Neu im Kino: „Der Sommer mit Anais“ Vorsicht – französischer Wirbelwind

Saarbrücken · Die temporeiche Liebeskomödie „Der Sommer mit Anais“ startet in Saarbrücken.

 Liebes-Irrungen und Wirrungen: Schriftstellerin Emilie (Valeria Bruni Tedeschi, links) und Anais (Anaïs Demoustier).

Liebes-Irrungen und Wirrungen: Schriftstellerin Emilie (Valeria Bruni Tedeschi, links) und Anais (Anaïs Demoustier).

Foto: Prokino

Gegenüber Fremden scheu zu sein ist ein Gefühl, das Anais fremd ist. Tatsächlich verhält sie sich nie so offen und redselig wie in Gegenwart von Menschen, die sie nie zuvor gesehen hat. Anais‘ Wohnungsbesitzerin etwa ist eigentlich nur vorbeigekommen, um einen Rauchmelder anzubringen und nach zwei ausstehenden Monatsmieten zu fragen, doch damit dringt sie bei Anais nicht durch.

Wie ein Wirbelwind ist diese verspätet hereingebraust, fegt von einer Ecke der Wohnung zur anderen und konfrontiert die distanzierte Frau damit, dass sie die Miete nicht zahlen konnte, weil ihr Freund auf ihren Wunsch ausgezogen ist – obwohl sie mit ihm zusammenbleiben will. Die Lösung des Mietproblems muss vertagt werden, weil Anais für ihre nächste Verabredung schon wieder zu spät dran ist und die Wohnungsbesitzerin stehen lässt.

Kommunikation ist bei Anais eine einseitige Angelegenheit. Und auf Ratschläge reagiert sie allergisch; wohl vor allem deshalb plaudert sie vor Unbekannten fröhlich aus dem Nähkästchen, während sie bei Menschen, die ihr nahestehen, zurückhaltend und ausweichend wird. Im Innersten will sie, dass alles so bleibt, wie es einmal war, auch wenn sie selbst in ihrem Dasein rastlos von einer Station zur nächsten hastet.

Mit der Hauptfigur ihres ersten Spielfilms „Der Sommer mit Anais“ stellt die französische Regisseurin Charline Bourgeois-Tacquet diese Protagonistin ins Zentrum: selbstständig, modern, gebildet und kunstsinnig, im Wesen aber sprunghaft, angetrieben von der Furcht, das Wichtige im Leben zu verpassen, und zurückscheuend vor jeder verbindlichen Beziehung. Im Grunde folgt sie dem klassischen Stadtneurotiker-Typus im Kino.

Anais ist immer wieder rennend zu sehen, um sich trotzdem ständig zu verspäten und im Leben nicht voranzukommen. Damit, dass sie den Abgabetermin für ihre Abschlussarbeit im Literaturstudium einhalten wird, braucht niemand zu rechnen; eine befristete Stelle bei ihrem Doktorvater ist die einzige berufliche Option, doch auch dafür bringt sie kaum Interesse auf; ihren Geldmangel nimmt sie zwar als Problem wahr, doch nicht als eines, das ihr den Schlaf raubt.

Bourgeois-Tacquet bewegt sich mit einer locker gehaltenen, bewusst nicht zugespitzten Szenenabfolge, die einen Schwerpunkt auf wechselnde Liebesbeziehungen setzt, auf einem im französischen Kino vertrauten Terrain. Hauptdarstellerin Anais Demoustier kann mit ihrer quirligen, impulsiven Spielweise die Sprünge im Verhalten ihrer Figur glaubhaft und liebenswert machen.

Die Hauptfigur Anais lässt sich auf den erheblich älteren Verleger Daniel Moreau-Babin ein, was aber beiden keine Erfüllung bringt. Zwar kommt es zu heimlichen Treffen, und Anais zieht kurzzeitig bei Daniel ein; Leidenschaft entwickelt sich aber weder bei ihr noch bei Daniel – denn der hat keine Absicht, sein gemütliches Leben an der Seite der Schriftstellerin Emilie aufzugeben.

„Der Sommer mit Anais“ setzt auf temporeiche Dialoge und Situationen, die nicht nur auf Wortwitz aufbauen, sondern immer wieder auch eine beachtliche Vielschichtigkeit erreichen. Insbesondere gilt das für die Beziehung zwischen Anais und Emilie, die über die offensichtliche gleichgeschlechtliche Anziehung hinaus die Ängste und Projektionen beider Frauen berührt. Das subtile Zusammenspiel zwischen Anais Demoustier und einer überzeugend bedächtig agierenden Valeria Bruni Tedeschi gibt vor allem dem zweiten Teil des Films eine vibrierende Spannung.

„Der Sommer mit Anais“ startet am Donnerstag in der Camera Zwo in Saarbrücken. Kritiken zu den anderen Neustarts finden Sie in unserer Beilage treff.region.

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