Staatsschutz-Analyse Fälle politisch motivierter Kriminalität im Saarland um gut 20 Prozent gestiegen – mehr „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
Exklusiv | Saarbrücken · Unter den gut 68 000 registrierten Straftaten 2022 machen politisch motivierte Delikte nur einen Bruchteil aus. Aber nach einer Analyse des Staatsschutzes steigt die Zahl: Mit 543 Delikten sind es fast 20 Prozent mehr Fälle als 2021.
In der aktuellen Kriminalstatistik, die für das Saarland im Jahr 2022 insgesamt 68 139 registrierte Straftaten ausweist, machen politisch motivierte Delikte nur einen Bruchteil aus. Eine polizeiinterne Auswertung durch die Staatsschutzabteilung beim Landespolizeipräsidium (LPP) listet jetzt insgesamt 543 solcher Fälle mit politischem Hintergrund auf. Dies bedeutet ein Anstieg um exakt 19,3 Prozent (plus 88 Delikte) gegenüber dem Vorjahr. Zum Vergleich: 2018 waren es noch 307 Fälle, die in der Rubrik „politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) eingeordnet wurden. 2021 dann bereits 455.
Anstieg wegen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg
Zu diesen sogenannten Staatsschutzdelikten zählen vorwiegend Straftaten, die sich gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen dessen innere oder äußere Sicherheit richten. Bundesweit meldet das Bundeskriminalamt (BKA) für 2022 einen Anstieg um 7,03 Prozent auf insgesamt 58 916 Fälle. Ein Allzeithoch. Erklärt wird diese Entwicklung auf Bundesebene „maßgeblich mit den Effekten der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine sowie der Sorge vor einem Versorgungsengpass“.
Außergewöhnlich viele Fälle rechtsmotivierter Straftaten im Saarland
Während bundesweit die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten um gut sieben Prozent gestiegen ist, melden die Staats- und Verfassungsschützer im Saarland einen außergewöhnlichen Anstieg in diesem Deliktfeld um 32,1 Prozent. Insgesamt werden an der Saar 296 Fälle der „PMK rechts“ zugeordnet.
Gleichzeitig sank die Zahl der Delikte, die der linken Szene zugewiesen werden um 15,4 Prozent auf insgesamt elf Fälle. Acht davon betreffen nach Polizeiangaben das Themenfeld „Ökologie, Industrie, Wirtschaft“. Dabei geht es meist um Sachbeschädigungen, etwa an SUV-Fahrzeugen, die im Oktober und November datieren. Ein Gewaltdelikt (gefährliche Körperverletzung) wurde erfasst. Zehn der elf Taten ereigneten sich, so die Statistik, im Regionalverband Saarbrücken.
Deutlicher Anstieg der rechtsmotivierten Gewaltdelikte
Die polizeiinterne Auswertung, die unserer Zeitung vorliegt, verzeichnet derweil im Abschnitt „PMK rechts“ einen deutlichen Anstieg der rechtsmotivierten Gewaltdelikte von zwölf (2021) auf jetzt 21 Fälle. Dabei ging es unter anderem um 15 Fälle der Körperverletzung und vier gefährliche Körperverletzungen. In zwei Fällen richtete sich die Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei.
Die Ermittler notieren: Thematisch bewegten sich 16 der 21 Gewaltdelikte in der Hasskriminalität mit den Unterthemen Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit. Drei Gewalttaten werden der Konfrontation wegen der politischen Einstellung zugerechnet und ein Delikt dem Themenfeld Corona-Pandemie. Bei drei Gewalttaten waren Waffen oder gefährliche Werkzeuge im Spiel.
Mögliche Ursachen: schlechte Wirtschaftslage und Armut
Als mögliche Ursachen für das gestiegene Gewaltpotenzial werden in der 19 Seiten starken Auswertung „sozioökonomische Faktoren, wie etwa eine schlechte Wirtschaftslage oder soziale Ungleichheit und Armut, die zur Frustration der rechten Szene führen“ aufgeführt. Gleichzeitig werden „gesellschaftliche Faktoren, wie empfundene Bedrohung und Benachteiligung durch andere Gruppen“, vermutet.
Die Staatsschützer betonen in ihrer Bewertung und Prognose, dass die rechte Szene die Flüchtlingsproblematik nutze, um „an die gesellschaftliche Mitte anzudocken“. In diesen Zusammenhang sei auch zukünftig mit Gewalttaten sowie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen zu rechnen. Im vergangenen Jahr konnten offenbar keine besonderen Tatmuster oder „modi operandi“ festgestellt werden.
Unter dem Themenfeld „ausländische Ideologie“ im Bereich der politisch motivierten Kriminalität halten die Staatsschützer unter anderem fest: Der Anstieg der Straftaten in diesem Bereich von 9 auf 71 Fälle sei fast ausschließlich auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückzuführen. Aber auch Konfrontationen zwischen Nationaltürken und PKK-Anhängern bot Konfliktpotenzial. Im Bereich PMK - ausländische Ideologie wurden 2022 zwei Terrorismusdelikte erfasst. Dabei ging es um die Bildung krimineller Vereinigungen. Die Prognose der Ermittler in diesem Bereich: „Sowohl für russische als auch ukrainische Personen und Interessen besteht in Deutschland fortwährend das Risiko, Opfer von Straftaten zu werden.“
Rund 40 „Reichsbürger und Selbstverwalter“ im Saarland
Ausführlich geht der Staatsschutz-Bericht zur PMK auf die Problematik „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ein. Demnach sind zwischenzeitlich im Saarland 40 Personen (2021: 34) bekannt, die unter anderem mit Berufung auf das historische Deutsche Reich oder etwa selbst definiertes „Naturrecht“ die Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen.
Bei weiteren 50 Personen gehen die Ermittler davon aus, dass diese mit der Reichsbürger-Ideologie ernsthaft sympathisieren. In ihrer Analyse wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass Reichsbürger mitunter bereit sind, ihre Ideologie mit Gewalt zu verteidigen. Diese Szene stelle auch wegen ihres umfangreichen Waffenbesitzes eine „besondere Gefährdungsrelevanz“ dar.