Die Kunstwerke von Margarete Palz entstehen an der Nähmaschine und machten sie zur „Künstlerin des Jahres 2021“ in Australien Ein Paradiesvogel, der im Alter fliegen lernte

Neunkirchen/Zweibrücken · Als junge Frau gehörte Margarete Palz zur "verlorenen" Künstlerinnen-Generation im Saarland, als über 80 Jährige macht sie jetzt Karriere – mit lebensgroßen Tanz-Skulpturen. Wie geht so was?

 Margarete Palz und ihr Bruder Gerhard Heisler im Neunkircher Arthouse, wo sie erstmals zusammen ausstellen.

Margarete Palz und ihr Bruder Gerhard Heisler im Neunkircher Arthouse, wo sie erstmals zusammen ausstellen.

Foto: Iris Maria Maurer

Unauffälliges liegt ihr nicht. Margarete Palz (84) trägt strahlende, majestätische Farben – Königsblau und Purpurrot und imposante Ohrringe. In ihrem blonden Haar steckt eine Blumenspange und das  Makeup glitzert in Pastelltönen. Da weiß eine, was sie will. Zum Beispiel nicht über Mode sprechen, selbst wenn ihr Outfit das nahe legt. Denn  ihrer Ansicht nach führen Gespräche darüber in die Irre, zu Modedesign oder zur Kostümbildnerei: „Ich mache etwas ganz anderes!“, hält Margarete Palz mit der ihr eigenen Resolutheit fest, „ich ummantele Luft.“  Was für ein Bild. Und ja, die von ihr gefertigten bunt leuchtenden Körper-Hüllen, die im Art House in Neunkirchen für die Ausstellung „2D-Symbiose-3D“ aufgereiht sind, diese Skulpturen-Armee schwereloser Fabelwesen, sie wirkt wie eine  Material gewordene Absage  an Anpassung und Zeitgeschmack, sei es in der Mode oder im Kunstbetrieb. Diese Objekte künden von der ausufernden Phantasie, von Eigen-Sinn und Freiheitsdrang ihrer Schöpferin, die für ihre hellwache Geisteshaltung eine Erklärung hat: „Die künstlerische Arbeit ist eben mein Lebenselexier.“

Tatsächlich scheint Margarete Palz aufgeladen mit jugendlicher, positiver Energie, sie bewegt sich flink, formuliert präzise  – und stürmt gedanklich und organisatorisch bereits los auf nächste Projekt, die Finissage am 11. März. Sie soll  ein Edgar-Allen-Poe-Tanztheater werden. „Meine Begabung ist ein Geschenk des Himmels, die ich nicht verkommen lassen darf“, hält sie fest. Selbstbewusst-Sein hat sie drauf.

 Die luftigen Skulpturen  von Margarete Palz entstehen an der Nähmaschine.

Die luftigen Skulpturen  von Margarete Palz entstehen an der Nähmaschine.

Foto: Gerhard Heisler

Nahezu täglich verbringt Margarete Palz  Stunden in ihrem Zweibrücker Atelier, das sie einen „Paradiesgarten“ nennt,  sitzt an der  Pfaff-Nähmaschine ihrer Tante von 1963, einer Schneiderin, und näht, statt, wie früher ein „Oh la la“-Abiturkleid, luftige Skulpturen aus Fotopapier, das sie aus dem Studio ihres Bruders, des Saarbrücker Profi-Fotografen Gerhard Heisler, bekommt. Dessen  Fotografien schneidet sie in Streifen und geometrische Grundformen, danach steppt sie sie auf hauchdünne Theaterstoffe, die sich dadurch aufpolstern und auffalten. Ihre Kunst entsteht als Work-in-Progress, den Palz mit einer Schwangerschaft vergleicht. Ihre „Kostümkinder“ wachsen  als Individuen heran, denn nie arbeitet Palz nach einem Entwurf.

 „Wearable Art“ nennt sich das – tragbare Kunst, ganz konkret, denn diese Kunst wird von menschlichen Körpern bewegt wie von einem Motor.  Diese Nische im internationalen Kunstbetrieb schillert zwischen Tanztheater,  Museum und Laufsteg-Show. In Übersee, sei es in Neuseeland, Australien, Korea oder Los Angeles hat diese Kunstform ihre Fans und ihre Bühnen. Im Jahr 2007 applaudierten 60 000 Menschen, als Margarete Palz in der Arena von Wellington beim „Runner Up New Zealand“ den ersten Preis für internationales Design holte. Damals war sie 70 Jahre alt – am Beginn ihrer Karriere, die ihr 2021 in Australien den Titel „Künstlerin des Jahres“ einbrachte.Wenn sie davon erzählt, merkt man ihr an, wie sehr sie große Auftritte genießen kann. Was für ein Weg für eine pensionierte Kunsterzieherin des Hofenfelsgymnasiums Zweibrücken, verheiratet mit einem kunstsinnigen Biologielehrer und Mutter dreier Söhne, einer davon Präsident der Universität der Künste in Berlin. In  gemütlicher Großbürgerlichkeit kann man sich den Paradiesvogel Palz allerdings so gar nicht vorstellen. Anders sein, Unkonventionellsein liegen ihr nun mal mehr. Immer schon.

 Margarete Palz mit einem ihrer Kunstwerke aus Fotopapier.

Margarete Palz mit einem ihrer Kunstwerke aus Fotopapier.

Foto: Gerhard Heisler

Als Kind kam sie als Heimatvertriebene aus Ostrau (Mähren, heute Tschechien) in die Pfalz. Ende der 50er Jahre fiel sie als „französisch angehauchte“ junge Frau im ländlichen Umfeld auf, sie studierte in der aus Pfälzer Sicht  weltläufigen Großstadt Saarbrücken, und zwar Kunst an der Werkkunstschule zugleich Kunstgeschichte  an der Universität, später auch ein Jahr in Berlin, nahm zudem Stipendien in Salzburg wahr. Eine Mutige, früh Emanzipierte, die just darüber kein Wort verliert, als sei das Sich-Behaupten selbstverständlich.

Alle „Größen“ des  damals stolzen saarländischen Kunstbetriebs waren Lehrende und Weggefährten für sie: Boris Kleint, Oskar Holweck, Jo Enzweiler, Wolfram Huschens.  Palz wurde sogar als eine der wenigen Frauen in die „neue gruppe saar“ aufgenommen, damals beschäftigte sie sich mit dem Dripping-Verfahren, schuf informelle Tropf-Bilder. Sehr lange hat sie später noch „Action Painting“ betrieben: „Es war eine Frage des Temperamentes“, meint sie zu ihrer Befreiung aus dem starren Korsett der Holweckschen Grundlehre, die sie heute noch immens hoch hält. Doch ihre spielerische Neugier besiegte den Respekt:  „Ich habe aus dem Bauhaus-Humus meine Blüten der Phantasie wachsen lassen.“

Das hat man sich dann so vorzustellen: Eine junge Blondine, barfuß am Strand in Galicien. Dort hatten ihr Mann und sie sich ein Haus gekauft. Vor Palz liegen großformatige Papierblätter auf dem Sandboden, die sie mit  Aquarellfarben bearbeitet. Die Menschen, die ihre Bilder dort sahen, kauften sie, spontan, Galeristen waren nicht nötig. „Ich habe auch als Lehrerin nie aufgehört, künstlerisch zu arbeiten“, so Palz. Der entscheidende Impuls hin zur Dreidimensionalität kam allerdings spät, Ende der 80er Jahre, durch einen Schüler, der beim Neunkircher Ballettpädagogen und Tänzer Charles Bankston Tanz-Unterricht nahm und die Begeisterung für das Musical „Cats“ in die Klasse trug. Also machte Palz Masken und Schminken zum Thema im Kunstunterricht, fuhr mit ihren Schülern zu Auftritten, perfektionierte die Bekleidung und die Choreographien, wurde schließlich mit ihren Körper-Skulpturen als Attraktion zu Auto-Präsentationen oder zu anderen Festivitäten eingeladen. 

Palz experimentierte mit Materialien wie Pappmaché, Plastik- und Alufolie. Stoff war ihr zu teuer und zu langweilig: „Mit anderen Materialien konnte man zaubern!“ So  entdeckte sie zufällig bei einem Besuch die hoch glänzenden Fehl- und Andrucke der Fotos ihres Bruders – dessen Werk, das sie nach Farben und Motiven durchforstet, sei der „Brunnen“, aus dem sie schöpfe, meint sie, und hält schelmisch fest: „Ich recycle ihn.“  Zugleich grämt es sie, dass Heisler, der jetzt im Arthouse erstmals  gemeinsam mit ihr seine „Kapilar“-Fotos ausstellt, in der öffentlichen Wahrnehmung hinter ihr zurücksteht.

Wie sollte das auch anders sein bei einer Frau wie ihr?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort