Riskanter Traum vom Glück auf Knopfdruck

Saarbrücken. Niemand konnte ihn retten. "Jetzt hat er sich umgebracht", dachte Diplom-Sozialarbeiter Hartmut Görgen von der Landesfachstelle Glücksspielsucht Saarland, als er vom Selbstmord eines spielsüchtigen Patienten erfuhr. Gerade, als der Mann die Therapie in Saarbrücken hinter sich hatte und es gepackt zu haben schien

 Die Zahl der Geräte in Spielhallen stieg nach Angaben der Landesfachstelle Glücksspielsucht von 2006 bis 2010 um 54 Prozent. Die Fachstelle beruft sich auf eine Untersuchung zur Angebotsstruktur der Spielhallen und Unterhaltungsautomaten. Foto: dpa

Die Zahl der Geräte in Spielhallen stieg nach Angaben der Landesfachstelle Glücksspielsucht von 2006 bis 2010 um 54 Prozent. Die Fachstelle beruft sich auf eine Untersuchung zur Angebotsstruktur der Spielhallen und Unterhaltungsautomaten. Foto: dpa

Saarbrücken. Niemand konnte ihn retten. "Jetzt hat er sich umgebracht", dachte Diplom-Sozialarbeiter Hartmut Görgen von der Landesfachstelle Glücksspielsucht Saarland, als er vom Selbstmord eines spielsüchtigen Patienten erfuhr. Gerade, als der Mann die Therapie in Saarbrücken hinter sich hatte und es gepackt zu haben schien. Aber er konnte sich nicht verzeihen und ging nach einer niederschmetternden Lebensbilanz in den Tod.3000 Spielsüchtige gebe es im Saarland, sagt Görgen. Der Diplom-Sozialarbeiter und seine Kollegen versuchen, Betroffenen zu helfen. Die gehören überwiegend zur Altersgruppe der 25- bis 40-Jährigen und finden wie andere Betroffene Hilfe in der Saarbrücker Johannisstraße 2. Dort sitzt, im selben Haus wie die Landesfachstelle, die Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle für Abhängigkeitserkrankungen und pathologisches Glücksspielen (Hilfsangebote siehe Info).

Die Zahl derer, die unter den Folgen der Sucht leiden, gehe weit über die der Spieler hinaus. "In die Finanzierung einer Spielsucht sind bis zu zwölf weitere Personen verstrickt. Denn selbst ein Monatsgehalt lässt sich in wenigen Stunden verspielen. Das ergab ein Feldversuch an Geldspielautomaten. Dabei waren in gerade mal fünf Stunden 1434 Euro verzockt", sagt Görgen.

Das passiere nicht zuletzt, weil die aktuelle Automatengeneration die Daddelkisten der sechziger, siebziger und achtziger Jahre weit hinter sich lasse.

Heute gebe es Automaten mit 50 cool daherkommenden Spielvarianten, die bisweilen nur Sekunden dauern und mit Punkteskalen vergessen lassen, wie viel Geld gerade auf dem Spiel steht. "Dabei tauchen Spieler in eine Scheinwelt ab", sagt Görgen. Gelegenheiten dazu gibt es reichlich. 900 Automaten stehen nach Angaben der Landesfachstelle Glücksspielsucht in den staatlichen Spielbanken, 1780 in Spielhallen, 1620 in Gaststätten.

Die Zahl der Geräte in Spielhallen sei im Saarland zwischen 2006 und 2010 um 54 Prozent gestiegen, heißt es auf der Internetseite der Fachstelle.

Was macht Geldspielautomaten so unwiderstehlich? "Es ist zunächst die Mischung aus euphorischer Freude auf einen Gewinn und dem Kick, alles verlieren zu können." Eine Mischung, die Forscher nach Görgens Worten mit den Folgen von Hasch und Aufputschmitteln vergleichen. "Glücksspiel stimuliert erwiesenermaßen dieselben Hirnregionen."

Der Effekt wirkt den Forschungen zufolge auf Süchtige so durchschlagend, dass sie das Spiel im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr wegen der Gewinne suchen, sondern, um sich immer wieder den selbst erzeugten Chemie-Kick fürs Hirn zu holen. Schließlich seien sie von Schulden und Schuldgefühlen geplagt und doch von dem bohrenden Gedanken getrieben, woher sie das Geld fürs nächste Spiel nehmen sollen.

Im Alltag der Patienten bedeute das: "Ist das Einkommen weg, geht es ans Sparbuch der Kinder, dann an den Sparvertrag der Ehefrau. Dann geht's mit dem Anpumpen der Freunde und Bekannten weiter. Eine Spielsucht kann Menschen in die Schwerkriminalität treiben." Wer erst einmal süchtig sei, rutsche wegen der sich auftürmenden Verluste immer weiter ins Schuldenelend.

65 bis 70 weitere Spielsüchtige ziehen jedes Jahr die Notbremse und wenden sich in der Saarbrücker Johannisstraße zum ersten Mal an Berater. Das ist der Anfang einer oft langen Therapie. "Der Anteil der Spielsüchtigen an unserer Gesamtklientel ist von 5,9 Prozent im Jahr 2000 auf 32 Prozent gewachsen", sagt Görgen.

Genauso drastisch sind die Verluste der Spieler gewachsen, wie die Landesfachstelle schreibt. Demnach verloren saarländische Spieler 2009 an Automaten - abzüglich der Gewinnausschüttung - in Spielhallen und Kneipen 50 Millionen Euro. Das bedeute innerhalb von vier Jahren eine Steigerung um 66 Prozent. "Der Anteil der Spielsüchtigen an unserer Gesamtklientel ist von 5,9 Prozent im Jahr 2000 auf 32 Prozent gewachsen."

Hartmut Görgen

Auf einen Blick

Beratungsstellen im Regionalverband

Schwerpunktberatungsstelle: Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle Caritasverband für Saarbrücken und Umgebung und Diakonisches Werk an der Saar, Johannisstr. 2, SB, Tel. (06 81) 3 09 06 50.

E-Mail psb@caritas-saarbruecken.de

Angebote: Erstberatung, vertiefte Beratung, ambulante Rehabilitation.

Erstberatung bietet auch die Psychosoziale Beratungsstelle für junge Menschen der Aktionsgemeinschaft Drogenberatung in der Saargemünder Straße 76, St. Arnual.

Telefon (06 81) 98 54 10,

E-Mail info@drogenberatung-saar.de

Erstberatung in Völklingen gibt es bei der Psychosozialen Beratung und Behandlung für Suchtkranke, Suchtgefährdete und Angehörige des Caritasverbandes für Saarbrücken und Umgebung, Kreppstraße 1, Telefon (0 68 98) 98 69 40,

E-Mail psb-vk@caritas-saarbruecken.de

Erstberatung bei der Psychosozialen Beratungsstelle für junge Menschen der Aktionsgemeinschaft Drogenberatung, Pasteurstr. 7, Völklingen, Tel. (0 68 98) 2 10 30,

E-Mail info@drogenberatung-saar.de red

Stichwort

Etwa eine halbe Million Menschen unter den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland haben ein krankhaftes Glücksspielverhalten. Das besagt eine Studie, die die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie und der Fachverband Glücksspielsucht vorlegten. ole

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