31-jährige Dirigentin aus Saarbrücken Nicht aus dem Takt zu bringen

Saarbrücken · Dirigentin Ruth Reinhardt gilt als Senkrechtstarterin – die gebürtige Saarbrückerin hat weltweite Engagements. Obwohl Corona auch sie erst einmal ausgebremst hat, ist sie morgen mit dem HR-Sinfonieorchester zu erleben.

 Ein Diplom der renommierten New Yorker Juilliard School of Music öffnete der gebürtigen Saarbrückerin Ruth Reinhardt auf ihrem Weg ans Dirigentenpult viele Türen, nicht nur in den USA.

Ein Diplom der renommierten New Yorker Juilliard School of Music öffnete der gebürtigen Saarbrückerin Ruth Reinhardt auf ihrem Weg ans Dirigentenpult viele Türen, nicht nur in den USA.

Foto: Foto: Sylvia Elzafon

Dass Ruth Reinhardt am morgigen Mittwoch das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks dirigiert und nicht das Deutsche Symphonie Orchester in der Berliner Philharmonie, ist dem Corona-Virus geschuldet. Es hat ihren Konzertkalender über den Haufen geschmissen. Ende Juni war zudem ein Open-Air-Konzert mit dem MDR-Sinfonieorchester geplant. Alle ihre Konzerte, viele davon in den USA, aber auch in Norwegen, Schweden, der Schweiz oder Lichtenstein sind abgesagt oder auf das kommende Jahr verschoben. Auch einer der bisher wohl spannendsten Auftritte in ihrer jungen Kariere fiel dem Virus zum Opfer: Im Juli hätte die 31-Jährige ein Konzert mit der Los Angeles Philharmonic in der Hollywood Bowl geleitet – vor 9000 Zuhörern und mit dem Weltklasse-Pianisten Jean-Yves Thibaudet als Solisten. Dvořák und Liszt standen auf dem Programm. „Das wäre super cool gewesen“, sagt die sympathische junge Frau ein bisschen enttäuscht, aber keineswegs geknickt beim Gespräch auf der Terrasse eines Saarbrücker Cafés. Sie weiß, ihre Zeit kommt wieder. Und sie hat schon viel erreicht.

Auf dem Weg nach oben in der Welt der Klassischen Musik bringt das Corona-Virus Ruth Reinhardt vielleicht ein wenig aus dem Takt. Aber nicht aus der Ruhe. Ihre unfreiwillige Auszeit verbringt sie zurzeit in ihrer Heimatstadt Saarbrücken. Es fällt ihr nicht ganz so schwer. „Ich mag Saarbrücken, bin gerne bei meiner Familie.“ Hier wuchs Ruth Reinhardt auf, machte Abitur an der Waldorfschule in Altenkessel, bekam ihre erste musikalische Ausbildung an Geige und später Oboe, sang im Kinderchor des Staatstheaters, spielte in mehreren Orchestern, dirigierte viele von ihnen. Zum Taktstock kam sie durch Zufall und gewissermaßen mit Erkältung: Bei einem Musikworkshop in Frankreich mit ihrem Jugendorchester holte dessen Dirigent die damals 16-jährige verschnupfte Oboistin ans Pult. Sie probierte es aus und hatte eine Art Erweckungserlebnis. „Ich wusste sofort, das will ich machen, ich will Dirigentin werden!“, erinnert sich Reinhardt.

Von da an war ihr Ziel gesetzt, einen Plan B habe sie nie gehabt. „Ich liebe das Dirigieren so sehr, dass ich es unbedingt machen muss“, sagt sie – und weiß um ihre Fähigkeiten. „Man braucht Führungsqualitäten und die Begabung, sich mit Menschen verbinden zu können, Bezüge herzustellen. Nur so entsteht ein schöner Klang“, erklärt sie. „Das hat viel mit Kommunikation zu tun.“

Ihre eigene Begabung stellte sie früh unter Beweis: Mit 17 komponierte sie eine Kinderoper („Das kleine Gespenst“ nach Otfried Preußler), die in der Alten Feuerwache aufgeführt wurde. Nach dem Abitur bewarb sie sich in Zürich für den Studiengang Dirigieren, ging von dort nach Leipzig, um schließlich als nur eine von drei Auserwählten ein Stipendium für die berühmte New Yorker Juilliard School of Music zu ergattern. Dort erwarb sie ihren Master bei Alan Gilbert, bis 2017 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und heute Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. „Ich bewundere seine respektvolle Art, seinen Sinn für Rhythmik“, sagt Reinhardt über ihren Lehrer und Mentor. Sie selbst sieht ihre Stärke im ernsthaften, tragischen Repertoire. „Ich mag Struktur und daher gerne slawisches oder ungarisches Repertoire, Spätklassik und Frühromantik, aber auch Musik des 20. Jahrhunderts.“ Für einen Cole-Porter-Abend sei sie eher nicht die Richtige, sagt Reinhardt lachend. „Man muss wissen, was man nicht gut macht.“

Wie und was sie gut macht, konnte Ruth Reinhardt gleich nach der Beendigung ihres Studiums unter Beweis stellen. Denn ein Diplom der Juilliard School of Music öffnet viele Türen, nicht nur in den USA. Und so blieb sie zwei Jahre lang in den Staaten, wo sie erst bei den Seattle Symphonikern und dann zwei Jahre lang als Assistenz-Dirigentin des Dallas Symphony Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden (seit 2018 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker) arbeitete. In Dallas gelang ihr auch der Durchbruch, denn dort sprang sie spontan für den erkrankten polnischen Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski (1923-2017) ein. Ausgerechnet für den berühmten „Skrowa“, den Ehrendirigenten der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern, der dem Orchester seit Jahrzehnten eng verbunden war. „Man rief mich im Flugzeug an, ob ich das machen könne. Ich hätte ja eigentlich nur assistieren sollen. Aber das Orchester hat mir vertraut und mir diese Chance gegeben. Ich hatte tolle Konzert-Kritiken, das hat mir sehr geholfen“, erzählt Reinhardt. „Ich hatte mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm gefreut, weil ich ihn von den Auftritten in Saarbrücken kannte und bewunderte.“ Dass sie einmal für ihn einspringen würde, damit hatte sie nicht gerechnet.

Es sollte ihre Karriere weiter befördern. Mittlerweile gut etabliert, wagte sie 2018 den Sprung auf den freien internationalen Konzert-Markt. Es folgten Konzerte mit großen, bekannten Orchestern unter anderem in Stockholm, Paris, Graz und in einer ganzen Reihe von Städten in Nordamerika. Nun hat das Corona-Virus ihren Karrieresprung ausgebremst, der Konzertkalender auf ihrer Internetseite ist erstmal leer – bis auf eine Ausnahme am morgigen Mittwoch: Dann dirigiert Ruth Reinhardt das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks in der Livestream-Reihe „Stage@seven“. Man kannte und schätzte sich bereits vom Neujahrskonzert.

Dass Ruth Reinhardts erneuter Anlauf erfolgreich sein wird, daran besteht kein Zweifel. Und von ihr wird noch viel zu hören sein. Frauen wie sie erobern die Pulte, geben den Takt vor, verändern die nach wie vor patriarchal geprägten Strukturen in der Welt der Klassischen Musik. Untereinander sei man gut vernetzt, einige etablierte Dirigentinnen haben die junge Kollegin auch gefördert. Marin Alsop aus den USA zum Beispiel, die das Baltimore Symphony Orchestra leitete und seit 2019 dem Radio-Symphonieorchester Wien vorsteht, oder die Finnin Susanna Mälkki, Chefin der Helsinki Philharmoniker. Und vielleicht trifft man Ruth Reinhardt in den kommenden Jahren auch Mal am Pult der DRP an… Zuhause, in Saarbrücken.

Konzerte mit HR-Sinfonieorchester, morgen und am Freitag, 12. Juni, je 19 Uhr, in der Reihe „Stage@seven“, Live-Streaming aus dem Sendesaal des Hessischen Rundfunks unter https://www.hr-sinfonieorchester.de/livestreams/stageseven. Morgen Robert Schumann „Cellokonzert“ und Wolfgang Amadeus Mozart „Eine kleine Nachtmusik“, am Freitag Edvard Grieg „Aus Holbergs Zeit“ und Bohuslav Martinů „Oboenkonzert“.

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