Programmreform bei SR2 Auf der Suche nach der richtigen Dosis

Saarbrücken · Nach der Programmreform auf SR2 Kulturradio fürchten Saar-Autoren Schaden für die Literatur und laden zur Diskussion.

 Ricarda Wackers, Chefin von SR2 Kulturradio   Foto: SR/Pasquale d‘Angiolillo

Ricarda Wackers, Chefin von SR2 Kulturradio Foto: SR/Pasquale d‘Angiolillo

Foto: SR/Pasquale D'Angiolillo/PDA

Beide lieben Literatur, und beide wollen diese Leidenschaft teilen. Doch wenn sich Ricarda Wackers, Chefin von SR2 Kulturradio, und Klaus Behringer, Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller Saar (VS Saar), heute Abend im Saarländischen Künstlerhaus gegenüber sitzen, geht es nicht um Neuerscheinungen und Lesetipps. Sondern um Sendezeiten und Studien, gefühlten und tatsächlichen Literaturschwund im Radio.

Unter dem Titel „Nur über Nacht in der Mediathek!“ hat der VS Saar zu einer Podiumsdiskussion geladen, bei der eine Reform des Literaturprogramms thematisiert wird, die der Saarländische Rundfunk im vergangenen September auf SR2 vornahm und deren Kern die Fusion zweier Sendungen und veränderte Sendezeiten ausmacht. „Die Literatursendungen insgesamt wurden gekürzt. Das ist ein Problem, das ich auf die Geringschätzung der Literatur zurückführe“, sagt Behringer vorab auf Anfrage. „Ich sehe keinen Literaturschwund beim SR, die Anzahl der Kurzbeiträge hat sich nicht reduziert, sondern findet nur an anderer Stelle statt“, entgegnet ihrerseits Wackers.

Konkret wurde die Sendung „Bücherlese“ am Mittwochabend gestrichen, welche aber mit ihrem Konzept der Kurzbeiträge in „Literatur im Gespräch“ (mittwochs, 19.15 bis 20 Uhr) aufging. Im zweiwöchigen Rhythmus dreht sich auf diesem Sendeplatz nun „Literatur im Gespräch – Das Magazin“ um Kurzbeiträge, Rezensionen und Hörbuchtipps, oder liefert als „Literatur im Gespräch“ Autoreninterviews mit Lesungen. Weiter im Programm sind „Fortsetzung folgt“ (montags bis freitags, 14.04 bis 14.30 Uhr), „Fragen an den Autor“ (sonntags, 9.04 bis 10 Uhr), „Andruck“ (montags, 19.15 bis 20 Uhr) und „Hörspielzeit“ (sonntags, 17.04 bis 18 Uhr).

Der VS Saar kritisiert vor allem die Veränderungen bei „Literatur im Gespräch“. „Was Bücherlese und Literatur im Gespräch angeht, bedeutet die Reform einen Rückgang der literarischen Sendezeit um circa ein Drittel“, teilte der Verband mit, nicht ohne zu schlussfolgern, dass „der Schaden für die Literatur“ die Vorteile „bei Weitem“ überwiege. Klaus Behringer erklärt dazu: „Früher konnten Autoren eine Stunde über Werke sprechen oder lesen, diese Möglichkeit gibt es nun nur noch alle 14 Tage“. Zudem führt er an, dass weniger Sendeplätze für die Autoren geringere Verdienstmöglichkeiten bedeuteten. Dies komme bei Honoraren für Lesungen zum Tragen. „Es ist ein Problem, denn für Autoren gibt es weniger Gelegenheiten, als Studiogast eingeladen zu werden.“

Wackers erklärt, warum sie in der Umgestaltung – die nicht auf Sparzwang fuße, sondern die Stärkung des Tagesprogramms verfolge – einen Vorteil für die Literatur sieht. „Die Beiträge, die früher in der Bücherlese vorkamen, laufen eins zu eins im Tagesprogramm, wo wir unsere Berichterstattung über Literatur wesentlich verstärkt haben und das zu einer Zeit, in der wir deutlich mehr Hörer zählen.“ Insofern hätte sich der Anteil der Literatur erhöht. Überdies seien die Veränderungen am Literaturprogramm auch eine Maßnahme, um sich neuen Hörgewohnheiten anzupassen und ein neues Publikum zu gewinnen.

Ebenfalls zur Diskussion eingeladen ist Dieter Dörr, Medienrechtswissenschaftler an der Universität Mainz. Denn mit Sicherheit wird die Rede auch auf die nachmittägliche Sendung „Fortsetzung folgt“ gehen. Anlass sind die Verlegungen der letzten vier Folgen der Lesung von Nicolas Mathieus „Wie später ihre Kinder“ und aller Folgen von Annie Ernaux’ „Erinnerung eines Mädchens“ von 14.04 auf 22.30 Uhr.

Womit man beim SR im Dezember einer Empfehlung der Jugendschutzbeauftragten folgte, daran bemängelt der VS Saar, dass abends „kaum jemand“ zuhöre. „Ernstzunehmende Literatur kann auch Erwachsenen auf den Magen schlagen, aber man darf Hörer nicht ins Laufställchen sperren“, findet Behringer. Wackers sagt, dass Rundfunk- und Pressefreiheit ihre Schranken in den Gesetzen zum Schutz der Jugend finden – auch bei Lesungen. „Kinder können in etwas geraten, dass sie nicht einordnen können, zumal eine Folge mit einer sehr krassen Szene einer oralen Vergewaltigung endet, die auch nicht pädagogisch begleitet wird“, erklärt sie. Die Lesung von Nicolas Mathieus „Wie später ihre Kinder“ lief aus Jugendschutzgründen komplett im Abendprogramm. Unabhängig davon wundert sich Wackers aber darüber, dass die vom VS Saar vieldiskutierte Programmreform von Hörern „keinerlei Rückmeldungen“ hervorgerufen habe.

 Klaus Behringer, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes  VS Saar   Foto: Klaus Behringer

Klaus Behringer, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes  VS Saar Foto: Klaus Behringer

Foto: Klaus Behringer
 Vier Lesungsfolgen ihres Romans „Erinnerung eines Mädchens“ verschob SR2 lieber ins Abendprogramm: Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux (l.), hier mit ihrer Übersetzerin Sonja Finck zu Gast in Saarbrücken.

Vier Lesungsfolgen ihres Romans „Erinnerung eines Mädchens“ verschob SR2 lieber ins Abendprogramm: Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux (l.), hier mit ihrer Übersetzerin Sonja Finck zu Gast in Saarbrücken.

Foto: Kerstin Krämer

Diskussion „Nur über Nacht in der Mediathek!“ heute, 20 Uhr, Saarländisches Künstlerhaus. Der Eintritt zur Diskussion ist frei.

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