„Ich bedauere dieses Vorgehen“ Unterlagen im Fall Dillinger vernichtet – Generalstaatsanwalt entschuldigt sich
Update | Saarbrücken · Der Saarbrücker Generalstaatsanwalt Manfred Kost hat sich dafür entschuldigt, dass sichergestelltes Material im Fall des unter Missbrauchsverdachts stehenden und Ende 2022 gestorbenen katholischen Priesters Edmund Dillinger vernichtet wurde.
Die saarländische Polizei hat Unterlagen aus dem Haus des Missbrauch-Priesters Edmund Dillinger in Friedrichsthal verbrannt (wir berichteten in der Donnerstagausgabe). Am Freitag hat sich der Saarbrücker Generalstaatsanwalt Manfred Kost für die Vernichtung der sichergestellten Gegenstände entschuldigt: „Die Staatsanwaltschaft hat in dem vorliegenden Prüfungsverfahren nach Abschluss der Sichtung der sichergestellten Materialien eine Vernichtung der Gegenstände angeordnet, soweit sie nicht dem berechtigten Erben auf dessen Wunsch zurückgegeben wurden“, erklärt er in einer Antwort auf eine Anfrage der Saarbrücker Zeitung.
„Ich bedauere dieses Vorgehen und möchte mich dafür entschuldigen“
Dies sei im vorliegenden Fall „nicht die richtige Maßnahme, weil zu prüfen gewesen wäre, ob die Unterlagen noch für Vorgänge außerhalb der Strafverfolgung mit Blick auf Opferschutzinteressen und kircheninterne Aufklärungen oder gar bei neuen Ermittlungsansätzen zur Verfügung stehen sollten, auch wenn sich aktuell keine Verdachtsmomente ableiten ließen. Ich bedauere dieses Vorgehen und möchte mich dafür entschuldigen.“
Was für Unterlagen waren das? Sie kamen aus dem Haus von Pastor Dillinger. Die habe die Polizei im Einvernehmen und in Anwesenheit des Neffen des Verstorbenen, Steffen Dillinger, kurz nach Aufkommen der Geschichte im April im Haus des verstorbenen Priesters in Friedrichsthal sichergestellt. Die Durchsuchungen und Ermittlungen hatte damals der Neffe ins Rollen gebracht, Steffen Dillinger hatte zuvor eindeutige Bilder im Haus seines Onkels gefunden und hat sie kurz darauf der Rheinzeitung - und später der Staatsanwaltschaft übergeben. Die Bilder liegen noch in Mainz bei der Staatsanwaltschaft.
Welche Materialien hatten die Ermittler beschlagnahmt?
Und der Rest aus dem Haus? Alles verbrannt? „Bei den sichergestellten Gegenständen handelte es sich zusammengefasst um mehrere Tausend Fotografien in unterschiedlicher Materialformen (Film-/Negativstreifen, entwickelte Fotos, Dias, Postkarten etc.) sowie schriftliche Unterlagen, etwa Terminkalender des Verstorbenen (nicht aber „Tagebücher“; solche befanden sich – entgegen anders lautender Presseberichte – nicht unter den sichergestellten Gegenständen)“, schreibt die Staatsanwaltschaft.
Aber: Bei den sichergestellten Fotos „handelte es sich nach Auswertung zum überwiegenden Anteil um Reisebilder des Verstorbenen, die keinerlei inkriminierte Inhalte oder erkennbare Hinweise zu etwaigen Missbrauchstaten aufwiesen. Gleiches gilt auch für die sichergestellten Unterlagen.“ Es gab keinen Anfangsverdacht. „Die Vorermittlungen wurden dementsprechend abgeschlossen. Nach Paragraf 111n StPO sind für das Verfahren nicht mehr benötigte bewegliche Sachen an den letzten Gewahrsamsinhaber bzw. den materiell Berechtigten herauszugeben.“
Material am 5. Juli in Müllverbrennungsanlage vernichtet
Und: Was Steffen Dillinger zurückhaben wollte, sei seitens eines kriminalpolizeilichen Sachbearbeiters mit ihm besprochen gewesen. „Auf dieser Grundlage wurde nach mündlicher Rücksprache des sachbearbeitenden Kriminalbeamten vom Staatsanwalt die Vernichtung der Gegenstände angeordnet. Weitere Stellen waren bei der Entscheidung nicht beteiligt. Polizeibeamte haben die Vernichtung am 5. Juli 2023 in der Müllverbrennungsanlage Velsen durchgeführt“, schreibt die Staatsanwaltschaft.
Steffen Dillinger habe allerdings später weiterer Unterlagen gewünscht, die waren aber am 7. Juli, als er die Sachen abholen wollte, bereits seit zwei Tagen vernichtet.
Steffen Dillinger widerspricht
Dillinger hat am Freitag der Katholischen Nachrichtenagentur aber genau das Gegenteil gesagt: „Ich gebe nichts frei, was ich nicht kenne, sagte er. Und: De Behauptung, er sei mit der Vernichtung der Dokumente einverstanden gewesen, widerspreche „in aller Deutlichkeit.“ Dennoch:
Vernichtung hätte „zurückgestellt werden müssen“
Solch eine Vernichtung sichergestellter Gegenstände, die für das Verfahren nicht (mehr) von Bedeutung sind und die keiner mehr haben will, „ist grundsätzlich ein übliches Vorgehen in Strafverfahren. Vorliegend hätte indes eine solche Vernichtung jedenfalls mit Blick auf die Prüfung von möglichen Opferinteressen außerhalb eines Strafverfahrens und für den Fall nicht ausschließbarer späterer Anzeigesituationen zurückgestellt werden müssen“, schreibt die Staatsanwaltschaft.
Belastendes Material liegt weiterhin in Mainz, auch wenn die dortige Staatsanwaltschaft am Freitag das Verfahren gegen Steffen Dillinger wegen „Geringfügigkeit eingestellt“, wie sie schreibt. Sie hatte dem 54-Jährige vorgeworfen, das von ihm im Nachlass gefundene, jugendpornografische Material weder vernichtet noch einer Strafverfolgungsbehörde übergeben zu haben.
Innenminister Jost kündigt Untersuchung an
Ebenfalls am Freitag hat der saarländische Innenminister Reinhold Jost (SPD) eine Untersuchung zur Vernichtung der Unterlagen angekündigt. „Ich habe gestern über die Presse von diesen Vorwürfen erfahren. Ich habe umgehend eine nachvollziehbare Aufarbeitung des vorliegenden Sachverhaltes angeordnet. Dieser Aufarbeitungsprozess soll durch die Fachaufsicht im Innenministerium unter der Leitung des Polizeiabteilungsleiters gesteuert werden“, sagte Jost am Freitag bei der Verabschiedung des Polizeipräsidenten Norbert Rupp.
Bei der Aufarbeitung gehe es nicht nur um eine rechtliche oder juristische Prüfung, sondern insbesondere um die ethisch-moralische Dimension des zugrunde liegenden Sachverhaltes. „Wir müssen an dieser Stelle auch zeigen, dass wir zu Selbstkritik in der Lage sind und dort, wo es eventuell Fehler gab, diese auch zu benennen. Alles andere wäre diesem Anlass nicht angemessen und dafür sage ich allen herzlichen Dank“, betonte Jost.
Neues Ermittlungsverfahren gegen unbekannt
Als erstes über die Vernichtung der Unterlagen hat die Rheinzeitung am Donnerstag berichtet, sie schreibt in ihrem Text auch darüber, dass Pastor Dillinger „der Anführer einer Szene“, war, „die sich ihre Opfer gegenseitig zugeführt und Fotos gemacht hat. Die haben damit regelrecht geprahlt“, erklärt ein heute 67-jähriger Mann in dem Text. „Wir leiden bis heute alle unter dem, was passiert ist.“ Wie groß diese Täterszene gewesen sei, sei allerdings nur schwer einzuschätzen.
Offenbar nimmt die Staatsanwaltschaft auf diesen Absatz Bezug, als sie am Freitag schreibt: „Die aktuelle Presseberichterstattung hat uns zwischenzeitlich Hinweise auf mögliche konkretisierbare Taten geliefert, zu denen es noch Ermittlungsansätze geben könnte, die bisher nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens waren. Dies hat den Leitenden Oberstaatsanwalt dazu veranlasst, ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt einzuleiten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die weiteren Ermittlungen an sich gezogen und wird weiter in alle Richtungen ermitteln und alle Ermittlungsansätze ausschöpfen.“