Darstellendes Spiel an saarländischen Schulen Mit diesem Schulfach lernen sogar Lehrer fürs Leben

Saarbrücken · Freiwillig noch mehr arbeiten, als sie sowieso schon tun? Viele Lehrerinnen und Lehrer tun genau das. Sie satteln noch eine zweijährige Zusatzausbildung für das Fach „Darstellendes Spiel“ drauf. Denn das ist seit wenigen Jahren Wahlpflichtfach an saarländischen, weiterführenden Schulen. Aber was bringt das eigentlich, Theaterspielen an der Schule? Wir haben eine Theaterpädagogin gefragt

Auch selbst Theaterspielen gehört zur Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Unser Foto zeigt eine Aufführung des letzten Theaterclubs für Pädagoginnen und Pädagogen.

Auch selbst Theaterspielen gehört zur Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Unser Foto zeigt eine Aufführung des letzten Theaterclubs für Pädagoginnen und Pädagogen.

Foto: TPZ

„Egal ob Kinder, Jugendliche, Menschen mit Unterstützungsbedarf oder gestandene Persönlichkeiten: Jeder hat seine Herausforderung und kann daran wachsen“. Felicitas Becher ist Theaterpädagogin, leitet Theaterclubs beim Kinder- und Jugendtheater Überzwerg und Weiterbildungskurse für saarländische Lehrerinnen und Lehrer. Und sie erlebt immer wieder, was Theaterspielen weit jenseits der künstlerischen Arbeit bewirkt.

Im SZ-Gespräch erzählt sie vom hyperaktiven Jungen, der sich anfangs kaum einen Satz merken kann und nach ein paar Monaten im Kurs lange Gespräche führt. Oder von Störern im Klassenzimmer, die sich im Theaterkurs als Gold erweisen. „Gerade die sind da oft kreativ, weil sie sich trauen, nach vorne zu gehen, den Eisbrecher machen“. Sogar gestandene Lehrer erfahren Neues über sich, lernen etwa, dass man als Taktgeber im Sprechchor eine große Verantwortung für alle hat. Was auch jemanden, der schon jahrelang daran gewöhnt ist, Schulklassen zu bändigen, vor überraschende Probleme stellen kann.

Diese letzte Erfahrung ist aus jüngster Zeit. Denn gerade ist wieder eine sogenannte Qualifizierungsmaßnahme für das Fach Darstellendes Spiel zuende gegangen. 26 Lehrkräfte haben zwei Jahre lang in verschiedenen Kurs-Modulen, teils auch an Wochenenden und in ihrer Freizeit, gelernt, wie man Theaterspielen sinnvoll unterrichtet. Sie haben Theorie gepaukt und sich gemeinsam auf die Bühne gestellt. Am 16. Juni überreicht ihnen Kultusministerin Christine Streichert-Clivot im Mittelfoyer des Saarländischen Staatstheaters ihre Urkunden.

 Felicitas Becher ist Theaterpädagogin und arbeitet mit Jugendlichen und Erwachsenen.

Felicitas Becher ist Theaterpädagogin und arbeitet mit Jugendlichen und Erwachsenen.

Foto: Überzwerg

Erst seit 14 Jahren ist „Darstellendes Spiel“ als Wahlpflichtfach fester Bestandteil des saarländisches Bildungsplans. Idealerweise würde es natürlich von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die das entsprechende Fach an einer der mittlerweile ca. fünf Universitäten, die es anbieten, studiert haben. Da es im Saarland diesen Studiengang aber gar nicht gibt und nicht nur hierzulande Fachlehrer für die musischen Fächer generell Mangelware sind, springen Pädagogen ein, die sich aus Überzeugung und Neigung dazu entscheiden, sich extra schulen zu lassen.

Diese nebenberufliche Ausbildung organisiert das Theaterpädagogische Zentrum Saar, in dem drei Partner zusammenarbeiten: das Staatstheater, das Überzwerg-Theater und das Ludwigsgymnasium, an dem die Beratungsstelle Schultheater eingerichtet ist. Rund 100 Lehrerinnen und Lehrer haben die Weiterbildung bisher absolviert.

 In Saarbrücken leitet Felilcitas Becher auch einen Theaterclub für Kinder in Kooperation mit der Pädagogisch sozialen Arbeitsgemeinschaft Pädsak. Die Kinder dort spielen begeistert Theater und haben auch schon lange keine Hemmungen, ein Theater zu betreten.

In Saarbrücken leitet Felilcitas Becher auch einen Theaterclub für Kinder in Kooperation mit der Pädagogisch sozialen Arbeitsgemeinschaft Pädsak. Die Kinder dort spielen begeistert Theater und haben auch schon lange keine Hemmungen, ein Theater zu betreten.

Foto: TPZ

An den Schulen bieten sie nun einmal in der Woche 90 Minuten Unterricht in Theatertheorie und Praxis. „Das ist ein schöner Anfang“, sagt Felicitas Becher. Und meint: Es ist ausbaufähig. Denn es hakt ja noch an vielem. Nur wenige Schulen haben überhaupt einen eigenen Raum fürs Theaterspiel. „Oft muss da erstmal alles weggeräumt werden, das stört die Konzentration“. Deshalb wünscht sie sich zum Beispiel „einen schwarzen Theaterraum für jede Schule“. Denn der schwarze Raum ermöglicht den Schritt raus aus dem Schulalltag, rein in die Theaterwelt.

Nicht einmal für die im Lehrplan verpflichtend festgeschriebenen Abschluss-Aufführungen gibt es an allen Schulen einen passenden Saal. Felicitas Becher und ihre Theaterpädagogen-Kolleginnen und Kollegen regen deshalb an, Zentren für kulturelle Präsentationen einzurichten, die sich verschiedene Schulen teilen können.

Auch die 90 Minuten Unterricht pro Woche sind ausbaufähig. Mit 26 Schülerinnen und Schülern sei in dieser wenigen Zeit kaum Sinnvolles zu schaffen. Zweimal pro Woche wäre schon deutlich besser. Und nach unten ausweiten, wäre auch eine gute Sache.

Im Saarland gibt es Darstellendes Spiel als Wahlgrundfach erst in der Oberstufe. Aus pädagogischer Sicht müsste man viel früher anfangen. In Baden-Württemberg etwa, erzählt Becher, beginnt es schon in der Grundschule und zieht sich bis zum Abitur. „Jede Klassenstufe präsentiert ein Theaterprojekt pro Schuljahr“. Diese Herangehensweise findet sie nachahmenswert, denn „gerade in der Mittelstufe ist Theaterspielen Gold wert, es ist ein tolles Instrument zur Persönlichkeitsentwicklung“. Ihr Traum wäre, „dass es wie in Hamburg ab der Grundschule Pflicht ist, denn gerade in der Grundschule kriegt man sie noch alle“.

Ende Juni laden die Theaterpädagoginnen und -Pädagogen zu einem (nicht öffentlichen) kulturpolitischen Bankett ein. In einem offenen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Schulen, Theaterszene und jungen Menschen, die Theater spielen, will man herausfinden, „wie man Theater stärker verankern kann“. Bisher ist es zum Beispiel nicht mal möglich, dass Überzwerge und Staatstheater ihre Programmhefte über den Schulverteiler schicken, damit überhaupt erst mal alle Schulen ihr Angebot kennen. Bisher scheiterte das an bürokratischen Hürden.

Dabei sind neben der theaterpädagogischen Arbeit an den Schulen auch Theaterbesuche wichtig. Und zwar regelmäßige, wenn man das Publikum von morgen heranziehen möchte. „Wenn man ein oder zweimal im Leben mit der Schule ins Theater geht, hat das keine Auswirkungen“, ist Bechers Erfahrung. „Aber regelmäßige Besuche senken die Hemmschwelle“. Diese beglückende Erfahrung machte sie selbst bei einem Brennpunkt-Theaterprojekt in Alt-Saarbrücken. Da fühlen sich die Kinder mittlerweile in „ihrem Theater“ ganz zuhause. Im Saarland scheitern gemeinsame Theaterbesuche oft schon daran, dass die Schulen die Transportkosten nicht finanzieren können.

Aber immerhin: Die Tatsache, dass Darstellendes Spiel nunmehr Pflichtfach ist, bewegt in eine gute Richtung. An fast allen Gymnasien und gymnasialen Oberstufen der Gemeinschaftsschulen im Saarland wird es aktuell angeboten. „Aber es besteht noch ein großer Bedarf an Theaterlehrerinnen und -lehrern“, sagt Felicitas Becher. „Weil an vielen Schulen bisher nur eine Lehrkraft für das Fach Darstellendes Spiel zur Verfügung steht und somit nicht alle Schüler den Kurs wählen können, die das gerne möchten“. Immerhin rund 100 Lehrkräfte haben die Weiterbildung bisher gemacht. Und auch die Anmeldungen für den nächsten Kurs trudeln bereits ein. Aber Lehrerinnen und Lehrer sind bekanntlich derzeit in fast allen Fächern Mangelware. Und die, die da sind werden an vielen Fronten gefordert, „sie bekommen immer noch eine Schippe drauf“, meint Felicitas Becher. Da bleibt ihnen oft schlicht keine Zeit. Vielleicht hat ja beim kulturpolitischen Bankett jemand die zündende Idee. Damit noch mehr Klassenclowns und Störerinnen ihr kreatives Potenzial ausschöpfen können.

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