Theaterstücke im November Zwischen „Stacheldraht“ und Boulevardkomödie – Programm des Festivals Primeurs vorgestellt

Saarbrücken/Forbach · Das deutsch-französisches Festival Primeurs findet in wenigen Wochen statt. Jetzt haben die Veranstalter das Programm vorgestellt.

Eine Szene des Stücks „Parloir/ Sprechzimmer“ von Delphine Hecquet, mit dem das Festival Primeurs im Forbacher Theater Le Carreau eröffnet.

Eine Szene des Stücks „Parloir/ Sprechzimmer“ von Delphine Hecquet, mit dem das Festival Primeurs im Forbacher Theater Le Carreau eröffnet.

Foto: Le Carreau

Wenn das Festival Primeurs genauso beschwingt ablaufen wird wie die Programmvorstellung am Donnerstag in der Villa Europa, darf man sich jetzt schon auf den 16. bis 19. November freuen. Für „Neulinge“ muss man vielleicht klarstellen, dass es bei diesem Festival nicht um den neuen Beaujolais-Wein geht, sondern um neue französische Theatertexte, die (in der Regel) zum ersten Mal in deutscher Sprache degustiert werden können.

Wer hätte gedacht, dass es bei der 16. Ausgabe in Europa einen Krieg geben würde

Doch die Villa Europa als Treffpunkt hatte diesmal im bildlichen Sinne als gemeinsames Haus, in dem man friedlich und ungehindert Gedanken, Ideen, Sprachen und eben Literatur für die Bühne flottieren lassen kann, einen hohen Mehrwert. Denn wer hätte bei der vorigen Festivalausgabe gedacht, dass es bei der 16. Ausgabe dieses Jahr in Europa einen Krieg geben würde, bemerkte Bodo Busse, Generalintendant des Saarländischen Staatstheaters bei der Begrüßung, um die Bedeutsamkeit dieses deutsch-französischen Festivals zu unterstreichen.

Wichtig fand er auch, mit diesem Festival der Gegenwartsdramatik ein Zeichen für die Autorenschaft zu setzen, die er im heutigen postdramatischen Bühnenzeitalter bedroht sieht. Das Primeurs-Festival, das das Saarländische Staatstheater zusammen mit dem Saarländischen Rundfunk, SR2-Kulturradio, dem Forbacher Theater Le Carreau und dem Saarbrücker Institut Français sowie weiteren Partnern veranstaltet, stellt die Autoren und Autorinnen und diejenigen, die sie ins Deutsche übersetzen, in den Mittelpunkt.

Impressionen aus 15 Jahren Festival Primeurs in Saarbrücken
10 Bilder

Impressionen aus 15 Jahren Festival Primeurs

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Foto: SST/ANDREA KREMPER

Sechs Texte von Dramatikern und Dramatikerinnen aus Frankreich und dem frankokanadischen Quebec stellt das Primeurs-Festival diesmal wieder vor, um ihnen den Weg auf deutschsprachige Bühnen zu ebnen. Ein Festival lebt von Neuerungen ebenso wie von liebgewonnen Gewohnheiten. So präsentiert SR2 wie immer am Donnerstag, diesmal der 17. November, ein Live-Hörspiel in der Alten Feuerwache: „Goldmädchen (Une fille d’or)“ von Sébastien David, Primeurs-Autorenpreis-Gewinner von 2017, erzählt von vier fantastischen, gefährlichen Frauen, darunter eine Finanzanalystin, die zum weiblichen Midas wird und eine Tote, die sich selbst ausgräbt und als Trendsetterin gefeiert wird.

„Genderfluide Figur auf einem wilden Parcours tagtäglicher Erwartungen“

Am Freitag, 18. November, gehört die Alte Feuerwache zwei szenischen Lesungen von Autoren, die zum ersten Mal mit Texten vertreten sind. Vorgestellt wird in „Stacheldraht“ eine „genderfluide Figur auf einem wilden Parcours tagtäglicher Erwartungen“ von Annick Lefebvre und eine kritische Boulevardkomödie über die Wohlstandsgesellschaft unter dem Titel „Die lieben Eltern“ von den Geschwistern Armelle und Emmanuel Patron.

Am Samstag, 19. November, setzt man laut Dramaturgin und Festivalleiterin Bettina Schuster-Gäb auf „erfahrene“ Kräfte. Zuerst auf Anne Badea, die in „Aus den Schatten: Thiaroye“ von einem Ehe-Paar erzählt, das die Weltkriegstraumata der jeweiligen Eltern aus Rumänien und dem Senegal unter französischer Kolonialherrschaft in sich trägt. Badea, die selbst aus Rumänien stammt und in Paris lebt, war bereits 2014 bei „Primeurs“ dabei.

Die vielfach Ausgezeichnete schuf mit „Aus dem Schatten“ eine Trilogie, deren zweiter Teil „Quais de Sène“ bereits beim renommierten Festival in Avignon lief. Auch Tiphaine Raffier war schon zum Avignon-Festival eingeladen, und zwar mit „Die Erwiderung“, dem Stück, das in der Feuerwache erstmals auf Deutsch vorgestellt wird. In episodischen Geschichten überträgt die Autorin darin die sieben Werke der Barmherzigkeit aus dem Alten Testament in unsere Gegenwart, und stellt so die Frage, was die Gesellschaft zusammenhält. Die szenischen Lesungen bieten nicht nur lesende Schauspieler an einem Tisch sitzend, sondern auch fürs Auge etwas mehr, verspricht Schuster-Gäb.

Auch eine „richtige“, ausinszenierte Aufführung kann man bei Primeurs sehen, am Eröffnungsabend, Mittwoch, 16. November, im Forbacher Le Carreau. Das Carreau, das inzwischen vollwertig ins Festival integriert ist, zeigt „Sprechzimmer/Parloir“, ein gefeiertes Gastspiel der Compagnie Magique-Circonstantionelle, auf Französisch mit deutscher Übertitelung. Die Textvorlage, die von einer Frau erzählt, die ihren gewalttätigen Mann umbrachte und nun von ihrer Tochter im Gefängnis besucht wird, stammt von Delphine Hecquet. Ein Familiendrama, wie man es heute in der Zeitung als Kurzmeldung lesen könnte, sagt Carreau-Direktor Cauvin.

Damit ist noch ein Aspekt angesprochen, den das Festival diesmal herausstellen will: In Gegenwartsdramatik muss man nicht erst Aktualität herauskitzeln, sie ist im Heute geschrieben und leistet damit Zeitzeugenschaft. Darum und über das Besondere der Theaterübersetzung geht es in Veranstaltungen des Begleitprogramms. Besonders ist bei dieser Ausgabe auch, worauf Doris Pack von der Stiftung für die deutsch-französische Kulturelle Zusammenarbeit hinwies:

Dank deutsch-französischem Bürgerfonds kann man erstmals alle Aufführungen mit Übertitelungen in der jeweils anderen Sprache zeigen und einen kostenlosen Bus-Shuttle bei allen Veranstaltungen zwischen Forbach und Saarbrücken anbieten. Damit sich nicht nur die Gedanken, sondern auch die Zuschauer frei hin und her bewegen können.

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