur Bahnhof. Auch dem Kieler Patrick Rupert-Kruse, der über die „Möglichkeiten verkörperten und multi-sensorischen Erzählens in synthetischen Realitäten“ spricht, kann besser folgen, wer mit den einschlägigen Fachtermini vertraut ist. Kein Wunder, dass hier nur ein überschaubares Fachpublikum lauscht, das auf wissenschaftlichem Niveau kritisch und durchaus skeptisch mitdiskutiert. Im abgedunkelten „Schauplatz“ des Saarbrücker Filmhauses schwirren mindestens so viele Fremdwörter und Anglizismen herum, wie die Klimaanlage frostige Wölkchen ausspuckt.

Die Gänsehaut, die letztere auslösen, vermittelt einem in Kombination mit den projektionsgestützten Vorträgen immerhin eine sinnliche Vorstellung, worum‘s hier geht: um künstliche Welten zwischen Multisensorik und Multimedialität. „Mit allen Sinnen“ heißt entsprechend die dreitägige interdisziplinäre Fachtagung, die unter Leitung von Stephanie Catani von der Neueren deutschen Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft der Universität des Saarlandes (UdS) organisiert und am Donnerstag eröffnet wurde.

Das Sinnliche erfährt in künstlerischen Werken der jüngeren Vergangenheit eine neue Konjunktur: Medienübergreifend wird versucht, nicht nur kognitive, sondern auch sensorische Erfahrungen zu vermitteln. Bildkünstlerisch gestaltete Bücher wollen nicht nur gelesen, sondern ertastet werden. So genannte „Escape Rooms“ ermöglichen es, fiktive Umgebungen mit allen Sinnen zu erleben. In interaktiven Theaterperformances kann sich das Publikum frei durch Kulissen und Requisiten bewegen und mit Räumen, Objekten und Schauspielern co-agieren.

Es existieren mittlerweile sogar Techniken, um Klänge, Filme, Theater oder Tanz mit ganzen Geruchssequenzen um eine olfaktorische Dimension zu erweitern. Ja es gibt sogar, südkoreanischer Genius macht‘s möglich, 4D-Filme, die den Kinobesuch mit Windstößen, Gerüchen, sich bewegenden Sitzen und sogar Regengüssen zu einem wahrhaft ganzheitlichen Erlebnis machen. Vor allem im Bereich des Digitalen, besonders in der Virtual Reality, kommt dem Haptischen eine zentrale Rolle zu, um mittels Interfaces wie sensorischer Handschuhe oder stimulierender Ganzkörperanzüge realistische Eindrücke von Materie und Textur, Berührungen, Temperaturen oder Bewegungsphänomenen zu vermitteln. Welche Folgen jedoch hat diese Inkludierung des Sinnlichen für die Rezeption? Zwar gibt es fachspezifische Einzelstudien, doch ob und wie sich herkömmliche narratologische, fiktionstheoretische oder rezeptionsästhetische Konzepte aus Literatur-, Film-, Kunst- und Medienwissenschaft auf multimediale und multisensorische Werke übertragen und auf künstlerische Inszenierungen im Digitalen ausweiten lassen, wurde bislang marginal erforscht. Hier setzt die Fachtagung an und fragt nach Werkzeugen und Methoden zur Analyse, nach der Wechselwirkung der beteiligten Medien, nach der Erzeugung von Bedeutung sowie den Konsequenzen für die Rezeption und den Werks- und Fiktionsbegriff der Gegenwart. Und nach dem narrativen Potential – leidet die erzählerische Qualität nicht unter allzu viel Effekthascherei? Dass die Moderatorinnen Stephanie Catani und Jasmin Pfeiffer im Hinblick auf das gemeinsame Abendessen wiederholt zur Eile drängten, deutet jedenfalls darauf hin, dass die Tagungsteilnehmer zumindest gustatorisch zum Realen und Analogen tendieren.

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