Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Rechtsmediziner rechtfertigen Alterstests

Saarbrücken · Allerdings wirft die Praxis, junge Flüchtlinge auf ihr Alter zu untersuchen, im Saarland unter Fachleuten Fragen auf. Denn echte Gutachten werden nur in den wenigsten Fällen erstellt.

 Bestehen Zweifel an der Minderjährigkeit eines Flüchtlings, wird die linke Hand geröntgt.

Bestehen Zweifel an der Minderjährigkeit eines Flüchtlings, wird die linke Hand geröntgt.

Foto: dpa/Felix Kästle

Es war ein ungewöhnlicher Vorgang, als der Landesparteitag der SPD im April den Stopp der Röntgen-Untersuchungen zur Altersfeststellung junger Flüchtlinge forderte. Ungewöhnlich deshalb, weil die schwarz-rote Landesregierung diese Tests seit 2016 hundertfach praktiziert hat, ohne dass die Sozialdemokraten dies kritisch kommentiert hätten. Nun aber befand der Parteitag, die radiologischen Untersuchungen seien „aus vielen Gründen problematisch und ethisch nicht zu rechtfertigen“.

Die Delegierten konnten sich dabei auf Ärzte-Vertreter berufen. Unter Medizinern gibt es zwei Fraktionen: Die Kritiker um die Ärztekammer-Spitze sind der Meinung, dass nur geröntgt werden darf, wenn es zum Nutzen des Patienten, also medizinisch erforderlich ist. Auf der anderen Seite stehen die Rechtsmediziner, die seit jeher der Meinung sind, dass Ärzte auf einer gesetzlichen Grundlage auch im Auftrag von Gerichten oder Behörden tätig werden dürfen – immer dann, wenn es in rechtsstaatlichen Verfahren darauf ankommt, ob eine Person ein bestimmtes Alter überschritten hat. Bei jungen Flüchtlingen, die oft ohne Ausweispapiere einreisen, hängt vom Alter beispielsweise ab, ob sie (als Minderjährige) Anspruch auf Jugendhilfe-Leistungen haben.

Besuch in der Rechtsmedizin am Klinikum Saarbrücken (REMAKS), einer privaten Einrichtung auf dem Gelände des Winterberg-Klinikums. Die REMAKS erstellt Gutachten für das Land, wenn die Fachleute in der Aufnahmestelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Schaumberger Hof in Tholey Zweifel hegen, ob eine Person wirklich minderjährig ist. Gerade wurde ein Gutachten abgeschlossen, in dem Ärzte überprüften, ob das von einem Afghanen angegebene Alter von 16 Jahren und 4 Monaten zutreffen kann. Mitgearbeitet haben Rechtsmediziner, ein Radiologe und ein Zahnarzt. Dazu wurden die linke Hand und der Kiefer geröntgt. Ergebnis des siebenseitigen Gutachtens: „Das mit der höchsten Wahrscheinlichkeit behaftete mittlere Alter“ betrage 16,5 Jahre. Dass der Jugendliche volljährig ist, sei „nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit behaftet“.

Was Rechtsmediziner mitunter ärgert, sind Behauptungen, wie sie sich auch im Beschluss des SPD-Parteitages finden: dass die Altersbestimmung nur eine ungenaue Schätzung sei und dass es nicht zu rechtfertigen sei, junge Flüchtlinge ohne medizinische Notwendigkeit schädlicher Strahlung auszusetzen.

Dr. Daniela Bellmann, die Leiterin der REMAKS, sieht das völlig anders: Die forensische Altersdiagnostik sei ein statistisches Verfahren, das – wie alle statistische Verfahren – mit Kenngrößen wie Standard-Abweichung arbeite. „Aussagen darüber, welche rechtlich relevante Altersgrenze über- oder unterschritten ist, sind absolut belastbar“, sagt sie. Zur Strahlenbelastung wird gerne der Vergleich zur Strahlenexposition während eines Fluges gezogen.

Der Münsteraner Rechtsmediziner Professor Andreas Schmeling, der in der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin die Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik leitet, erklärt: Es gehe gar nicht darum, das chronologische Alter einer Person möglichst genau zu schätzen, sondern darum, die Vollendung des 18. Lebensjahrs zweifelsfrei nachzuweisen. „Verbleiben im Ergebnis der medizinischen Untersuchungen Zweifel an der Volljährigkeit, wird die Person bei korrekter Gesetzesanwendung als minderjährig behandelt.“

Allerdings wirft die Praxis im Saarland Fragen auf. Dazu muss man wissen, dass die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin ein mehrstufiges Verfahren empfiehlt, um zweifelsfrei eine Aussage über eine Volljährigkeit machen zu können: Dazu gehören in einem ersten Schritt Röntgen-Aufnahmen des linken Handgelenks und des Gebisses. Wenn danach noch Zweifel bestehen, soll auch das Schlüsselbein untersucht werden.

Im Saarland wird in 96 Prozent der Fälle, in denen die Behörde an den Altersangaben der jungen Flüchtlinge zweifelt, aber nur die Hand geröntgt, zusätzlich finden eine „qualifizierte Inaugenscheinnahme“ und eine „pädagogische Befragung“ statt. Nur in vier Prozent der Fälle wird die Rechtsmedizin am Klinikum Saarbrücken (REMAKS) oder das Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik in Homburg mit einem umfassenden Gutachten beauftragt, bei dem Röntgen-Untersuchungen des Gebisses und gegebenenfalls auch der Schlüsselbeine erfolgen. Nach Einschätzung von Rechtsmedizinern reicht eine Röntgen-Aufnahme des Handgelenks aber keineswegs aus. „Bei Früh­entwicklern kann die Handskelett­entwicklung bereits mit 16 Jahren abgeschlossen sein“, erläutert Professor Schmeling. „Das bedeutet, dass Personen, die tatsächlich 16 oder 17 Jahre alt sind, fälschlicherweise als volljährig klassifiziert werden können.“ Der Linken-Landtagsabgeordnete Dennis Lander hat zu dem Thema eine schriftliche Anfrage an die Landesregierung gerichtet.

Das saarländische Sozialministerium hält seine Praxis dennoch für ausreichend. Aus seiner Sicht können bereits eine Handwurzelbestimmung (durchgeführt im Caritas-Krankenhaus Lebach) zusammen mit der Inaugenscheinnahme und der Befragung zum Ergebnis führen, dass die Person „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ volljährig ist. Dazu sei es notwendig, dass die Person dieser Feststellung nicht widerspricht. Erst wenn nach der Handwurzelbestimmung Zweifel an der Minderjährigkeit bestehen, wird bei der REMAKS oder an der Uniklinik in Homburg ein umfassendes Gutachten bestellt.

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