Hemmersdorf Pop Festival Ein Feenwesen lässt das Akkordeon brummen
Hemmersdorf · Urban, natürlich englisch auszusprechen, im Saargau. Musik und Klanglandschaften, die ihre Fangemeinden eher in Städten wie Berlin, London, Paris haben, an drei Tagen in der Grenzlandhalle und der Kirche St. Konrad in Hemmersdorf.
Die letzte Möglichkeit, mit dem Nahverkehr an größere Bahnhöfe wie Saarlouis oder Saarbrücken zu gelangen, besteht um 22 Uhr.
Kein Mainstream-Pop
Konzertveranstalter Chris W. Burr und Mitstreiter stellen bereits im vierten Jahr das Hemmersdorf Popfestival auf die Beine, wobei das „Pop“ im Namen etwas irreführend ist, denn erklärte Absicht ist, hier keinen Mainstream-Pop aufzuführen, sondern das Publikum auf eine Entdeckungsreise mitzunehmen, selten gehörte Perlen zu präsentieren, Künstler einzuladen, die man im Saarland sonst nicht hört. Die Zugkraft des Festivals ist noch ausbaufähig, es braucht, wie Thomas Roscheck vom Hemmersdorfer Popförderverein bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Grenzüberschreitung als kulturelles Prinzip“ sagte, „einen langen Atem.“
Gesangverein Hemmersdorf
Begriffe schwirren umher, um das Festival mit Worten zu fassen. „Boutique Festival“ – was auf das Ausgesuchte des Programms verweisen soll. „arty, postpunk, Crossover, Chamberpop, Neoklassik, weird pop, ambient“ … und so weiter. In der Kirche singt aber erst mal der Hemmersdorfer Männergesangsverein, voll integrierter Programmpunkt und deutliches Zeichen dafür, dass Teilhabe und Verankerung am Ort wichtig für diese ungewöhnliche Musikveranstaltung sind. Der Gesangsverein singt Leonard Cohens „Halleluja“ mit intonationssicherem Solisten und erntet großen Applaus.
Vielleicht trifft die Pianistin, Sängerin und Komponistin Lisa Morgenstern genau den Nerv des Hemmersdorfer Popfestivals, als sie einen Titel ankündigt. Sie könne aus nachvollziehbaren Gründen nicht mit Chor und Orchester reisen, so sei letztlich aus dem „russisch-orthodoxen Chorlied etwas ganz anderes geworden.“ Etwas ganz anderes. Schublade? Fehlanzeige, immer geht es um Veränderung, Neues, Übergänge, Anverwandlung. Klanglich bleibt vieles im Ungefähren, sphärisch. Viel Elektronik begleitet auch die „Reise ins Universum“, die Lisa Morgenstern, den natürlichen Hall des Kirchenraums geschickt nutzend, mit Streichensemble vorführt. Lightshow und der über allem schwebende Christus am Kreuz tragen viel zur Atmosphäre bei.
Beatrice und Melissa, ein bilinguales zart-markantes Duo, haben einen Kunsthochschul- und Konservatoriumshintergrund und stellen sich als „DJ Club Music producer“ und „experimental Jazz Pianist“ vor, ihr Tun ginge in Richtung „UK Dub“ und „UK Garage“.
Verzauberung in der Turnhalle
Insider wissen das einzuordnen, und die sind auch geladen zu kommen, aber es sind doch vor allem Menschen aus der Gemeinde Rehlingen-Siersburg, die sich am frühen Abend in der zur Festivallounge dekorierten Turnhalle zunächst von Alicia Edelweiss verzaubern lassen. „Österreich, Akkordeon“ – Chris W. Burr setzt gezielt auf solche Verwirrspiele, Attribute, die in diesem Fall an Volksmusik denken lassen. Was dieses Feenwesen zwischen Erde und Wasser dann aber auf vier Instrumenten an eigenen Kompositionen vorträgt, macht auch aus dem walisischen Volkslied, das die aus Wales stammende Mutter der Musikerin oft sang, etwas sehr Individuelles. Von leisen Gitarrentönen zum ekstatischem Gesang mit dem hypnotischen Brummen des Akkordeons, ergreifende Musik ganz ohne Elektroniküberlagerung. Den meisten Applaus kriegt dann aber doch der alberne Hula Hoop-Reifentrick.
Die Bühnentechniker hatten die schwierige Aufgabe, jeder Formation den bestmöglichen Klang einzurichten, für die Fans von „The Irrepressibles“ (Die Unbezähmbaren) hieß das geduldiges Warten im Nieselregen vorm Kirchentor. Nach vierzehn Jahren ein erstes Wiedersehen von deutschem Publikum und Sänger Jamie McDermott alias Irrepressible. Violine, Bratsche, Cello, Klavier, Gitarre, Akkordeon, E-Piano und die hohe Stimme des Sängers formen den „kathartischen Orchesterpop“, der auf eher auf ruhige Gangart setzt. Der Abend war hier noch nicht zu Ende, das Publikum durfte sich noch auf „Flèche Love“ und „Marcel“ freuen.
Veranstalter Chris Burr spürt neue Tendenzen auf und überlegt sich die Dramaturgie der drei Tage sehr genau. Drei Spanier hatten sich im Vorjahr auf den Weg nach Hemmersdorf gemacht, um die finnische Musikerin Eydís Evensen zu hören, das Festival gefiel ihnen so gut, dass sie dieses Jahr wieder gekommen sind.