Markus Müller im Porträt Das Rampenlicht überlässt er nun den anderen

Neunkirchen · Der Neunkircher Markus Müller hat zwei Hüte auf, ist Kulturmacher und Kulturmanager zugleich. Er hat’s in die Saarbrücker Profi-Truppe „Corso op“ geschafft und ist zugleich Geschäftsführer der Neunkircher Kulturgesellschaft. Wie klappt das?

 Markus Müller, Geschäftsführer der Neunkircher Kulturgesellschaft, auf der Bühne der Neunkircher Gebläsehalle. Im Hintergrund das Bühnenbild für die Aufführung „To Trump With Love“.   Foto: Robby Lorenz

Markus Müller, Geschäftsführer der Neunkircher Kulturgesellschaft, auf der Bühne der Neunkircher Gebläsehalle. Im Hintergrund das Bühnenbild für die Aufführung „To Trump With Love“. Foto: Robby Lorenz

Foto: Robby Lorenz

Die Frage nach einem Hobby erübrigt sich. Oder, anders gesagt: Im Fall von Markus Müller (50) ist es eine nach dem Zweit-Hobby. Und das wiederum kann es nach landläufiger Meinung eigentlich nicht geben. Weil schlicht die Lebenszeit nicht reicht. Müller, hier zu Lande der wohl bekannteste Semi-Profi im darstellenden Geschäft, steckt jede Freizeit-Minute und nahezu jede zweite Urlaubs-Minute in Proben oder lernt Text. Manchmal sieben Mal wöchentlich. Selbst jetzt noch, da er Job-bedingt beim Theater kürzer treten muss.

Denn Müller hat die Seiten gewechselt, ist vom Amateur-Kulturmacher zum Profi-Kultur-Manager geworden, fungiert seit Februar dieses Jahres als Geschäftsführer der Neunkircher Kulturgesellschaft. Das verpflichtet ihn zur Neutralität gegenüber allen Kulturschaffenden. Also gab der Kultur-Tausendsassa diverse Ämter ab, ist nicht mehr im Vorstand des Neunkircher Kulturvereins, kein Vorsitzender des „Kulisse“-Theatervereins mehr, zog sich als Produktionsleiter aus dem Neunkircher Musicalprojekt zurück, zu dessen Gründungsteam und Schauspieler-Truppe er gehörte. Sogar eine Rolle beim erfolgreichen St. Arnualer „Volxtheater“ sagte er ab, das der ehemalige Saarbrücker Staatstheater-Schauspieler Martin Leutgeb gegründet hat. An dieser Stelle des Gesprächs kommt ein tiefer, sehr tiefer Seufzer. Doch dann sofort ein typischer Müller-Satz: „Den Herzschmerz über einen probenfreien Abend oder Sonntag mildert das Boulespielen.“ Und ja, das ist seine zweitliebste Freizeit-Beschäftigung, als Mitglied des (nicht eingetragenen) „Vereins zur Förderung des Boulesports und der mediterranen Lebensart“. Die einzige Regel der Truppe: „Kein Pastis vor zehn Uhr morgens.“

Müllers gemütliche Körpersprache lässt auf ein bedächtiges Temperament schließen, das ihm auf der Bühne eine eigenwillige, mächtige Schubkraft verleiht. Müller selbst beschreibt sich als „barocken Typ“. Die Kunst in seinem Zimmer spricht eine andere Sprache, wohl just deshalb. „Ich bevorzuge die Bauhaus-Linie“, sagt er. Aus der Kermer-Sammlung, die der Stadt Neunkirchen geschenkt wurde, wählte er ausschließlich abstrakte Werke, hinzu treten zwei Kunstplakate aus dem Internet. Das eine zeigt Bert Brecht – bei Müller nicht etwa das Bekenntnis zu einem agitatorisch-sozialaufklärerischen Theaterkonzept –, sondern weil er dessen Aphorismen schätzt, etwa: „Die Widersprüche sind unsere Hoffnung“. Außerdem hat er sich die „Ikone“ Steve Wonder in die Nähe geholt, vor allem ästhetische Gründe sprachen für diese Wahl. Heimatbilder, sprich industriekulturelle Motive, kommen nicht vor. Das Foto des Neunkircher Hüttenareals ließ Müller im Rathaus zurück, wo er seit 1997 Pressechef war. Schließlich beginnt was Neues. 25 Mitarbeiter hat er jetzt, einen 1,75 Millionen-Euro-Etat, fünf Jahre läuft sein Vertrag.

Nicht ganz unumstritten war Müllers Karrieresprung, den mancher als letzte Liebestat des scheidenden Neunkircher Oberbürgermeisters Jürgen Fried (SPD) sah. Müller kontert: „Praxis schadet nicht. Wenn Klaus Bouillon als St. Wendeler Bürgermeister einen Triatlethen in seinem Team gehabt hätte, wäre er froh gewesen.“ Müller ist stolz auf die kulturellen Impulse, die er weit vor seiner Berufung in seiner Heimatstadt einbringen konnte, dazu zählt auch der Günter-Rohrbach-Filmpreis. Trotzdem musste auch Müller wie alle Mitbewerber um den Geschäftsführer-Posten ins Asessment-Center, absolvierte die Bewertungs-Prozedur: „Es war der harte Weg. Ich saß bis abends auf heißen Kohlen.“ Als Pressechef war er anschließend allerdings zuständig für die Pressemitteilung zur eigenen Ernennung. Für solche Kuriositäten hat Müller in seiner Rolle als Theatermann ein Faible.

Bereits am Neunkircher Krebsberg-Gymnasium fing er im Schultheater Feuer, machte dann bei den Neunkircher Amateuren der „Kulisse“ mit, vertiefte die Erfahrung als Student in Missouri. Sein Studienfach: Politikwissenschaften. Das Berufsziel: Journalist, nicht etwa Schauspieler. „Ich habe nicht genug dafür gebrummt, Profi zu werden. Ich war zu unentschlossen.“ Also stürzte Müller sich neben seinem Job als Radiojournalist, unter anderem bei Radio Salü, in die freie Szene, belegte Theater-Workshops, begeisterte sich fürs Improvisationsspiel. Zugleich beobachtete er sehr genau das Saarbrücker Staatstheater – und fand dort seinen ersten Meister, den Tiroler Martin Leutgeb. Nicht von ungefähr bezeichnet sich Müller heute als „austrophil“, er liebt den österreichischen Sprachduktus und auch den todesbitttersüßen, schrägen Humor vieler Autoren. Insgesamt fünf Mal besuchte der Neunkircher im Jahr 2000 die „leichte, tieftraurige“ Aufführung „Indien“ im Theater Arnual. Nach dem vierten Mal sprach Leutgeb ihn an, danach ging’s ganz schnell mit der Idee für ein soziokulturelles Neunkircher Musicalprojekt. Es wurde zum Aushängeschild der Stadt. Müller stand selbst mit auf der Bühne, unter anderem in „Jedermann“ oder in „Stumm. Das Musical“. 2017/2018 stemmte er eine Paraderolle, sein „Midlifecrisis“-Projekt, wie er es nennt: „The Producers“ von Mel Brooks. Als charakterlich schillerndes Schlitzohr Max übertraf er alle Erwartungen, nicht nur die der Kritik, auch die eigenen. Das war Futter fürs Selbstbewusstsein, das man als Amateur braucht, wenn man sich unter Profis wagt. Müller ließ sich von der ehemaligen Staatstheater-Schauspielerin Nina Schopka für deren Saarbrücker Kollektiv „Corso op“ engagieren, zusammen realisieren sie eine progressiv-experimentelle Trilogie. Im Oktober steht die Uraufführung des dritten Teils an, es ist bis auf ein langes Weiteres der letzte Müllersche Auftritt als Schauspieler, das Einzige, was er sich an Theaterspiel als Kulturmanager noch gönnt. Aber womöglich verpasst er gar nicht so viel? Nichts mehr Neues unter der Theatersonne? Müller betrachtet die Theaterbücher auf seinem Büro-Regal. „Was soll das Volk im Theater?“ lautet ein Titel oder „Schöne Bilder vom hässlichen Leben“. Müller sinniert über Regie-Moden, die Video-Gewitter oder die allgegenwärtigen Wasserlachen auf den großen Bühnen. Ach ja, das Rampenlicht gehört jetzt den anderen.

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