Interview mit Anselm Grün Pater Anselm wirbt für heilige Zeit ohne Handy

Schwarzach am Main/Saarlouis · Er ist der bekannteste Mönch Deutschlands. Millionen Leser vertrauen auf die Lebensweisheit des Benediktinermönchs Anselm Grün. Am Sonntag, 18. März, kommt er nach Lisdorf. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Grün, warum das Zölibat viele Priester überfordert, warum aus seiner Sicht keine theologischen Gründe gegen die Priesterweihe der Frau sprechen und warum wir in Zeiten der Digitalisierung eine neue Kultur der Enthaltsamkeit brauchen.

 Pater Anselm Grün ist der bekannteste spirituelle Buchautor Deutschlands.

Pater Anselm Grün ist der bekannteste spirituelle Buchautor Deutschlands.

Foto: Vier-Türme-Verlag/Andrea Göppel

Sie sind Mönch und der bekannteste spirituelle Autor Deutschlands. Sie geben Lesern mit ihren Büchern eine Art Lebenshilfe. Damit treffen Sie einen Nerv. Kirchenbänke bleiben im Moment häufig leer. Ist die Kirche zu weit weg von den Menschen, spricht sie zu viel mit dem erhobenen Zeigefinger? Oder was machen Sie anders?

PATER ANSELM Es gibt viele Gründe. Früher - und zum Teil auch heute noch - hat die Kirche zu sehr moralisiert. Sie hat den Menschen ein schlechtes Gewissen vermittelt und dagegen wehren sich heute viele. Sie hat zu wenig die frohe Botschaft verkündet, also gezeigt, wie der Glaube helfen kann, mit den Ängsten und Problemen des Lebens fertig zu werden. Ein anderer Grund ist sicher, dass sich Menschen heute schwer tun mit Regelmäßigkeit, mit dem sich in die Kirche einbinden lassen. Da haben ja auch viele Vereine Probleme, nicht nur die Kirche. Aber trotz dieses Wandels der Mentalität ist es für mich eine Herausforderung, die Sehnsucht der Menschen anzusprechen und um das zu können, muss ich erstmal auf ihre Sehnsucht hören. Ich kann nicht schon die Antwort sagen, bevor ich die Fragen der Menschen gehört habe.

Die katholischen Frauen fühlen sich aktuell in der Kirche auch häufig nicht gehört, obwohl sie die Kirche mittragen. Wie stehen Sie zur Priesterweihe von Frauen? Gibt es für sie theologische Gründe, die dagegen sprechen?

PATER ANSELM Das ist sicher ein großes Thema. Es gibt keine theologischen Gründe gegen die Priesterweihe der Frau, das ist mehr ein geschichtliches Thema, das nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Das wird sicher nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre passieren. Der erste Schritt wäre sicher die Diakoninnen-Weihe der Frau. Man muss es wachsen lassen. Wenn der Papst heute sagen würde, ab morgen werden Frauen zu Priesterinnen geweiht, dann gäbe es sicher auch Konflikte innerhalb der Kirche. Damit muss man behutsam umgehen, damit es keine Machtfrage wird, sondern auch akzeptiert wird. Aber theologisch gibt es keine Gründe, die dagegen sprechen. Und ich denke, die Kirche muss aufpassen, dass sie nicht den Reichtum der Frauen verliert.

Wie stehen Sie zum Zölibat?

PATER ANSELM Die Ehelosigkeit ist ein hohes Gut - und für viele Priester auch eine Unterstützung, um gute Priester zu sein. Aber das Priestertum muss nicht an das Zölibat gebunden sein. Es ist schade, dass Priester ihr Amt aufgeben müssen, weil sie in eine Frau verliebt sind und sie heiraten wollen. In einer Gemeinschaft von Mönchen, in der ich lebe, ist es klar, dass man da ehelos lebt, aber für den Weltpriester wären beide Möglichkeiten sinnvoll. Und dann wäre es für die Kirche sicher auch ein Gewinn.

Wäre das zeitgemäßer, sollte Kirche überhaupt zeitgemäß sein?

PATER ANSELM Es ist für mich keine Frage des Zeitgemäßen, sondern der Ehrlichkeit. Es gibt ja auch unehrliche Beziehungen. Das Zölibat gab es nicht von Anfang an, es gehört für mich nicht zum Wesen der Kirche. Es ist eine gute Weise und kann eine Herausforderung für Spiritualität sein, aber die sozialen Bedingungen haben sich heute gewandelt. Früher hat der Pfarrer in einer Art Gemeinschaft mit anderen in einem Haus gewohnt, und jetzt leben viele ganz alleine und sind damit überfordert. Oder in Afrika, da ist das Zölibat einfach nicht angemessen, weil es zu wenig gelebt wird.

Wie stehen Sie zur Ehe für alle?

PATER ANSELM Ich bin dafür, dass Homosexuelle in einer gleichberechtigten Partnerschaft und Freundschaft leben, aber den Begriff Ehe würde ich dafür nicht benutzen.

Warum?

PATER ANSELM Weil Ehe von der Tradition her für die Verbindung von Mann und Frau steht und für die Familie. Man kann nicht alles gleichsetzen.

In der CDU ist derzeit wieder häufiger von den christlichen Wurzeln der Partei die Rede. Was sind denn christliche Werte?

PATER ANSELM Die klassischen Werte der Philosophie sind Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit. Die christlichen Werte sind Glaube, Hoffnung, Liebe. Glaube an den guten Kern im Menschen und Hoffnung, das ist für mich ganz wichtig. Politik muss Hoffnung vermitteln. Hoffnung auf Versöhnung, Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf eine gute Zukunft. Hoffnung heißt nicht Zweckoptimismus, sondern Hoffnung für die Menschen.

Vermitteln Politiker im Moment Hoffnung?

PATER ANSELM Zu wenig. Man macht nur Tagesgeschäfte und schaut, dass man einigermaßen zu recht kommt. Die große Hoffnung, dass es sich lohnt, an der Gesellschaft zu arbeiten, an einer guten Zukunft, wird nicht vermittelt. Politik muss geprägt sein von einer Liebe zu den Menschen. Wenn ich nur um mich kreise, kann ich auch keine gute Politik machen.

Wie bewerten Sie den Umgang mit Flüchtlingen? Sind Sie in Sorge?

PATER ANSELM Wir haben im Kloster selber 38 Flüchtlinge aufgenommen und machen da gute Erfahrungen. In Sorge bin ich schon. Die Massenunterkünfte sind keine gute Weise mit Flüchtlingen umzugehen, da können große Konflikte auftauchen. Dass unser Land Grenzen hat und wir nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen können, ist auch klar. Aber es ist schon wichtig, achtsam mit diesen Menschen umzugehen. Manchmal erlebe ich, dass Menschen abgeschoben werden, die unsere Gesellschaft bereichern würden.

Was sagen Sie Menschen, die Angst vor den Fremden haben?

PATER ANSELM Die Angst vor Fremden ist immer auch eine Angst vor dem Fremden in mir. Erinnert mich der Fremde vielleicht an das, was ich an mir noch nicht angeschaut habe? Die Fremden sind ein Spiegel, in dem man sich selbst betrachten kann.

Wie verändert die Digitalisierung unsere Welt?

PATER ANSELM Die Gefahr ist, dass die Digitalisierung dazu führt, dass jeder nur an seinem PC sitzt und zu wenig in Beziehung mit anderen Menschen ist. Virtuell ist nicht emotional. Gefühle sind aber eine wichtige Quelle für Beziehungen, für Gesundheit, für das „Sich-getragen-fühlen“. Eine Gefahr ist natürlich auch die drohende Abhängigkeit vom Smartphone, PC oder der Versuchung, ständig erreichbar sein zu wollen. Ich bin nicht gegen die Digitalisierung, die Technik hat ihre Vorteile und ist faszinierend. Wir können sie auch nicht aufhalten, aber es braucht eine Achtsamkeit. Eine Askese. Nur die Beschäftigung mit Virtuellem tut der Seele nicht gut.

Wie könnte diese Askese aussehen?

PATER ANSELM Einfach frei sein vom Smartphone. Nicht rund um die Uhr erreichbar sein, sondern heilige Zeiten zu haben, in denen ich offen bin für tiefere Dinge, fürs Gespräch, für Gott und die Menschen. Es braucht da sicher eine neue Kultur, ein Umdenken.

Sie sind selbst seit kurzem bei Facebook, warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?

PATER ANSELM Weil ich denke, dadurch erreiche ich Menschen, die man sonst nicht erreicht. Ich kann ja leider nicht in allen Städten Vorträge halten. Ich habe Facebook nur auf meinem Computer in der Verwaltung und nicht auf meinem Handy, ich schaue da am Tag höchstens zehn Minuten rein. Dann schalte ich ab.

Sie schalten ab. Andere nicht. Haben wir verlernt, uns zurückzuziehen?

PATER ANSELM Viele Menschen schon. Sie sehnen sich nach Ruhe, aber sobald Ruhe einkehrt, werden sie unruhig. Weil sie Angst haben, dass ihr Leben so nicht stimmt. Viele trauen sich nicht, sich der eigenen Wahrheit zu stellen.

Info: Pater Anselm Grün ist der mit Abstand bekannteste und erfolgreichste spirituelle Berater und geistliche Begleiter deutscher Sprache in der katholischen Kirche. Seine zurzeit 300 Bücher haben weltweit eine Auflage von über 14 Millionen erreicht. Anselm Grün wurde 1945 in Franken geboren. Mit 19 trat er in der Abtei Münsterschwarzach in den Benediktinerorden ein. Er leitete dort 30 Betriebe.

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