Saarländisches Staatstheater „Ein Reinraum für die Rheintöchter“

Saarbrücken · Nach über 30 Jahren gibt es wieder einen „Ring“ am Saarbrücker Theater, Wagners vierteiliges Monumental-Werk ist ein Kraftakt für jede Bühne. Diese Saison beginnt es mit „Rheingold“. Wir begleiten in einer kleinen Serie den Weg der Produktion bis zur Premiere am 28. März.

  Bühnenbild im Puppenstubenformat: So stellt sich das Kreativteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka die Bühne für „Rheingold“ vor, eine Art High-Tech-Labor, in dem an der „Optimierung“ des Menschen geforscht wird.

Bühnenbild im Puppenstubenformat: So stellt sich das Kreativteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka die Bühne für „Rheingold“ vor, eine Art High-Tech-Labor, in dem an der „Optimierung“ des Menschen geforscht wird.

Foto: Magdolna Parditka

Auch hehrste Kunst startet gelegentlich alltäglich. Erstmal also ein paar Sicherheitshinweise bei der Konzeptionsprobe von „Rheingold“. Kurz gesagt: Falls es brennt, nix wie raus aus dem Großen Haus des Saarländischen Staatstheaters. Zur Not auch im Kostüm; die Feuerwehr halte im Falle des Notfalls wärmende Decken bereit. Muss sein. Und zum Auftakt von Richard Wagners „Ring“ ist das irgendwie auch passend. Schließlich endet das Spektakel götterdämmernd mit Walhall in Flammen.

33 Jahre ist es her, dass letztmals ein kompletter „Ring“ am Saarbrücker Theater das Rampenlicht erblickte. Kein Wunder, wer Wagners Tetralogie vorhat mit alleine drei Opern, die jede für sich über vier Stunden dauern, muss letzte Reserven mobilisieren. Großes Orchester, große Stimmen, großer Chor und großes Budget sind von Nöten. Doch der Saarbrücker Intendant Bodo Busse wollte schon, als er noch im kleineren Coburger Theater das Sagen hatte, unbedingt das ganz Große wagen. Damals amtierte er quasi noch im Bannkreise Bayreuths, das verpflichtet. Doch sein Wunsch wurde mit mehr Distanz zum Epizentrum von Wagners Wirken bloß größer.

Die Macherinnen für den „Ring“ hatte Busse auch schon in Coburg gefunden. Dort zählten Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka quasi zu seinen Hausregisseurinnen. Sie brachten von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bis zu Puccinis „Madama Butterfly“ gleich vier Opern auf die Bühne, und wurden mit einer ihrer Produktionen 2013 auch für den deutschen Theaterpreis „Der Faust“ nominiert. Busse war und ist von der „experimentellen Handschrift“, dem „unkonventionellen Zugriff“ der beiden elektrisiert, die sich praktischerweise von der Regie übers Bühnenbild bis zu den Kostümen um alles kümmern. Busse wollte, sagt er, die beiden Ungarinnen „unbedingt“ für den „Ring“ hier. Allerdings wird das Staatstheater das kräftezehrende Projekt über mehrere Spielzeiten strecken.

Nun geht es am 28. März mit „Rheingold“, dem sogenannten Vorabend des Bühnenfestspiels, los. Und ganz oben, unterm Dach des Großen Hauses, schlägt Dienstagmorgen, kurz nach zehn, die Stunde Null für die aufwändigste Bühnenproduktion in Saarbrücken seit langem. Doch spektakulär ist da erstmal gar nichts. Der eine oder andere Gott in spe kommt sogar zu spät, weil sich in Saarbrücken wegen des Hochwassers mal wieder alles staut. Ansonsten witzeln sich Sänger, Dramaturginnen und Generalmusikdirektor Sébastien Rouland im Sitzkreis warm. Wie in der ersten Schulstunde nach den Großen Ferien, wenn man noch nicht weiß, wie die neuen Lehrerinnen so sind. Alexandra Szemerédy muss allerdings nur einmal mahnen: „keine Handys!“. Die Aufmerksamkeit kommt dann quasi von allein. Schließlich erfahren Solisten und Dirigent jetzt, wo die Regiereise hingehen soll. Es bliebe auch keine Zeit für ein Schwätzchen, denn, was Szemerédy und ihre Co-Kreative Parditka vorstellen, ist ein einstündig sprudelnder Ideenquell.

Als Spiel streitlustiger Götter, Riesen und Nibelungen sehen die beiden Wagners „Rheingold“ jedenfalls nicht. „Brauchen wir noch Götter“, fragt Szemerédy, „wenn wir Leben künstlich erschaffen können, heißt das doch im Grunde, dass wir selbst Götter sind“. Sie wollen Wagners Tetralogie „für das hier und jetzt decodieren“, ergänzt Parditka. Um neueste Medizintechnik, Genforschung und um künstliche Intelligenz wird es gehen, um Menschen, die sich „selbst optimieren, die 120 oder auch 150 Jahre alt werden wollen“. Darum, wie Investorengeld die Wissenschaft regiert, und ums Forschen jenseits aller moralischer Grenzen. „Und wer bekommt Zugang zu dieser Wissenschaft, wer profitiert davon?“, fragen beide. In Zeiten, wo etwa der Schweizer Pharmariese Novartis ein millionenteures Medikament für todkranke Kinder „verlost“, haben die beiden den Puls der Zeit ganz offenbar exakt im Blick.

Und von diesen Ideen ist der Weg zu ihrem Bühnenbild ein kurzer. Als Puppenstube haben es Szemerédy und Parditka schon mal mitgebracht. In einem Labor wird Göttervater Wotan da als Wissenschaftsmanager wirken – und auch die Rheintöchter werkeln in einem Reinraum. Gut eine Stunde lang lässt das Kreativgespann so seine Ideen sprudeln, manchmal müssen sie allerdings auch passen, wenn Nachfragen konkret werden, Wotan Peter Schöne etwa wissen will: „Und was ist dann mit meinem Speer?“ Doch in diesem Zukunftslabor braucht der Göttergewaltige wohl was anderes. Was sich noch finden muss.

Jetzt, zu Beginn, geht es ja auch erstmal um das große Ganze, die groben Rollenvorstellungen. Dirigent Sébastien Rouland schaut manchmal fragend auf die drei Bühnenetagen im Modell: Wo werden da die Sänger stehen? Schließlich hat auch er seine Vorstellungen. Viele große Produktionen „irritieren“ ihn, sagt er, weil die Sänger „quasi immer mit Vollgas singen“, und der Klang leide. Die Arbeit an Ausdruck, Farbe, Finesse will er dagegen setzen, ja, ein bisschen Belcanto für den „Ring“. Vielleicht wird sogar das größte Wagnis mit Wagner.

Premiere: 28. März, Saarländisches Staatstheater.

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