Die andere Seite Leo Kornbrusts Frühe Akte und fieberhaftes Liniengewitter

St. Wendel · Das Museum St. Wendel widmet sich dem kürzlich verstorbenen Künstler Leo Kornbrust nun in besonderer Weise. Nicht der Bildhauer steht im Zentrum, sondern sein zeichnerisches Werk.

 Eine Zeichnung von Leo Kornbrust aus dem Jahr 1959. Das Museum St. Wendel widmet dem im Sommer verstorbenen Künstler nun eine Ausstellung. Foto: VG Bildkunst 202/Museum St. Wendel

Eine Zeichnung von Leo Kornbrust aus dem Jahr 1959. Das Museum St. Wendel widmet dem im Sommer verstorbenen Künstler nun eine Ausstellung. Foto: VG Bildkunst 202/Museum St. Wendel

Foto: Museum St. Wendel

Die Jubiläumsfeiern zu seinem Lebensprojekt „Straße der Skulpturen“ hat der Bildhauer Leo Kornbrust (1929 - 2021) leider nicht mehr erlebt. Er verstarb am 20. Juli dieses Jahres nur wenige Tage vor den Feierlichkeiten. So ist jetzt die Ausstellung „Leo Kornbrust – Zeichnungen“ im Museum St. Wendel zur Gedenkausstellung, die den Bildhauer als Großen seiner Zeit feiert.

Ursprünglicher Anlass der retrospektiven Ausstellung war das 50-jährige Jubiläum der „Straße der Skulpturen“. Im Sommer 1971 initiierte Kornbrust auf der Baltersweiler Höhe bei St. Wendel ein internationales Steinbildhauersymposium. Kornbrust hatte eine Idee des deutsch-jüdischen Künstlers Otto Freundlich aufgegriffen, der in den 1930er Jahren eine völkerverbindende Skulpturenstraße des Friedens von Paris bis Moskau erdacht hatte, aber aufgrund seiner Ermordung im Konzentrationslager Lublin-Majdanek im Jahr 1943 nicht mehr umsetzen konnte. Seit 1971 haben zwischen St. Wendel und dem Bostalsee auf einer Strecke von rund 25 Kilometern 51 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt 57 Skulpturen geschaffen.

Die neue Leiterin des Museums St. Wendel, Friederike Steitz, möchte sich mit der Ausstellung noch einmal vor Kornbrust verneigen. Spannend ist die Schau vor allem, weil sie nicht bildhauerische Arbeiten versammelt, sondern sich auf Zeichnungen aus dem reichen Nachlass konzentriert. Die Werke hat Steitz nicht chronologisch und auch nicht thematisch gehängt. Sie versucht eher dem Denken, Fühlen und Arbeiten von Kornbrust nachzuspüren und lässt sich intuitiv leiten, was der Ausstellung guttut. Die Besucher können so wunderbar nachvollziehen, was den Künstler antrieb.

 Eine unbetitelte Bleistift-Zeichnung  von Leo Kornbrust aus dem Jahr 1987. Foto: VG Bildkunst 2021/Museum St. Wendel

Eine unbetitelte Bleistift-Zeichnung  von Leo Kornbrust aus dem Jahr 1987. Foto: VG Bildkunst 2021/Museum St. Wendel

Foto: VG Bildkunst 2021/VG Bildkunst 2021/Museum St. Wendel

Los geht es im ersten Raum mit figurativen Aktzeichnungen aus dem Jahr 1959, die aus einem dichten Linien-Stakkato zur Form verschmelzen. Anfang der 1960er Jahren entwickelte Kornbrust seinen typischen Zeichenstil. Immer stärker begann der Künstler zu abstrahieren. Die Formen lösen sich auf, die Körper versinken in Schraffuren und „Gekritzel“. Wunderbar die filigranen Kugelschreiberzeichnungen aus dem Jahr 1969, die an Bäume erinnern, die fieberhaften Liniengewitter, welche die Maserung von Kornbursts bevorzugtem Material Stein nachahmen, genauso aber auch abstrahierte Landschaften sein könnten, die sich in der Tiefe des Bildraumes verlieren. Besonders anschaulich ist Kornbrusts Weg an vier nebeneinander gehängten Frauenakten zu erkennen. Die Studien einer Nackten in kauernder Haltung wandeln sich zu geometrischen Grundformen und zerfließen dann.

In den 70er-Jahren scheint Kornbrust wenig zu zeichnen. In der Ausstellung fehlt die Dekade und setzt erst mit einer wunderbar plastischen Raumzeichnung ein, die sehr an das bildhauerische Schaffen Kornbrusts erinnert. An den beiden gegenüberliegenden Stirnwänden hängt ein Ausschnitt aus dem Spätwerk des Künstlers. Wuchtige schwarze Tuschebalken verteilen sich senkrecht auf dem Papier, kippen leicht oder springen in die Waagerechte. Abstraktion oder Abstrahierung? Es lässt sich vieles daraus lesen und doch sind es wohl nur abstrakte Experimente mit dem Bildraum. Auf der anderen Seite etwas zartere Gebilde aus dicken schwarzen Strichen, die noch ganz im Stil des Informel der 1950er Jahre verhaftet scheinen, aber im Jahr 1992 entstanden.

Leo Kornbrust schuf St. Wendeler Skulpturenstraße
14 Bilder

Bilder: Leo Kornbrust schuf die „Straße des Friedens“

14 Bilder
Foto: rup/kul

Kornburst meinte einmal in einem Interview, er brauche die Zeichnung nicht und bezog sich dabei auf zeichnerische Vorstudien zu den Skulpturen. Dass er diese nicht brauchte, beweist auch die Ausstellung, denn Kornbrusts zeichnerisches Werk steht neben seinem bildhauerischen. Für ihn schien das Zeichnen vor allem Experimentierfeld gewesen zu sein und eine Möglichkeit, die Gedanken zu ordnen. Den Zeichnungen der 1960er Jahre kommt dabei besondere Bedeutung zu, spiegeln sie doch die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem menschlichen Torso. Auf der Suche nach der „inneren Linie“ reduzierte Kornbrust die menschliche Form immer stärker, ohne die Leiblichkeit der Figur aufzugeben und nahm damit die bildhauerische Entwicklung vorweg.

Auch wenn Kornbrust immer Bildhauer war, wird man ihn spätestens mit dieser Ausstellung neu bewerten müssen. Das zeichnerische Werk ist zwar ganz in den Ideen des bildhauerischen Konzepts von Figur und Raum verhaftet, geht aber einen eigenständigen Weg. Die Zeichnungen sind keine Vorstudien, sondern eigenständiger Ausdruck der Gedankengänge des Künstlers. Sie ergänzen das skulpturale Werk und machen es verständlich und nachvollziehbar.

Leo Kornbrust: „Zeichnungen“, Museum St. Wendel, bis 31. Oktober 2021, Di - Fr 10 bis 16.30 Uhr; Sa 14 bis 16.30 Uhr;
So 14 bis 18 Uhr; Eintritt frei.

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