Ratsherr plaudert über seine Stadt

St. Wendel. Passanten in der St. Wendeler Fußgängerzone staunen am Freitag nicht schlecht, als sie Ortwin Englert sehen. Was macht der Mann im Rokoko-Kostüm denn dort?, steht in ihren Gesichtern geschrieben. Die Antwort: Ortwin Englert ist zum ersten Mal in die historische Figur eines St.Wendeler Ratsherrn aus dem 18. Jahrhundert geschlüpft und führt eine Gruppe durch die Altstadt

 Ratsherr Ortwin Englert berichtet seinen Gästen auf dem Fruchtmarkt vor der Basilika Interessantes aus der Stadtgeschichte. Foto: atb

Ratsherr Ortwin Englert berichtet seinen Gästen auf dem Fruchtmarkt vor der Basilika Interessantes aus der Stadtgeschichte. Foto: atb

St. Wendel. Passanten in der St. Wendeler Fußgängerzone staunen am Freitag nicht schlecht, als sie Ortwin Englert sehen. Was macht der Mann im Rokoko-Kostüm denn dort?, steht in ihren Gesichtern geschrieben. Die Antwort: Ortwin Englert ist zum ersten Mal in die historische Figur eines St.Wendeler Ratsherrn aus dem 18. Jahrhundert geschlüpft und führt eine Gruppe durch die Altstadt. Der Rundgang startet an der Wendelinus Basilika. "Heute sieht die Kirche aus wie aus einem Stück", sagt Ortwin Englert in seiner Rolle als Ratsherr. Doch das sei nicht immer so gewesen. Lange Zeit fehlte das Mittelstück. Es standen nur die Türme und die Apsis als Separatkirche. Erst unter Nikolaus von Kues, der von 1446 bis 1464 Pfarrer von St. Wendel war, sei der Bau des mittleren Teils entscheidend vorangetrieben worden, erzählt der Ratsherr, bevor er mit der Gruppe in die Basilika geht. Am Grabmal Wendelins erfahren die Teilnehmer der Führung von der Legende des Heiligen. Dass im Kostüm des St. Wendeler Ratsherrn ein studierter Historiker steckt, merkt man seinen Ausführungen an. Gibt es zu einem Sachverhalt, beispielsweise der Herkunft Wendelins, mehrere Theorien, so stellt er diese auch dar. Das bedeutet aber nicht, dass man in irgendeinem Moment denkt, in einem historischen Seminar zu sitzen. Dafür sorgt schon das St. Wendeler Original Ortwin Englert, den viele als ehemaligen Wirt der Felsenmühle kennen. Er spricht eine klare Sprache und weiß die Stadtführung mit Anekdoten zu würzen. Auf dem Fruchtmarkt erzählt der Gästeführer eine Geschichte, bei der es einem eiskalt den Rücken hinunter läuft. Als Generalfeldmarschall Blücher die Reste von Napoleons Grande Armee verfolgte, schlug er im Januar 1814 kurzfristig sein Quartier in St. Wendel auf. "Hier auf dem Pflaster des Fruchtmarkts lagen Kosakeneinheiten auf Stroh", sagt der Ratsherr. Die Kosaken hätten die Stadt in Schutt und Asche legen können. "Doch der damalige Bürgermeister Carl Cetto hat sich geschickt verhalten." Er habe Blücher mit Wein bei Laune gehalten und so verhindert, dass der Generalfeldmarschall den Kosaken freie Hand gab. Zu jedem Gebäude der Altstadt weiß Gästeführer Englert etwas zu erzählen. Dabei wird deutlich, dass große geschichtliche Ereignisse ihre Spuren auch in einer relativ kleinen Stadt wie St. Wendel hinterlassen haben, sei es die Reformation oder das Hambacher Fest von 1832. Der Rundgang endet in der Magdalenenkapelle, dem ältesten Bauwerk von St. Wendel. "Ich kann die Führung nur empfehlen", sagt Teilnehmer Uwe Landwehr. Einige interessante Sachen habe er über seine Heimatstadt erfahren, beispielsweise dass in St. Wendel mal eine Burg stand. Und auch die Figur des St. Wendeler Ratsherrn habe ihm sehr gut gefallen. "Das Gewand ist in den letzten Monaten in Kirkel hergestellt worden", erzählt Ortwin Englert. Die Barockzeit habe er gewählt, weil St. Wendel in dieser Epoche einen Aufschwung erlebt habe. In Zukunft wird man den St. Wendeler Ratsherren in der Altstadt also öfters sehen. Ein Rundgang mit ihm lohnt sich in jedem Fall.

HintergrundDie Figur des St. Wendeler Ratsherrn geht auf einen Vorfahren Ortwin Englerts zurück: Johann Anton Coenen, der von 1722 bis 1785 gelebt hat. Coenen war unter anderem Bürgermeister von St. Wendel und ab 1775 Besitzer der Felsenmühle. "Er war ein sehr wohlhabender Mann mit Ecken und Kanten", beschreibt Englert seinen Vorfahren. Ortwin Englert führt aber nicht nur als St. Wendeler Ratsherr durch St. Wendel, sondern auch als Nachtwächter. Wer ihn buchen möchte, kann sich an die Tourist-Information St. Wendel im TUI- Reise-Center wenden (Bahnhofstraße 9 in St. Wendel): Tel: (06851) 7788, Fax: (06851) 2676. Oder man ruft gleich bei Ortwin Englert an: (06851) 70416. Eine Führung dauert zwischen einer Stunde und 90 Minuten. Der Gruppenpreis beträgt 60 Euro. mic

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