Ophüls-Eröffnungsfilm „A Black Jesus“ Es ist schon ein Kreuz mit der Integration

Saarbrücken · „A Black Jesus“ ist der Eröffnungsfilm des 42. Filmfestivals Max Ophüls Preis. Die Dokumentation, produziert von Wim Wenders, zeigt die kleine Welt eines sizilianischen Ortes – und zugleich symbolhaft die Lage und Rolle Europas.

 Die Prozession am 3. Mai mit der schwarzen Jesus-Figur ist für viele in Siculiana der Höhepunkt des gesamten Jahres.

Die Prozession am 3. Mai mit der schwarzen Jesus-Figur ist für viele in Siculiana der Höhepunkt des gesamten Jahres.

Foto: RoadMovies/Luca Lucchesi

 „Das Komische ist: Die Leute mögen die Schwarzen nicht – aber sie lieben diesen schwarzen Jesus.“ So knapp und treffend fasst Edward, ein Geflüchteter aus Ghana, den Grundkonflikt des Films zusammen. Die Dokumentation „A Black Jesus“ führt nach Sizilien, in das Örtchen Siculiana; dort wird seit Hunderten von Jahren an jedem 3. Mai eine schwarze Jesusfigur bei einer Prozession durch die Straßen getragen – für viele im Dorf der religiöse und gesellschaftliche Höhepunkt des Jahres. Die Jesusfigur tragen zu dürfen, ist eine große und seltene Ehre, die von den Vätern an die Söhne weitergegeben wird (mittragende Töchter sind in der Orts-Historie nicht bekannt). Um die Farbe der Figur ranken sich einige Spekulationen – etwa dass der einst weiße Jesus durch die Sünden der Menschen schwarz geworden sei, wie der Friseur im Ort erzählt.

In jedem Fall ist dieser schwarze Jesus einigen Menschen im Ort der mit Abstand willkommenste Nicht-Weiße. 2014 wurde hier das nahezu insolvente Hotel „Villa Sikania“ in ein Flüchtlingszentrum umgewandelt – wer als Flüchtender Lampedusa erreicht, landet irgendwann in Siculiana. Und dort fühlen sich einige Einheimische mittlerweile als Minderheit. In dieses Spannungsfeld führt uns Regisseur Luca Lucchesi erst einmal von oben, mit Luftbildern dieses überwiegend malerischen Ortes. Dann lässt er die Kamera durch die engen Gassen schweben und nimmt uns mit in eine Wohnküche, in der mehrere ältere Frauen einen Kuchen vorbereiten und von ihrer Gefühlslage berichten. Angst hätte sie, sagt eine, vor den dunkelhäutigen Männern, die aussähen, als seien sie „mit Tinte bemalt“. Da wechsele sie aus Vorsicht lieber die Straßenseite. Ihre Freundin am Küchentisch sieht das anders und christlicher, schließlich seien wir alle doch Brüder und Schwestern. Da wiederum denken viele anders: Eine Demonstration zieht durch die Stadt, von „Invasion“ wird gesprochen, man hätte jetzt „vier Jahre unseres Dorfes“ geopfert;  der Ort, an dem die Geflüchteten unterrichtet werden, müsse endlich geschlossen werden.

„A Black Jesus“  taucht tief ein in diese kleine Welt – ein Mikrokosmos, der  zugleich die globalen Konflikte widerspiegelt. Regisseur Lucchesi stammt aus dem Ort, er hat selbst einst das Kreuz getragen, die Bewohner seiner alten Heimat treten ihm mit viel Vertrauen entgegen und erzählen ihm von der Lage im Ort, wo die Furcht vor der „Invasion“ nicht die einzige Angst ist. „Diese Stille im Ort“, sagt ein Mann, „ist die Stille von spielenden Kindern, die nicht hier sind“. Der Ort vergreist langsam. Im Sommer ist zumindest einiges los dank der Touristen, aber sonst geht es bergab. „Italien ist am Ende“, sagt ein anderer Mann, „alle gehen nach Deutschland und kommen nicht mehr wieder.“ Er selbst hat Jahrzehnte in Deutschland gearbeitet, war sehr zufrieden, doch zurück in der alten Heimat fühlt er sich überrannt. Seine Hoffnung setzt er, beginnend mit der klassischen Rhetorik „Ich bin kein Faschist, aber…“,  in Matteo Salvini, zur Zeit der Dreharbeiten der flüchtlingsfeindliche Innenminister Italiens. „Salvini ist verrückt“, sagt dagegen jener Lehrer, der in dem umgenutzten Hotel die Flüchtenden unterrichtet. Er unterstützt auch die drei Ghanaer (denen der Zutritt des lokalen Fitnessclubs verwehrt wird) bei ihrer Idee, ihre Religion zu leben und zugleich der Ortsgemeinschaft näher zu kommen: Sie wollen bei der nächsten Prozession das Kreuz mit dem schwarzen Jesus mittragen. Wie wird die Gemeinde reagieren?

Lucchesi begleitet den Ghanaer Edward  zum Gespräch mit dem Priester der Ortes, zur Diskussion mit den Organisatoren der Prozession – die Reaktionen sind nicht begeistert, aber wohlwollend, bei der nächsten Prozession dürfen sie das Kreuz mittragen. Ob das der Beginn einer geglückten Annäherung ist, weiß man nicht: Als sie sich als Novizen beim Tragen des schweren Kreuzes als verständlicherweise ungeübt erweisen, heißt es aus der Menge der Prozession: „Was hast Du erwartet? Es sind eben Zulus.“ Andererseits weisen die roten Schals die drei Männer jetzt als Teil der Gemeinde aus, was für manche Dorfbewohner die Hemmschwelle, sie anzusprechen, spürbar senkt. Über geglückte oder nicht geglückte Integration muss man sich im Ort aber keine Gedanken machen – das Flüchtlingszentrum wird geschlossen, die Flüchtenden werden woanders hingebracht und warten, damit schließt der Film, immer noch auf ihre Papiere, von möglicher Arbeit ganz zu schweigen. So beginne der Abstieg in die Kriminalität, sagt der Lehrer.

Es ist die grundlegende Stärke der Dokumentation, dass sie ein differenziertes Bild zeigt – es geht nicht um Flüchtende und einen wohlmeinenden Lehrer contra einen Block von Rassisten. Der Film macht klar, wie die eigene schwierige wirtschaftliche Lage (die mit den Flüchtenden nichts zu tun hat) Angst und Unbehagen schürt, die sich dann von skrupelfreien Politikern gezielt nutzen lassen. Davon erzählt Luccesi thematisch mit vielen Zwischentönen und optisch mit prächtigen Bildern im Cinemascope-Format. Nach seiner Uraufführung beim Dokumentarfestival in Leipzig und seiner Festivaleröffnung in Saarbrücken kommt der Film im April ins Kino.

Festivalprogramm und
Informationen unter ffmop.de

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