Helga Schubert liest in Saarbrücken Helga Schuberts „Leben in Geschichten“

Saarbrücken · Mit ihrem Erzählungs-Band „Vom Aufstehen“ ist Helga Schubert ein beeindruckendes Comeback gelungen. Am Mittwoch liest die 82-Jährige in Saarbrücken.

 Die Autorin Helga Schubert kommt nach Saarbrücken.

Die Autorin Helga Schubert kommt nach Saarbrücken.

Foto: dpa/Johannes Helm

„Sie wollte, dass ich über sie eine Geschichte schreibe. Hast du mit der Geschichte nun endlich angefangen, fragte sie mich, als sie schon über hundert war. Aber wie sollte ich über sie schreiben, als sie noch lebte?“ Über die Mutter zu schreiben, das gelang Helga Schubert erst nach deren Tod. Und mit jener Prosaerzählung über die Mutter gewann sie 2020 den Ingeborg Bachmann Preis. Diese berührende Muttergeschichte bildet zusammen mit 28 weiteren Erzählungen den Band „Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten“.

Es ist ein spätes, aber verdientes Comeback für die damals 80-Jährige, die in der DDR als Autorin bereits sehr erfolgreich war. Schubert verwebt in schnörkelloser, aber eindringlicher Sprache das eigene Leben mit den Brüchen deutsch-deutscher Geschichte. Ihre Beschreibungen von frühkindlichen Erinnerungen im Zweiten Weltkrieg, die gemeinsame Flucht mit der Mutter vor der Roten Armee, die deutsche Teilung, das Leben in Ostberlin und die jahrelange Überwachung der Staatssicherheit zeigen ihr Ausgeliefertsein. Dann die Wende 1989, in deren Folge sie als Pressesprecherin des „Zentralen Runden Tisches“ die ersten freien Wahlen der Volkskammer im Osten mit vorbereitete.

Am 9. Juni liest Helga Schubert in Saarbrücken
Foto: dtv

Schuberts Band ist ein großes Stück deutscher Gegenwartsgeschichte und zugleich eine wunderbare Autobiographie, deren Zentrum die komplizierte Beziehung zur Mutter bildet. Der Vater hingegen ist die große Leerstelle. Ihr Leben lang fragt sich Schubert, ob der bereits mit 28 Jahren an der Ostfront gefallene Vater sie geliebt, getröstet und in den Arm genommen hätte. Denn dieses Gefühl von Aufgehobensein lernt sie bei der Mutter nicht kennen. Im Gegenteil. Schuberts Mutter ist abweisend, verletzend, emotional strafend, als sie ihr von drei Heldentaten erzählt, die sie in ihrem Leben vollbracht hätte: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen oder vergiftet. Und sie fordert: „Die Menschen deiner Generation sollten ihren Müttern, die sie damals auf der Flucht retteten, ein Denkmal setzen.“

Das sind Passagen, die verstören und erschüttern. Doch die Schreibende bleibt ruhig, nähert sich mit nuancierter Sprache, empathisch und analysierend dem abweisenden Verhalten der Mutter an. Eine Ruhe, die sich Schubert gewiss auch in ihrer jahrzehntelang ausgeübten Tätigkeit als Psychotherapeutin angeeignet hat. Schubert findet einfache, behutsame Worte für komplexe, schmerzliche Vorgänge – mit dem Ziel der Vergebung. „Etwas erzählen, das nur ich weiß. Und wenn es noch jemand liest, weiß es noch jemand. Für die wenigen Minuten, in denen er die Geschichte liest. In der unendlichen, eisigen Welt.“ Insofern ist die Rekonstruktion des eigenen Lebens, das vorsichtige Abklopfen von Erinnerungsfragmenten ein Bekenntnis zur Vergangenheit. Dabei söhnt sich die Autorin mit der Vergangenheit ebenso aus wie mit ihrer Mutter, die sie als Kind ihrer Zeit zu verstehen und anzunehmen versteht.

 Die Schriftstellerin Helga Schubert in diesem Mai bei der Eröffnung des 25. Bundeskongress der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Bundesstiftung Aufarbeitung. Sie hielt den Festvortrag zur Eröffnung unter dem Titel „Die Diktatur ist die Täterin. Oder?“.

Die Schriftstellerin Helga Schubert in diesem Mai bei der Eröffnung des 25. Bundeskongress der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Bundesstiftung Aufarbeitung. Sie hielt den Festvortrag zur Eröffnung unter dem Titel „Die Diktatur ist die Täterin. Oder?“.

Foto: dpa/Frank Hormann

Erinnernd schafft Helga Schubert sich einen inneren Ort voller Wärme, bedingungsloser Liebe und Zugewandtheit. Erinnerung ist ihr „idealer Ort“, und so leuchten sinnenhafte Bilder vom „Aufwachen nach dem Mittagsschlaf in der Hängematte im Garten“ der Großmutter in der Greifswalder Obstbausiedlung am ersten Sommerferientag auf. „Ich lag im Schatten, und es war ganz still. Und es duftete nach dem warmen Kuchen. Am gedeckten Kaffeetisch. Bis zum Ende des Sommers. So konnte ich alle Kälte überleben. Jeden Tag. Bis heute.“

Helga Schubert: Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten. dtv, 224 Seiten, 22 Euro. Lesung in der Reihe „Böll & Hofstätter“ in der Stiftung Demokratie Saarland, Europaallee 18 (SB): Mittwoch, 9. Juni, 19 Uhr – auch im Livestream. Karten (8/5 Euro) in der Buchhandlung St. Johann, Kronenstraße 6, Saarbrücken. Tel: (06 81) 95 80 54 64, buchhandlung.st.johann@t-online.de

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