Experten legen Abschlussbericht vor Missbrauchsskandal am Uniklinikum Homburg – Kommission spricht von „Führungsversagen“

Update | Homburg · Nach zweijähriger Arbeit hat am Mittwoch eine Expertenkommission ihren Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals am Uniklinikum Homburg vorgelegt und der Klinik ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Zwischen 2012 und 2014 war es an der Uniklinik zu zahlreichen Verdachtsfällen auf Kindesmissbrauch gekommen.

Der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle am Uniklinikum Homburg (UAK), Jörg Ziercke übergab am Mittwoch einen 342-seitigen Abschlussbericht an den Aufsichtsrat des Uniklinikums, David Lindemann. Foto: BeckerBredel

Der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle am Uniklinikum Homburg (UAK), Jörg Ziercke übergab am Mittwoch einen 342-seitigen Abschlussbericht an den Aufsichtsrat des Uniklinikums, David Lindemann. Foto: BeckerBredel

Foto: BeckerBredel

Jörg Ziercke geht mit dem Uniklinikum des Saarlandes (UKS) hart ins Gericht. Der Vorsitzende der Unabhängigen Kommission (UAK) zur Aufarbeitung des UKS-Missbrauchsskandals und ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes spricht über eine Stunde lang über die Fehler und Versäumnisse von Ärzten, Personal und Klinikchefs bei der Vermeidung und Aufklärung einer Vielzahl mutmaßlicher Missbrauchsfälle an der Homburger Uniklinik in den Jahren 2010 bis 2014. 342 Seiten lang ist der Abschlussbericht der UAK, der am Mittwochabend in Kirkel der Öffentlichkeit präsentiert wurde und der Klinik eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen für mehr Kinderschutz empfiehlt.

Mögliche Missbrauchsopfer sollen Geld bekommen

Mehr als 800 Personen schrieb die Kommission in ihrer mehr als zweijährigen Arbeit als mögliche Opfer an. 80 mutmaßliche Missbrauchsfälle nahm die Kommission in ihren Bericht auf. Die UAK empfiehlt dem Aufsichtsrat der Uniklinik einen Großteil der Betroffenen und ihre Familien, je nach Schwere des Falls, mit Geldzahlungen zwischen 50 000 und 5000 Euro zu entschädigen.

„Wir haben die aus Sicht der Kommission erkannten Fehler deutlich angesprochen“, so Ziercke. „Es ist rückblickend tragisch, dass das UKS zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder Informationen hatte, die bei einem professionellen Umgang mit den Verdachtsfällen die Entwicklung und Ausuferung der Vorgänge auf der Stelle gestoppt hätten.“

Mutmaßlich pädophiler Arzt soll unnötige Genitaluntersuchungen durchgeführt haben

Nur durch einen Zufall war im Juni 2019 öffentlich bekannt geworden, dass ein schon 2016 gestorbener Assistenzarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Homburger Uniklinik (UKS) über Jahre mehrere Kinder bei Untersuchungen in der Klinik und in seinem privaten Umfeld sexuell missbraucht haben soll. Der mutmaßlich pädophile Arzt soll Kinder behandelt und dabei in ungewöhnlich vielen Fällen Untersuchungen im Genitalbereich durchgeführt haben. Bis zum Tod des Mediziners ermittelte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken in 34 Verdachtsfällen des sexuellen Kindesmissbrauchs und stellte mit dem Tod des mutmaßlichen Täters das Verfahren ein. Die Eltern der betroffenen Kinder wurden aber erst Jahre später über die mutmaßlichen Vorfälle und die Ermittlungen informiert.

Bei der Vorstellung des Abschlussberichts zog Jörg Ziercke zu diesem Teil des Missbrauchsskandals ein verheerendes Fazit und spricht von einem klaren „Führungsversagen“ der Leitung der Kinder- und Jugendpsychiatrie und einer Kultur des Wegsehens und Vertuschens.

Weitere mutmaßliche Missbrauchsfälle am Homburger Uniklinikum

Auch weitere mögliche Missbrauchsfälle am Homburger Uniklinikum rückten in den Fokus der UAK. Im Herbst 2019 wurden neue mutmaßliche Fälle von Körperverletzung oder Missbrauch und deren eventueller Vertuschung bekannt. Betroffen war diesmal die Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) an der Uniklinik. In einem bis heute ungeklärten Fall wurde ein damals sechsjähriges Mädchen während einer Mandel-OP schwer im Genitalbereich verletzt. Auch hier ermittelte die Staatsanwaltschaft, stellte das Verfahren aber später ein.

Auch die Mutter dieses Mädchens kam, neben anderen Betroffenen, am Mittwoch zu Wort und kritisierte die Arbeit der UAK schwer. Noch immer sei völlig unklar, was sich damals im OP-Saal abgespielt habe. Die Mutmaßung der UAK, es habe mit hoher Wahrscheinlichkeit kein sexueller Missbrauch stattgefunden, sowie die angebotene Erklärung, die Verletzung sei durch ein falsch eingeführtes Zäpfchen entstanden, sind für die Mutter nicht schlüssig. Sie verließ die Veranstaltung mit den Worten: „Danke für nichts!“

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