Interview Saarbrücker Regisseur Wolfgang Staudte: Der immer politische Kopf

Saarbrücken · Die Saarbrücker Wolfgang-Staudte-Gesellschaft widmet sich dem Werk des saarländischen Regisseurs (1906-1984) – unter anderem beim Ophüls-Festival.

 Die Diskussion nach Staudtes Film „Die Rebellion" im Saarbrücker Filmhaus. Links die Vereinsvorsitzende Uschi Schmidt-Lenhard, am Pult Psychoanalytiker und Autor Alf Gerlach. Rechts oben im Bild sieht man einen Neon-Staudte.

Die Diskussion nach Staudtes Film „Die Rebellion" im Saarbrücker Filmhaus. Links die Vereinsvorsitzende Uschi Schmidt-Lenhard, am Pult Psychoanalytiker und Autor Alf Gerlach. Rechts oben im Bild sieht man einen Neon-Staudte.

Foto: Tobias Keßler

Der Saarbrücker Regisseur Wolfgang Staudte (1906-1984) ist einer der wichtigsten deutschen Filmemacher der Nachkriegszeit. Er drehte gesellschaftskritische Filme wie „Die Mörder sind unter uns“, „Der Untertan“ und „Rosen für den Staatsanwalt“ – aber er arbeitete auch intensiv fürs Fernsehen, drehte viele „Tatorte“ und die legendären ZDF-Abenteuervierteiler „Lockruf des Goldes“ und „Der Seewolf“. Die Saarbrücker Wolfgang-Staudte-Gesellschaft widmet sich der Erinnerung an den Regisseur, gerade hat sie beim Filmfestival Max Ophüls Preis Staudtes Film „Die Rebellion“ gezeigt. Wir haben über den Film und die Ziele der Staudte-Gesellschaft mit der Vorsitzenden Uschi Schmidt-Lenhard gesprochen.

„Die Rebellion“ war 1962 nach vielen Kinofilmen Wolfgang Staudtes erster Fernsehfilm – wie kam es zu dem Wechsel? Hatte er es im Kino zunehmend schwer?

SCHMIDT-LENHARD Ja. Filme, Kinofilme nach dem eigenen Geschmack, der eigenen Intention zu drehen, ist wahrscheinlich immer schwer. Damals noch mehr als heute vielleicht, heute kann man vieles kostengünstiger herstellen. Und Staudte war ja ein politischer Regisseur mit dem Anspruch, sich mit seinen Werken gesellschaftskritisch zu engagieren. Weil das Interesse an solchen Filmen damals aber offensichtlich nicht groß genug war, hatte er mit anderen sogar eine eigene Produktionsfirma gegründet, um unabhängig zu sein. So war 1960 „Kirmes“ entstanden. Allerdings stieß sein ausgesprochener Wunsch, „Die Rebellion“ zu verfilmen, auf Widerstand bei den Verleihern, so dass das Kino dafür nicht mehr in Frage kam.

Staudte hat später viele Fernsehfilme gedreht, Serien, Vierteiler – teilweise auch um Schulden nach dem Bankrott seiner Produktionsfirma abzubezahlen. Diese Arbeiten waren nicht immer Herzensangelegenheiten, sondern Auftragsarbeiten. Welche Position hat da „Rebellion“?

SCHMIDT-LENHARD Na ja, es sind schon hin und wieder Arbeiten entstanden während seiner Arbeit fürs Fernsehen, hinter denen Staudte stehen konnte. Wie „Der Snob“, eine Verfilmung nach Carl Sternheim, war auch „Die Rebellion“ nach Joseph Roth ein Film, den Staudte unbedingt machen wollte. Hier fand er, fast übrigens wie in Heinrich Manns „Der Untertan“, den er ja 1951 kongenial verfilmt hatte, seine Themen wie Kriegsgegnerschaft, Antimilitarismus oder seine Kritik an der Unterwürfigkeit gegen die Obrigkeit treffend zum Ausdruck gebracht.

Ist „Die Rebellion“ stilistisch anders als seine Kinofilme? Wie ging Staudte mit der literarischen Vorlage um?

SCHMIDT-LENHARD Staudte hatte den Stoff noch als Kinofilm konzipiert, er wurde auch auf 35 Millimeter gedreht. Aber da sich kein Verleih gefunden hatte, bot Staudte ihn dem Norddeutschen Rundfunk an. Die Filmbilder sind in typischer Staudte-Manier sorgfältig und exakt komponiert, sie sind in Schwarz-Weiß, die Illusion des Spiels ordnet sich der gedanklichen Aussage unter. Was der Roman mit seinem Erzählstil schafft, schafft der Film mit seinen Bildern: Man wird eher zum Mitdenken angeregt als zum Mitleiden. Die Filmbilder kommentieren den Erzähltext, gelegentlich erhöhen sie die Ironie. Wie bei der „Untertan“-Verfilmung ist Staudte an dem wortwörtlichen Erhalt des literarischen Erzählduktus gelegen. Es gibt einen Erzähler, der weite Passagen aus dem Roman spricht, und die Dialoge halten sich auch an die Vorlage. Die Filmsprache entspricht dem klaren, zugänglichen Stil seiner Vorlage und konzentriert sich auf die Intention des Romans: Der Kriegsinvalide akzeptiert klaglos den Verlust seines Beines, weil er kritiklos den Obrigkeiten wie Kirche, Staat und seinen Beamten glaubt, dass sich der Einzelne dem Vaterland mit seinem Körper, seiner Psyche, letztendlich mit seinem Leben unterzuordnen hat. Ein ideeller Ausgleich für sein Bein ist eine Auszeichnung, die er sich ans Revers heften kann, und er erhält eine Lizenz zum Drehorgelspielen, damit er sich seinen Lebensunterhalt erbetteln kann. Schnörkellos wie der Roman erzählt der Film, wie die Manipulation durch die Obrigkeit funktioniert.

„Die Rebellion“ ist sehr selten zu sehen, als DVD gibt es ihn nicht, auch nicht als Filmkopie – war er schwer aufzutreiben? In welcher Form haben Sie ihn im Filmhaus gezeigt?

SCHMIDT-LENHARD Die Recherche nach einer aufführungsfähigen Kopie war in der Tat aufwendig. Zu danken haben wir Klaus Gietinger und vor allem Carolin Weidner, der Ko-Programmleiterin des Max-Ophühls-Teams, die nun für uns zuständig ist. Mit ihr haben wir großes Glück gehabt. Als Filmwissenschaftlerin kann sie die Bedeutung Staudtes einschätzen, sie hat sich mit großem Interesse und intensiv um die Recherche gekümmert. Sie fand heraus, dass es zumindest noch eine 16-Millimeter-Kopie in Berlin gibt, die aber in keinem guten Zustand und für die Nutzung gesperrt ist. Aber in Bologna, beim Filmfestival „Il Cinema Ritrovato", war „Die Rebellion“ im Sommer 2021 während einer großen Staudte-Hommage zu sehen. Dort wurde eine digitale Fassung aus Hamburg gezeigt, auf die wir nun auch in Saarbrücken zurückgreifen konnten. Für Weidner ist es wichtig, Filme außerhalb des Kanons zu präsentieren, neue Perspektiven zu eröffnen. Sie hat uns auch darauf hingewiesen, dass „Die Rebellion" einer der Staudte-Lieblingsfilme des 2022 verstorbenen Ralf Schenk war, dem langjährigen Vorstand der Defa-Stiftung und auch ein sehr engagiertes Mitglied der Staudte- Gesellschaft. Er hat sich in vielen seiner Artikel mit Staudte beschäftigt und unterstützte unsere Arbeit mit Engagement. So sei, sagt Carolin Weidner, die Wahl von „Die Rebellion" auch ein Abschiedsgruß an ihn.

Wie passt der Film in die heutige Zeit?

Die Tasche, die die Wolfgang-Staudte-Gesellschaft für den Filmabend hergestellt hat.

Die Tasche, die die Wolfgang-Staudte-Gesellschaft für den Filmabend hergestellt hat.

Foto: Tobias Keßler

SCHMIDT-LENHARD Der Krieg ist das verbindende Thema von Roman, Film und unserem Jetzt. Der Roman von Joseph Roth aus dem Jahr 1924 handelt in der Zeit des Ersten Weltkriegs und zeigt aus der Perspektive eines einzelnen Menschen die unabsehbaren Folgen, die ein Krieg haben kann. Das ist natürlich auch die Perspektive, aus der Staudte blickt. Als Kind hat er die Zerstörung miterlebt, die sein Vater, auch ein Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges, davongetragen hat. Den Zweiten Weltkrieg erlebte Staudte selbst im kampfumtosten Berlin. Aus der Sicht dieser Einzelnen, die mit ihrem Körper, ihrer Psyche und ihrem Leben das austragen, was andere entschieden haben, ist die Kriegsgegnerschaft für ihn folgerichtig.

Staudte war ein politischer Regisseur, wie positioniert sich die Staudte-Gesellschaft in dieser Zeit und vor dem Hintergrund des Angriffskriegs auf die Ukraine?

SCHMIDT-LENHARD Wie sich „die“ Staudte-Gesellschaft positioniert, kann ich so natürlich nicht sagen. Die Mitglieder der Gesellschaft sind Individuen, die einzeln denken und je verschiedene Meinungen haben. Durch ihre Mitgliedschaft unterstützen sie den in der Satzung beschriebenen Zweck des Vereins: „die Aufrechterhaltung und Weiterführung“ des Staudteschen „Vermächtnisses“ und die „ideelle Weiterführung seiner Auffassung von künstlerischer Tätigkeit in gesellschaftlicher Verantwortung.“ Das ist natürlich allgemein gefasst und kann zu unterschiedlichen Haltungen und Einschätzungen führen. Ganz explizit und eindeutig aber hat sich Staudte in seinen verbalen und filmischen Äußerungen gegen den Krieg ausgesprochen. Für mich selbst, und nur für mich selbst, kann ich hier in diesem Zusammenhang reden – allerdings sind einige Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich habe sprechen können, auch dieser Meinung. Für uns gibt es kein Argument, das den Krieg rechtfertigt. So ein Satz ist natürlich Zündstoff, derzeit und hierzulande. Man sollte sich bei der Meinungsbildung über den Krieg an sich, seine Befürwortung oder seine Ablehnung, vielleicht immer wieder verdeutlichen, aus welcher Perspektive man diese Fragen betrachtet. Das könnte zu etwas mehr Klarheit führen. Denn gerade ist die Diskussion zwischen den beiden „Lagern“ so emotionalisiert, so dass man nicht vernünftig nachdenken kann. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass niemand von uns in die Zukunft sehen kann. Wir haben auch nicht die Möglichkeit zu probieren, welche Herangehensweise zum – wie immer definierten – Ziel führt. Unzweifelhaft ist, dass jeder Krieg unvorhersehbare Folgen hat, und dass er einen Bruch mit der Zivilisation darstellt, der die Menschen zum barbarischen Handeln untereinander bringt. So gesehen ist der Krieg unberechenbar im Hinblick auf die menschlichen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen. Unzweifelhaft ist auch, dass jeder moderne Krieg zunehmend die Gefahr der nuklearen Auslöschung der Menschheit zur Folge in sich birgt. Mit dieser Gewissheit, oder dieser Angst, aber gehen die Menschen wiederum unterschiedlich um. In dieser Zeit ist es, glaube ich, wichtig, die Situation zu entemotionalisieren, um rational nach Lösungen zu suchen.

Sie haben nach der Vorführung Baumwolltaschen verteilen mit einem Foto Staudtes und seinem Zitat: „Angeklagt allein ist der Krieg. ... Opfer des Krieges sind nicht nur die Toten.“ Kommt der Pazifismus nicht an Grenzen, wenn der Krieg schon da ist?

SCHMIDT-LENHARD Ich weiß nicht genau, ob der Pazifismus damit an seine Grenzen kommt. Der Pazifismus ist eine Haltung, die aus einer Einsicht gewonnen wird. Diese Einsicht entsteht, wie erwähnt, unter anderem aus der Analyse der verschiedenen Perspektiven, aus denen man den Krieg an sich betrachtet. Der einzelne, der im Schützengraben liegt, und sein Leben, seine physische, psychische und geistige Existenz aufs grässliche „Spiel“ setzt, denkt anders über den Krieg nach als derjenige aus „sicherer“ Entfernung. „Angeklagt allein ist der Krieg, und gemeint ist“, so lautet das Staudte-Zitat auf den Taschen weiter, „dass es nur ein moralisches Verhalten gibt, mit aller Kraft gegen den Krieg zu sein. Den Anfängen zu wehren. Wenn es zu spät ist, gibt es nicht nur Opfer. Opfer des Krieges sind nicht nur die Toten.“ (Staudte, 1960) Die Opfer sind auch die Trauernden, deren Existenz vernichtet wurde durch das im Krieg verursachte seelische Leid. Und da man nicht immer einzelne Verursacher ausmachen kann, konstruiert man Feindbilder, man richtet seinen Hass auf ganze Nationen, um dem Leid einen Zielpunkt geben zu können. So dauert ein Krieg weit über eine Generation hinweg an. Diese Kriegsfolgen sollte man mitbedenken, wenn man Entscheidungen trifft. Denn zu jedem Zeitpunkt eines Krieges gibt es Entscheidungsalternativen. Auch pazifistische.

Was sind die aktuellen Projekte der Staudte-Gesellschaft?

SCHMIDT-LENHARD In diesem Jahr planen wir eine Veranstaltung, der wir alle relevanten Zitate von Staudte gegen den Krieg aus seinen Reden und Filmen zusammentragen, um uns in einer nicht-kriegerischen Art darüber auszutauschen. Denn der Frieden beginnt vor, während und nach den Kriegen. Vorher, am 11. Februar, gedenken wir, gemeinsam mit dem Saarländischen Filmbüro und dem Kino Achteinhalb, unseres verstorbenen Gründungsmitglieds Manfred Voltmer. Er hat unser pazifistisches Engagement wesentlich und engagiert mitgetragen. Wir zeigen seinen für den Grimme-Preis-nominierten Film „Von Walter zu Waltraud“. Darin dokumentierte er filmisch die Geschlechtsänderung seines ehemaligen Schulkameraden Walter in Frau Waltraud Schiffels.

Was geschieht mit dem Nachlass Staudtes, den die Staudte-Gesellschaft besitzt?

SCHMIDT-LENHARD In unserem Besitz befinden sich Digitalisate aus verschiedenen Nachlässen Staudtes und filmische Interviews, die Klaus Gietinger und ich geführt haben mit Zeitzeugen, wie seinem Biografen, seinem ehemaligen Regieassistenten, Beleuchter oder einer Maskenbildnerin und andere recherchierte Materialien. Wir arbeiten daran, diese Zeugnisse für die Öffentlichkeit aufzubereiten. Gleichzeitig erfährt unsere Website, auf der wir bereits einige Publikationen und anderes Material zu Staudte zusammen tragen, immer mehr Beachtung. Eines unserer jüngsten Mitglieder bringt Staudte in Rezensionen und Übersetzungen gerade nach Japan, und über Simone Signoret ist jüngst das Buch „Simone à Babelsberg“ erschienen, geschrieben von Cyril Buffet, der dafür auch in Saarbrücken bei uns recherchiert hat.

Informationen und Kontakt:
www.wolfgang-staudte-gesellschaft.de

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