Pensionierte Ärzte helfen Obdachlosen

Saarbrücken. Die zwei Behandlungsräume in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose (PmGV)" im Diakonischen Zentrum Saarbrücken sehen auf den ersten Blick aus wie die in einer ganz gewöhnlichen Hausarztpraxis: Behandlungsliege, medizinische Geräte, Verbandsmaterialien, Computer und Medikamente

 Das Leben auf der Straße macht krank. Saarbrückens Obdachlose finden Hilfe in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose" in der Johannisstraße 4. Foto: Arno Burgi/dpa

Das Leben auf der Straße macht krank. Saarbrückens Obdachlose finden Hilfe in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose" in der Johannisstraße 4. Foto: Arno Burgi/dpa

Saarbrücken. Die zwei Behandlungsräume in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose (PmGV)" im Diakonischen Zentrum Saarbrücken sehen auf den ersten Blick aus wie die in einer ganz gewöhnlichen Hausarztpraxis: Behandlungsliege, medizinische Geräte, Verbandsmaterialien, Computer und Medikamente. Aber ein wenig anders ist die Praxis in der Johannisstraße 4 im Nauwieser Viertel dann doch.An den Wänden hängen großformatige Porträtfotos wohnungsloser Menschen. Draußen vor der Tür sitzt ein halbes Dutzend von ihnen auf Bänken und genießt einen sonnigen Herbsttag. Die Praxis allerdings ist erst morgen geöffnet.

Im Haus sind aber auch Kleiderkammer, Duschkabinen und verschiedene Beratungsstellen für Wohnungslose. "Die Fotos", sagt Martin Kunz, Sozialarbeiter im Diakonischen Zentrum, "zeigen unsere Patienten. Sie erleben jeden Tag die schlimmste Form der Armut: die Straßenobdachlosigkeit." Ein Bild zeigt einen Mann mittleren Alters, der auf der Liege sitzt. Unter seinen Füßen liegt sein Hund. Auf dem Foto misst Dr. Udo Bohr (70) den Blutdruck des Mannes. "Unsere Patienten dürfen auch ihren Hund mitnehmen", sagt Bohr schmunzelnd. Er ist einer von neun Ärzten, die sich hier ehrenamtlich engagieren.

Jeden Mittwoch ab 10 Uhr ist die Praxis für wohnungslose Menschen geöffnet. Etwa 15 Patienten werden im Laufe des Vormittags behandelt. Eigentlich könnte der Internist Bohr nach über dreißig Berufsjahren sein Rentnerdasein ganz ohne Arbeit genießen. Doch Bohr engagiert sich seit sechs Jahren. Jeden zweiten Mittwoch von 10 Uhr bis nachmittags ist er einer von mindestens zwei Ärzten in der Sprechstunde. "Wir lassen unsere ehrenamtlichen Ärzte auch nicht gehen", sagt Kunz.

Deutschlandweit leben fast 250 000 Menschen auf der Straße. "In Saarbrücken sind es etwa 200. Die Dunkelziffer ist aber weit höher. Und 25 Menschen schlafen auch draußen", so Kunz. Etwa 20 Prozent sind Frauen, 10 Prozent minderjährige Jugendliche. Und jedes Jahr werden es mehr. "Etwa 270 Menschen nutzten im vergangen Jahr das Angebot" des niedrigschwelligen Zugangs zur medizinischen Grundversorgung, fasst Kunz zusammen. "Wir erleben hier viele übergangene und damit chronifizierte Krankheiten", beschreibt Bohr. Dazu gehören infektiöse Hautkrankheiten, Tuberkulose, Hepatitis, Diabetes und oft entzündete Wunden. "Diese Menschen", erklärt Bohr, "sind aus dem normalen sozialen Gefüge herausgefallen."

Die Gründe seien vielfältig: Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen oder Verlust einer Beziehung. Bohr: "Wenn dann noch die Wohnungslosigkeit hinzukommt, verlieren sie alles. Nicht nur die Krankenversicherungskarte, sondern auch Dokumente wie Personalausweis, Geburtsurkunde. Sie wissen dann nicht, wie sie wieder Boden unter die Füße bekommen."

Sozialarbeiter wie Kunz helfen bei der Beschaffung der Dokumente. Ziel ist es, Wohnungslose wieder in das System der gesetzlichen Krankenkassen einzubinden. Vergangenes Jahr gelang das bei 70 Klienten.

 Das Leben auf der Straße macht krank. Saarbrückens Obdachlose finden Hilfe in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose" in der Johannisstraße 4. Foto: Arno Burgi/dpa

Das Leben auf der Straße macht krank. Saarbrückens Obdachlose finden Hilfe in der "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose" in der Johannisstraße 4. Foto: Arno Burgi/dpa

Seit 1998 engagieren sich pensionierte Ärzte in Kooperation mit der Diakonie ehrenamtlich für Menschen, die ein Leben auf der Straße führen und dringend medizinische Hilfe benötigen. Seit 2006 ist die Kassenärztliche Vereinigung Saarland (KVS) Träger der Praxis. Jedes Jahr organisiert die KVS mit der Bank 1 Saar die Weihnachtsaktion "Wir helfen im Saarland". In saarländischen Arzt- und Psychotherapeuten-Praxen und in den Filialen der Bank 1 Saar stehen die Spendenboxen. 2011 geht der Erlös an die "Praxis medizinische Grundversorgung für Wohnungslose". "Die Not unter den Wohnungslosen ist groß", sagt KVS-Vorstandsvorsitzender Gunter Hauptmann.

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