"Politiker sind zwischen halb bekloppt und sehr begnadet"

Merzig. Wie wird er sein? Was ist er für ein Mensch? Joachim Gauck, der Mann, der nach der Einigung mit der nach ihm benannten Behörde den Stasi-Nachlass verwaltete und offen legte. Und der Mann, der sich noch vor wenigen Wochen als Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten stellte - und dem dafür großes Vertrauen und viel Unterstützung seitens der Bürger entgegen gebracht wurde

Merzig. Wie wird er sein? Was ist er für ein Mensch? Joachim Gauck, der Mann, der nach der Einigung mit der nach ihm benannten Behörde den Stasi-Nachlass verwaltete und offen legte. Und der Mann, der sich noch vor wenigen Wochen als Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten stellte - und dem dafür großes Vertrauen und viel Unterstützung seitens der Bürger entgegen gebracht wurde. Während des Wahlkampfs entstand in Deutschland ein riesiges Interesse für die Wahl des Bundespräsidenten, an der die Bürger nicht einmal aktiv teilnehmen durften. "Selten zuvor gab es eine so innig geführte Diskussion, wer der Bessere, der Geeignetere für das Präsidentenamt ist", blickt Siegfried Eckert, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Merzig-Wadern, in seiner Begrüßungsrede zurück. Im Rahmen des Sparkassenforums war Joachim Gauck eingeladen, im Merziger Zeltpalast zu sprechen. Über Politik? Über seine Person? Nein gerade zu seiner Biografie wolle er nicht allzu viel sagen, dafür habe er schließlich ein Buch geschrieben, erklärt der bekannte Redner gleich zu Beginn. Und doch lässt sich seine Geschichte natürlich nicht ganz raushalten, aus dem, was er zu sagen hat. Es ist ein fesselnder Vortrag über die Freiheit, ein Thema das er zum zentralen Inhalt seines Wahlkampfes machte. Eine Freiheit, in der man tatsächlich frei wählen kann. Sei es politisch oder privat. Ein Freiheitsbegriff, der es Joachim Gauck schwer macht, zu verstehen, warum Menschen nicht wählen gehen. Warum sie nicht einmal versuchen, sich an einem Wechsel im eigenen Land zu beteiligen. "Ich höre allzu oft, dass die Menschen sagen: Uns hört keiner, uns erklärt ja keiner was'. Und dass die Ausführungen der Politiker kein normaler Mensch verstehen kann", schildert Joachim Gauck seine Erfahrungen. Sicher gäbe es Mängel in der Vermittlung der Taten, ja. Dennoch sei schon viel gewonnen, wenn sich Kritik an der politischen Klasse nicht mit Gehässigkeit verbinde. "Politik ist doch wie im normalen Leben. Politiker sind zwischen halb bekloppt und sehr begnadet. Das ist eine große Spannweite", erklärt Joachim Gauck mit deutlichen Worten. Er nennt die Dinge gerne und bewusst beim Namen, scheut sich nicht, provokant zu sein. Seine Sicht auf die Wahlmüdigkeit in Deutschland ist geprägt von seinen Erfahrungen als Bürger der ehemaligen DDR. "Stellen Sie sich vor, dass die Bürger im Saarland 1955 nicht die Wahl gehabt hätten. Stellen Sie sich vor, man hätte das Saarland unter Kuratel gestellt, und sie nehmen Dir Schritt für Schritt die Grundrechte", gibt Gauck zu bedenken. So wie er es in der ehemaligen DDR erfahren hat. Die Psyche des Einzelnen verändere sich, wenn man so eine lange Zeit belohnt wird für Gehorsam und Schweigen. "Wenn das über zwei Generationen gelebt wird, prägt das", ist Gauck sicher. Es sei tief in einem verwurzelt, dass Gehorsam, demütig sein und Anpassung helfen beim Überleben. Eine Wahl sei keine freie Wahl gewesen, schon allein der Gang in die Wahlkabine habe für Misstrauen gesorgt. "In einer Diktatur können sie mit einer Wahl nichts verändern", gibt Gauck eindringlich zu bedenken. Dann kam die Wende. Und die erste Wahl. "Am 18. März 1990 erlebte ich die erste freie Wahl. Und als ich das Wahllokal verlassen habe, liefen mir die Tränen über die Wangen. Vor Freude, weil ich frei wählen konnte. Ich werde dieses Gefühl niemals vergessen", ist sich Joachim Gauck sicher. Deshalb werde er auch nie und nimmer eine Wahl verpassen, weil dies zur Würde der Bürger gehöre. Wenn er sich jedoch umschaue an Wahltagen, wundere er sich, warum so viele Bürger nicht hingehen. Ein Teil der Nichtwähler verweise auf die Unfähigkeit derer, die Politik machen. Er wundere sich, wie viele sich nicht für Politik interessieren und dass so vielen Wählen am verlängerten Rückrad vorbeigehe. Viele ärgerten sich auch über die von ihnen Gewählten. Dann sage er immer: "Dann wähle beim nächsten Mal jemand anders. Wenn Du nicht weißt, wer die Guten sind, dann wähle die weniger schlechten." Denn Freiheit habe damit zu tun, sich für Verantwortung zu entscheiden. Verantwortung zu übernehmen, die positiven Potenzen, die in jedem stecken, zu nutzen. "Wir müssen in den kommenden Jahren ja sagen, zu den Potenzen, die in uns stecken. Wir haben die Möglichkeit, die Gesellschaft, in der wir leben, zu verändern", fordert Gauck auf. Man müsse bereits sein für mehr Engagement, dann würden es die Politiker ebenso sein. "Selten zuvor gab es eine so innig geführte Diskussion, wer der Bessere Kandidat für das Amt des Präsidenten ist." Sparkassendirektor Siegfried Eckert

Zur Person:Joachim Gauck wurde am 24. Januar 1940 in Rostock geboren. Er entwickelte schon früh Distanz zum DDR-System, die seine spätere Tätigkeit als Theologe entsprechend prägte. Bereits als Kind wurde er zur strikten Ablehnung jener staatlichen Obrigkeit erzogen. Später wurde er Teil einer kritischen Bewegung und schließlich zur Hauptfigur im Umbruch 1989. Nach dem Mauerfall übernahm Gauck politische Verantwortung und wurde Abgeordneter im ersten freien Parlament der DDR. Selbst von der Stasi überwacht, war Joachim Gauck zehn Jahre lang Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Die entsprechende Behörde trägt noch heute seinen Namen. Seit 2000 hat er kein politisches Amt oder Mandat mehr. In diesem Jahr erlangte er deutschlandweit eine enorme Aufmerksamkeit durch seine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten. syrStimmen zum Abend:Siegfried Treis: "Für mich hat Gauck in ganz erfrischender Art und Weise sehr tiefgründig über das Leben und die Politik gesprochen. Davon könnte man mehr vertragen."Karl Petgen: "Er ist ein unwahrscheinlich brillanter Redner. Er hat einem den Begriff der Freiheit wieder bewusst gemacht. Ich habe auch noch nie so einen Einblick in die ehemalige DDR gehabt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sich so viel Zeit nimmt, das zu erklären."Thomas Rau: "Es ist ungewöhnlich und anerkennenswert, auch für die Veranstalter, die Kreissparkasse, dass so jemand nach Merzig kommt, und wir so einen Abend erleben konnten. Mit hat gut gefallen, dass er in seinem Vortrag im Grunde genommen auf unsere Verantwortung als Bürger für die Allgemeinheit fokussiert war."Ulrike Biermann: "Ich war begeistert vom Vortrag. Was ich, wie Joachim Gauck, in unserer Gesellschaft vermisse, ist Zivilcourage. Der Vortrag hat wieder gezeigt, dass man nicht mit dem Finger auf die Leute aus der ehemaligen DDR zeigen und ihnen vorwerfen kann, sie hätten keine Zivilcourage gehabt. Hier fehlt sie auch manchmal." syr

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