Gemeinsam aus der Krise Kultur am liebsten als Pflichtaufgabe

Saarbrücken · Die Szene schwört nach dem ersten saarländischen Kulturgipfel auf mehr Kooperation. Die Ministerin ist bereit, Corona-Stipendien zu überdenken.

 Es soll spartenübergeifend mehr zusammengearbeitet werden. So will die Moderne Galerie in Saarbrücken Künstlern der Freien Szene einen Ort für ihre Auftritte bieten.

Es soll spartenübergeifend mehr zusammengearbeitet werden. So will die Moderne Galerie in Saarbrücken Künstlern der Freien Szene einen Ort für ihre Auftritte bieten.

Foto: Oliver Dietze

„Wir brauchen im Saarland ein solidarisches Miteinander zwischen Kulturakteuren, die staatlich geförderte Zuschüsse bekommen, und der Kreativwirtschaft“, bilanziert Christine Streichert-Clivot (SPD) den ersten saarländischen Kulturgipfel, zu dem die Kulturministerin am Mittwoch geladen hatte. In dieser sparten- und häuserübergreifenden Austauschrunde kam das Kulturministerium mit der Kulturszene zusammen, um Probleme und Lösungen zu besprechen. Ob Staatstheater oder Netzwerk Freie Szene, ob Weltkulturerbe Völklinger Hütte oder Saarländischer Künstlerbund, durch gut zwei Dutzend Teilnehmer aus den Institutionen und Kreativbetrieben war die kulturelle Szene des Saarlandes vertreten.

Kabarettist Peter Tiefenbrunner, im Vorstand des Netzwerks Freie Szene Saar, zeigte sich nach dem Gipfel optimistisch. „Ich finde sehr gut, was an Vernetzung und Ideen bereits entstanden ist.“ Ein Ansatz bestehe darin, dass große Häuser und kleine Kulturakteure mehr kooperieren. So wolle etwa die Moderne Galerie Künstlern der Freien Szene eine Bühne bieten. Tiefenbrunner erklärte, dass die Spielstätte der Freien Szene, das Theater im Viertel, wohl bis Ende des Jahres geschlossen bleibe, weshalb die Zusammenarbeit mit Besitzern großer Räume umso wichtiger werde.

Einigkeit bestand darin, dass Kultur sich nicht in ein Gratis-Onlineangebot verwandeln soll, weshalb auch die Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden sehr wichtig werde. Überhaupt sollen die Kommunen, geht es nach der Ministerin, beim Thema Kultur eine größere Rolle spielen. „Wir haben festgestellt, dass wir im Saarland wieder eine Debatte darüber brauchen, Kultur als Pflichtaufgabe der Kommunen zu setzen.“ Dies sei laut Streichert-Clivot eine wesentliche Erkenntnis des Gipfels gewesen. Die Kommunen müssten aber ebenfalls in die Lage gebracht werden, unter dem Gesichtspunkt Kultur als Pflichtaufgabe auch Ausgaben tätigen zu können. Zudem brauche es, so Streichert-Clivot, verlässliche Vorgaben von der Politik, was letzten Endes die Genehmigung neuer Formate vereinfachen würde. „Im Moment“, erinnert die Ministerin, „wird Kultur sehr stark über Entscheidungen, die von Gesundheits- und Ordnungsämtern geprägt sind, organisiert.“

Svenja Böttger, Leiterin des Filmfestivals Max Opühls Preis, gab zu Bedenken, dass die Kreativen mit extremen Beschränkungen wieder anfangen. „Bei Kultur darf es in den nächsten ein, zwei Jahren nicht um Wirtschaftlichkeit gehen.“ Auch müsse der Versuch, Kulturförderung als Pflicht der Kommunen festzuschreiben, gemeinsam getragen werden. „Wir können nicht eine freiwillige Aufgabe sein, wir müssen eine Aufgabe der Gesellschaft sein“, sagte Böttger. Bei der Förderung müssten die unterschiedlichen Gegebenheiten der Kultur einbezogen werden. „Die Kultur kurbelt andere Wirtschaftszweige mit an“, schloss sie.

Der Zauberkünstler Markus Lenzen hatte in den sozialen Medien einen Sieben-Punkte-Plan vorgeschlagen, der auch beinhaltete, Soloselbstständige mehr in den Blick zu nehmen. Inzwischen gibt auch er sich hoffnungsvoller. „Vieles von meinem Plan ist schon erreicht.“

Medientheoretiker Soenke Zehle, einer der Geschäftsführer des K8 Instituts für strategische Ästhetik, zeigte sich überzeugt, dass das Publikum hungrig ist. „Die Sehnsucht nach anspruchsvoll gestalteten Erfahrungen und Gemeinschaftserlebnis ist enorm“, sagte er. „Die vielen bilateralen Projektideen, die entstanden sind, sind ein Zeichen dafür, dass das Krisenbewältigungsgespräch zu einem Gestaltungsgespräch geworden ist.“ Für Zehle stellte sich aber auch eine zentrale Frage: „Wollen wir überhaupt zurück zu der Zeit vor der Krise? So toll lief es im Kulturbereich in einigen Ecken nicht.“

Anlässlich des Gipfels kam auch die Diskussion um das vor fünf Wochen gestartete Stipendienprogramm für Solokünstler wieder auf. 2,5 Millionen Euro stehen bereit, bewerben können sich hauptberufliche Künstler mit Wohnsitz im Saarland, die – und darin liegt die Krux – noch nicht von der Corona-Soforthilfe des Landes oder des Bundes profitiert haben. Bisher sind knapp 40 Anträge (Stand vergangene Woche) eingegangen. „Wir haben erkannt, dass ein Hindernis besteht, deshalb sollen die Künstler trotzdem Anträge stellen, damit wir ein Bild von der Lage bekommen“, sagte Streichert-Clivot auf Nachfrage. In Rheinland-Pfalz, wo es ein ähnliches Programm mit Arbeitsstipendien gibt, ist eine Doppelförderung hingegen nicht ausgeschlossen. Dort hat man, bei etwa zwei Wochen Vorlauf, von 7,5 Millionen Euro bereits 762 000 Euro in 381 bewilligten Anträgen ausgeschüttet, 39 weitere Anträge werden derzeit nach Auskunft des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums noch bearbeitet, vier wurden bisher abgelehnt (Stand 10. Juni). „Wenn die Erkenntnis wächst, dass wir die Mittel nicht an die Zielgruppe bringen, gehen wir nochmal ins Gespräch“, erklärte die saarländische Kulturministerin. Über die Herangehensweise bei den Nachbarn sei man informiert. Aber: „Das Stipendienprogramm für Solokünstler war eine gemeinschaftliche Entscheidung der Landesregierung, welche auch die Zustimmung des Finanzministeriums braucht.“ Damals sei das Stipendienprogramm als der richtige Weg erschienen, aber man müsse eben auch schauen, wie sich Förderinstrumente bewähren. Und ansonsten, so Streichert-Clivot, andere Wege der Unterstützung suchen.

Der Kulturgipfel soll kein einmaliges Treffen der Szene mit der Politik gewesen sein. Nach Vorstellung der Ministerin kann der Gipfel ein- bis zweimal im Jahr und dann unter einem thematischen Schwerpunkt stattfinden – als Raum, um Probleme und Herausforderungen zu besprechen. Aber auch als Gelegenheit zur Netzwerkpflege und für bilateralen Austausch.

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