Käthe Kollwitz Frankreich entdeckt jetzt Käthe Kollwitz

Straßburg · Käthe Kollwitz ist in Frankreich bislang weitgehend unbekannt. Dies soll eine Ausstellung in Straßburg ändern.

 Kollwitz’ Werke sind in Straßburg bis 12. Januar 2020 zu sehen.

Kollwitz’ Werke sind in Straßburg bis 12. Januar 2020 zu sehen.

Foto: Jürgen Lorey

„Ich will wirken in dieser Zeit“: Dieses Zitat aus dem Tagebuch von Käthe Kollwitz (1867-1945) dient auch als Titel für die Ausstellung im Straßburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MAMCS), in der bis zum 12. Januar kommenden Jahres 170 Skulpturen, Gravuren und Zeichnungen der bedeutenden Künstlerin gezeigt werden. Mit 30 Blättern verfügt das MAMCS über die größte Kollwitz-Kollektion in Frankreich. Das liegt daran, dass zu Lebzeiten der Künstlerin die unter deutscher Leitung stehenden Museen in Straßburg ab 1908 begannen, ihre Grafiken zu kaufen.

Die zusammen mit dem Käthe-Kollwitz-Museum in Köln organisierte Retrospektive über Kollwitz „ist die erste in Frankreich überhaupt“, sagt Paul Lang, der Direktor der Straßburger Museen. In ihren Zeichnungen, Druckgrafiken, Plastiken und Plakaten hat sie wie keine andere Krieg, Armut und Tod, aber auch Liebe, Geborgenheit und das Ringen um Frieden in nachdrücklicher Weise zum Ausdruck gebracht. Sie wandte sich in ihrer Kunst den kleinen Leuten zu, kritisierte mit ihrer Arbeit soziale Missstände. Die meist düsteren Werke Kollwitz‘ in Schwarz-Weiß über menschliche Not könnten ein Grund gewesen sein, „warum sie – trotz des frühen Straßburger Interesses für sie – erst so spät in Frankreich rezipiert wurde“, meint Hannelore Fischer, die Leiterin des Käthe Kollwitz Museums in Köln. Es sei an der Zeit, dass „Frankreich sich die in Deutschland und international sehr bekannte Künstlerin wieder aneignet“, ergänzt die Konservatorin des MAMCS, Estelle Pietrzyk.

Auf 600 Quadratmetern sind die 170 ausgestellten Werke, von denen 140 eine Leihgabe aus dem Käthe-Kollwitz-Museum in Köln sind, in sechs Räumen chronologisch ausgestellt: von Kollwitz’ ersten Schritten, die vom Naturalismus geprägt waren, über ihre Zugehörigkeit zur 1898 gegründeten Berliner Avantgarde-Künstlergruppe „Berliner Secession“, die sich gegen Tradition, Kaiser und den starren akademischen Kunstbetrieb stemmten, über ihre Stiche, in denen sie die Schrecken des Krieges anprangert, bis zu den Werken am Ende ihres Leben, die den Tod zum Thema haben. Einige erotische Zeichnungen oder Akte sind ebenfalls zu sehen neben mehreren Skulpturen, darunter die berühmte „Pieta“ – eine Mutter, die ihren toten Sohn in den Armen hält. Eine Bronze-Replik mit dem Titel „Mutter mit totem Sohn“ bildet das künstlerische Zentrum der Neuen Wache in Berlin, der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Einige der in Straßburg ausgestellten Hauptwerke zeugen von dem sozialkritischen Blick der Künstlerin, wie der 1897 fertig gestellte Zyklus „Ein Aufstand der Weber“ in Anlehnung an Gerhard Hauptmanns Drama „Die Weber“. In den Blättern zum Weberaufstand vermittelte Kollwitz die Not frühzeitig gealterter Frauen, die ohnmächtig dem Dahinsiechen ihrer unterernährten Kinder zusehen müssen. Die in Berlin und München an Frauenakademien als Zeichnerin und Malerin ausgebildete Kollwitz brachte sich in der heimischen Wohnung die druckgrafischen Techniken selbst bei, ihre Modelle waren nun ihre Kinder und die von zahlreichen Schwangerschaften ermatteten Patientinnen ihres Mannes. Rund zehn Jahre später, im Jahr 1908, griff sie ein ähnliches Thema auf, den Deutschen Bauernkrieg. Dieser zweite bedeutende Zyklus von Kollwitz ist auch in Straßburg zu sehen. Wieder erzählte sie ihre Geschichten über Mutterfiguren. In einem Brief beschrieb sie ihr Blatt „vergewaltigt“: „Eine Frau ist in einem verwüsteten Krautgarten liegengelassen worden. Sie wurde von umherstreifenden Söldnern vergewaltigt. Das Bauernhaus ist zerstört, hinter dem Zaun steht ihr Kind, das davongelaufen war und nun herübersieht.“
Im Kaiserreich verschmäht (so verweigerte ihr Kaiser Wilhelm II. die ihr 1898 im Rahmen der Großen Berliner Kunstausstellung zugesprochene goldene Medaille, weil man Frauen damals keine eigene Schöpferkraft zugestand) erfuhr Kollwitz in der Weimarer Republik (1918-1933) offizielle Anerkennung. Als erste Frau wurde sie Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, aus der sie die Nazis im Frühjahr 1932 drängten, ab 1936 durfte Kollwitz ihre Werke nicht mehr ausstellen.

Ein weiteres wichtiges Thema war für Kollwitz der Krieg, der ihr den 18-jährigen Sohn Peter nahm, der in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs fiel. Der Sohn hatte sich freiwillig an die Front gemeldet. Als glühende Pazifistin kämpfte Kollwitz in der Weimarer Republik für den Frieden. Dieses Engagement beeinflusste stark ihre Arbeiten, wie etwa das berühmte Plakat „Nie wieder Krieg“, das eine Frau mit erhobener rechter Hand zeigt. Während der NS-Zeit hatte sie Ausstellungsverbot und lebte zurückgezogen im Kreise ihrer Familie, ein Sohn war ihr geblieben. Käthe Kollwitz starb im April 1945, kurz vor der Kapitulation Nazi-Deutschlands, im Alter von 78 Jahren auf dem Rüdenhof bei Moritzburg.

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