Die surreale Performance „Onirisée“ Vielleicht ist das alles ja nur ein Traum?

Saarbrücken/Luxemburg · Nur verschoben, nicht abgesagt: Die surreale Performance „Onirisée“ feiert Mitte Mai Premiere in Luxemburg, im Juli in Völklingen.

  Die „Oniristen“ bei der Probe, von links: Sascha Ley, Katharina Bihler, Stefan Scheib und Elodie Brochier.

Die „Oniristen“ bei der Probe, von links: Sascha Ley, Katharina Bihler, Stefan Scheib und Elodie Brochier.

Foto: Kerstin Krämer/KERSTIN KRAEMER

Ein papierenes Vollmondgesicht lugt herab auf die abgetrennten Glieder eines weiblichen Korpus, die von einer Pinzette neu zusammen gesetzt werden. Eine Pappmaché-Skulptur entpuppt sich als lebendige Frau, während ein Mann mit obszöner Krokodilmaske schweigend vor sich hin starrt. Wie von Zauberhand setzen sich Buchstaben zu mitunter rätselhaften Wörtern und Sätzen zusammen – und fast permanent liegt ein Geflirre, Geklingel und Geplapper in der Luft, aus dem Stimmen exaltiert kreischend oder röchelnd ausbrechen, um in kollektives Gejammer zu münden. Und die mahnend deklamierende Frau in Weiß – ist das noch eine Köchin oder schon eine Person im Hygiene-Schutzanzug?

Wie ein verwirrender Traum mutet die surrealistische Performance „Onirisée“ an, was sich bereits im Namen niederschlägt. Weniger traumhaft waren freilich die Umstände, unter denen die Produktion – gefördert von der Stadt Saarbrücken, dem Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes und dem Ministère de la Culture Luxembourg – entstand. Kein Wunder, dass das grenzüberschreitende Projekt von vier Größen der freien Szene, die hier als Saar-Lor-Lux-Kollektiv „Les oniristes“ agieren, wie beiläufig auch die Befindlichkeit und Arbeit freier Kulturschaffender unter Lockdown-Bedingungen reflektiert: Leben wir nicht seit über einem Jahr im gefühlten Absurdum? Wegen der Corona-bedingten Einschränkungen musste die Premiere dieser Koproduktion mit dem Saarbrücker Kleinen Theater im Rathaus und dem Mierscher Kulturhaus in Luxemburg bereits mehrfach verschoben werden.

Der dann für 1. Mai geplanten Uraufführung im Pingusson-Bau machte die Corona-Notbremse einen erneuten Strich durch die Rechnung, weshalb der Termin immerhin als nicht-öffentliche Generalprobe stattfand: Teils wollte das Kollektiv dem ewigen Verschieben ein Ende setzen und die Sache endlich abhaken; zum andern nutzte es die Gelegenheit als Feuertaufe für die Premiere, die jetzt am 14. Mai in Luxemburg laufen soll.

Die Idee zu dem mehrsprachigen Spektakel, ursprünglich als szenischer Hybrid aus Hör- und Puppenspiel fürs Kleine Theater im Rathaus konzipiert, hatte die französische (Puppen-)Schauspielerin, Performerin, Sängerin und Autorin Elodie Brochier. Unter Beteiligung der beiden saarländischen Hörspiel- und Cross-Over-Spezialisten Katharina Bihler (Performance, Text, Stimme) und Stefan Scheib (Kontrabass, Elektronik, Komposition) sowie der Luxemburger Schauspielerin, Sängerin und Lyrikerin Sascha Ley wuchs das Ganze zu einer Collage verschiedener Kunstformen: ein formal wie inhaltlich komplexes Kaleidoskop, bei dem phantasmagorische Klänge und Texte mit Fotos, Videos, Live-Kamera und Papier­animationen theatral zusammenfließen (Technik: Krischan Kriesten).

Die zweidimensionalen Papierobjekte basieren auf Werken von rund 30 surrealistischen Künstlerinnen – nein, das ist kein gegenderter Plural: Tatsächlich ist „Onirisée“ hauptsächlich von femininen Kräften dieser prägenden Kunstbewegung der Moderne inspiriert, darunter Meret Oppenheim, Unica Zürn, Louise Bourgeois oder Claude Cahun. Der Blick ist also ein weiblicher: „Cherchez la femme!“ Die Kompositionen und alliterationsfreudigen Texte stammen aus eigener Feder und bilden einen ganz eigenen, mit reichlich Kleinpercussion, obskuren Klangerzeugern und Vokalakrobatik angereicherten Soundtrack zu den visuellen Impressionen. Dabei agiert das Kollektiv, eine große Leinwand und einen noch gewaltigeren Bildschirm im Nacken, von mehreren Podest-Stationen aus: vier Masken auf der Suche nach dem amputierten Kopf der Extase, so der Ausgangspunkt dieses so sinnlichen wie humorvollen Ausflugs ins illusionäre Reich von Traum, Trance, Unbewusstem, Groteskem und Phantastischem. Wem das alles ziemlich Dada vorkommt, liegt richtig, denn gegen Ende heißt es: „Unser Problem ist, dass wir immer in allem einen Sinn erkennen wollen.“

Künstlerisch durchaus sinnstiftend war es jedoch, sich der intuitiven Methoden des Surrealismus, etwa des unzensierten automatischen Schreibens, zu bedienen: Notgedrungen tauschten Brochier, Bihler, Ley und Scheib Ideen und Inhalte über virtuelle Kanäle, um sie vertrauensvoll von den anderen weiter entwickeln zu lassen – analog zum spielerischen, auf Zufall basierenden Prinzip des „Cadavre Exquis“.

Premiere: 14. Mai, 20 Uhr, Mierscher Kulturhaus Luxemburg.
Deutsche Erstaufführung: 4. Juli, 20.30 Uhr, Freistil Festival, Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Infos und Karten:
www.les-oniristes.jimdosite.com

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