Zum 90. Geburtstag des Bildhauers Leo Kornbrust „Meine Lieblingsskulptur ist immer die letzte“

St. Wendel · Der St. Wendeler Bildhauer Leo Kornbrust wird heute 90 Jahre alt und kann auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken.

 Leo Kornbrust (linkes Foto) steht an einer seiner Skulpturen, unweit seines Wohnhauses an der Damra bei Baltersweiler. Dort verläuft auch die St. Wendeler Skulpturenstraße. Heute feiert der Künstler seinen 90. Geburtstag. An der Damra traf er sich 1971 (rechtes Foto) auch mit Autor Ludwig Harig (re.) und Maler Hans Dahlem (vorne li.).

Leo Kornbrust (linkes Foto) steht an einer seiner Skulpturen, unweit seines Wohnhauses an der Damra bei Baltersweiler. Dort verläuft auch die St. Wendeler Skulpturenstraße. Heute feiert der Künstler seinen 90. Geburtstag. An der Damra traf er sich 1971 (rechtes Foto) auch mit Autor Ludwig Harig (re.) und Maler Hans Dahlem (vorne li.).

Foto: Iris Maria Maurer

In der großen, hellen  Wohnküche in Leo Kornbrusts Haus bei Baltersweiler an der Damra gibt es für Besucher viel zu entdecken. Die Wände sind über und über mit Fotos und Zeitungsausschnitten, Kunstwerken und Gedichten, Kinderzeichnungen und allerlei anderen kleinen und großen Erinnerungsstücken behängt. Im Flur steht ein ganzes Bataillon kleinerer Skulpturen. Kornbrusts 2009 verstorbene Ehefrau, sein verehrtes, künstlerisches Pendant, die Lyrikerin Felicitas Frischmuth, ist an diesem Ort nicht nur in Fotografien weiter lebendig. Ihre Texte grüßen vielsagend von den Wänden.

„Wir genießen das Interesse füreinander“, hat „Fee“, wie er sie liebevoll nannte, ihrem Liebsten geschrieben. Dass dieses Interesse aneinander in 60 Jahren nicht nachließ, macht wohl das Geheimnis einer guten Ehe aus, die zwar keine Kinder, aber Kunst hervorbrachte. Die Gemeinschaftsarbeiten des Künstlerpaars geben Zeugnis davon: Seit den 70er Jahren verbanden sich Stein und Schrift in den mit Frischmuths Texten gravierten Stelen und Skulpturen Leo Kornbrusts. Eine dieser Stelen steht am Saarlandmuseum in Saarbrücken.

Auf einem Stuhl in Kornbrusts Haus lehnt die gerahmte Urkunde, mit der der Bildhauer im April zum Ehrenbürger St. Wendels ernannt wurde. „Ich wollte meinen Geburtsort nie verlassen“, erzählt er – und tat es als 21-Jähriger doch, um sich 1947 an der Münchner Kunstakademie für die Bildhauer-Klasse von Toni Stadler zu bewerben. Er wurde dessen Meisterschüler und war später lange Jahre dann selbst Professor für Bildhauerei in München. Er, der nie ein Gymnasium besucht und stattdessen im Krieg zuerst eine Schreinerlehre absolviert hatte und später durch glückliche Zufälle außerdem zum Holzbildhauer ausgebildet wurde, fand also über seine außergewöhnliche künstlerische Begabung den Weg in die akademische Welt, in der er sich erst nicht zurechtfand. „In München war ich kurz vorm Aufgeben“, erinnert er sich. „Ich konnte lange den Sprung nicht machen zu dem, was wirklich aus mir selbst kam.“ Irgendwann schaffte er es – und von da an arbeitete Kornbrust wie ein Besessener. Ein zweibändiges Werksverzeichnis (herausgegeben vom Museum St. Wendel), anhand dessen man die künstlerische Entwicklung Kornbrusts, sein Hinarbeiten auf die „innere Linie“, nachvollziehen kann, zeugt von dieser kreativen Energie. Für sein Werk wurde Kornbrust im Laufe seines Lebens immer wieder ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Albert-Weisgerber-Preis der Stadt St. Ingbert (1967) und dem  Kunstpreis des Saarlandes (1984). „Die innere Linie“ – Leo Kornbrust hat sie offensichtlich für sich selbst gefunden. Über seine Arbeiten spricht er nicht gerne, will nichts erklären. „Ich verstehe es ja“, schmunzelt er. „Außerdem war ich noch nie ein Mann der Sprache.“ Für die Wörter war seine Ehefrau zuständig. Und um die „Straße des Friedens“ kümmert sich der von ihm gegründete Verein mit Sitz in Kornbrusts Wohnhaus. Für den Betrachter ist es dennoch interessant und hilfreich zu wissen, dass Kornbrusts sogenannte „innere Linie“ auf die Verletzlichkeit des Menschen verweist, wie Katja Hanus in ihrem Beitrag zum Künstlerlexikon Saar schreibt. Kornbrust legt den Stein gewissermaßen Schicht um Schicht bis zu dessen Kern, dem Rückgrat ähnlich, frei und stößt so nicht nur mit Hammer und Meißel  an die Grenzen der Stabilität.

Der Bildhauer lebt mit seinen Skulpturen in und um sein Haus vor den Toren St. Wendels, inmitten üppiger Natur. Oben, auf der Baltersweiler Höhe, verläuft die von ihm 1971 initiierte Skulpturenstraße mit über 50 Arbeiten vieler Künstler, die sich damals auf Einladung Kornbrusts zum ersten St. Wendeler Bildhauer-Symposium einfanden. Die behauenen Steine, die markant aus der Landschaft ragen, weisen den Weg zu Kornbrust, dessen Werke in ganz Europa zu finden sind, und der mit der Ende der 70er Jahre entstandenen „Skulpturenstraße des Friedens“ ein völkerverbindendes Kunst-Projekt geschaffen hat, das die Vision des jüdischen, im Konzentrationslager ermordeten Künstlers und Bildhauers Otto Freundlich (1878-1943) umsetzt. „Ich lernte Freundlichs Werk Anfang der 70er Jahre in Wien kennen“, sagt der 90-Jährige. „Ich konnte den Blick gar nicht abwenden von seinen Skulpturen.“ Diese Seelenverwandschaft muss es gewesen sein, die Kornbrust – unterstützt von seiner Frau – dazu brachte, dieses mittlerweile über 5000 Kilometer umfassende europaweite Netz aus Skulpturen unzähliger Künstler auf den Weg zu bringen.

An den Wänden seines Hauses entdeckt man viele Fotografien von Moskau, wo die Skulpturenstraße mit einer seiner Pyramiden beginnt. Sie endet in St. Aubin-sur-Mer in der Normandie, ebenfalls mit einer Kornbrust-Pyramide. Eine weitere steht in St. Wendel, seiner geliebten Heimatstadt, die er nie verließ, obwohl er jahrelang als Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie in München arbeitete.

Kornbrust erinnert sich gerne an seine wilde Zeit in München, wo er viele Künstler kennenlernte, auch viele Frauen, erzählt er verschmitzt. Und doch zog ihn seine Heimatverbundenheit immer wieder zurück nach St. Wendel, wo er an dem Ort, an dem er immer noch lebt, am 31. August 1929 als eines von vier Kindern geboren wurde. Das alte Elternhaus an der Damra steht nicht mehr, er hat in den 60er Jahren ein neues Anwesen an gleicher Stelle errichtet, samt Atelier. Es steht heute leer, denn Leo Kornbrust kann nach einem Schlaganfall vor sechs Jahren nicht mehr arbeiten. „Sonst würde ich es heute noch tun“, sagt der 90-Jährige. Ob er denn eine Lieblingsarbeit habe? „Meine Lieblingsskulptur ist immer die letzte“, sagt Kornbrust.

Was seinen Nachlass betrifft, so hat der Künstler Vorsorge getroffen. Eine Kornbrust/Frischmuth-Stiftung „Poesie und Skulptur“ mit Sitz in seinem Wohnhaus soll sich um seine Werke kümmern. Dazu wird sein Atelier zu einem Schauraum für eine Auswahl seiner Arbeiten umgebaut. Ein kleines Kulturzentrum soll an der Damra entstehen, erläutert Cornelieke Lagerwaard, Leiterin des Museums St. Wendel und Kornbrusts Vertraute.

 Kornbrust (hinten) 1971 mit Autor Ludwig Harig (re.) und Künstler Hans Dahlem in St Wendel.

Kornbrust (hinten) 1971 mit Autor Ludwig Harig (re.) und Künstler Hans Dahlem in St Wendel.

Foto: ohne co

Und wie wird Leo Kornbrust seinen Geburtstag heute verbringen? Es wird gefeiert. Der Jubilar hat Freunde, Familie, Wegbegleiter und einige offizielle Gäste in seinen wunderschönen Garten eingeladen. Das Liquid Penguin Ensemble spielt, es wird einige Reden geben. Es gibt wohl einiges zu sagen. Alles Gute zum Geburtstag!

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