Orte des Grauens, die keiner kennen wollte

Saarbrücken · Unterwegs mit einer etwas anderen Stadtführung: „Auf den Spuren der Nazi-Herrschaft in Saarbrücken“.

 Im Tod vereint. Opfer unterschiedlicher Nationalitäten liegen auf dem anonymen Gräberfeld (links). Die Gedenkstätte am ehemaligen KZ Neue Bremm ist ein unspektakulärer Ort (rechts). Foto: Ebelshäuser

Im Tod vereint. Opfer unterschiedlicher Nationalitäten liegen auf dem anonymen Gräberfeld (links). Die Gedenkstätte am ehemaligen KZ Neue Bremm ist ein unspektakulärer Ort (rechts). Foto: Ebelshäuser

Foto: Ebelshäuser

Der Weg führt durch eine Hoteleinfahrt. Rechts am Hotel vorbei auf einen Parkplatz. Unscheinbar sieht es hier aus. Ein freies Feld, in der Mitte ein großes Löschwasserbecken, umrandet von eisernem Stacheldraht. Eine Gedenkplatte ist angebracht. Davor liegen verwelkende Kränze, die dort zum Gedenken an den Holocaust abgelegt wurden.

In den Jahren 1943 und 1944, vor 74 Jahren, wurde hier, an der Goldenen Bremm, ein "Erweitertes Polizeigefängnis" von der Gestapo betrieben. Doch es war mehr als nur ein Gefängnis, wie die Teilnehmer einer Stadtrundfahrt "Auf den Spuren der Nazi-Herrschaft in Saarbrücken" lernen.

Verena Paul von der Stiftung Demokratie Saarland begleitet die Führung heute. In Zusammenarbeit mit der VHS Saarbrücken veranstaltet die Stiftung diese Stadtrundfahrten, die die Nazi-Herrschaft und ihre Auswirkungen am Beispiel Saarbrückens demonstrieren sollen.

Die Gedenkstätte am ehemaligen Lager "Neue Bremm" ist eine der Stationen dieser Rundfahrt. Nach dem Krieg wurde der Ort des Männerlagers erhalten, auf das Gelände des ehemaligen Frauenlagers wurde Ende der 70er-Jahre ein Hotel gebaut. In der NS-Zeit waren hier zwischen 600 und 700 Häftlinge, hauptsächlich politische Gefangene, untergebracht, erklärt Verena Paul. In grauenvollem Detail zeugen Augenzeugenberichte von der Folter und der Qual an diesem Ort. Das Gefängnis war ein Durchgangslager zu den größeren Konzentrationslagern, erklärt Paul. Mindestens 82 Personen starben hier.

Dabei seien es keine ausgebildeten Folterknechte gewesen, die dort arbeiteten. "Die Führung des Lagers war zwar ausgebildet und somit auch von der Partei und ihrer Ideologie stark beeinflusst", so Paul. "Die Aufseher und Arbeiter hier waren allerdings ganz normale Bürger aus der Stadt, die wählen konnten zwischen Schwerstarbeit in der Industrie und Aufseher im Lager."

Was im Lager passierte, sei in der Stadt nicht unbekannt gewesen. Die Gefangenen wurden teilweise in der Industrie in der Stadt als Arbeitskräfte eingesetzt und in Gruppen gewaltsam durch die Straßen zu ihrem Arbeitsplatz getrieben, erläutert Paul. Sogar ein Weg habe durch das Lager geführt, den Menschen aus der Stadt tagtäglich benutzten. "Diese Grausamkeit war im Stadtbild präsent, aber nicht wirklich reflektiert", sagt Paul. "Das war hier alles nicht am Ende der Welt."

Bis das Geschehene reflektiert wurde, sollte es letztendlich bis Ende der 1990er-Jahre dauern. Erst dann wurde die Vergangenheit des Ortes aufgearbeitet. Große Informationstafeln wurden angebracht mit Namen und Bildern der Opfer. Und die Umrisse der kleinen Holzbaracken, in denen die Männer zusammengepfercht lebten, wurden mit Eisenrahmen im Boden abgesteckt.

Doch auch heute noch gibt es Orte, an denen Verena Paul das fehlende Gedenken bemängelt. Zum Beispiel in der Mainzer Straße, wo heute das Landespolizeipräsidium ist, sei damals der SD, eine "Sicherheitsabteilung" der SS, ansässig gewesen. Und dort im Hinterhof, so berichten Augenzeugen, seien Menschen ohne Prozess hingerichtet worden. Es gebe dort allerdings keinen Hinweis auf diese Geschehnisse.

Die Rundfahrt führt weiter durch die Innenstadt, vorbei am Staatstheater, das Adolf Hitler seinem "treuen Saarvolke" nach der Wiederangliederung ans Deutsche Reich als Belohnung schenkte. Vorbei an der Kaiserstraße, wo am 9. November 1938 die jüdische Synagoge der Reichspogromnacht zum Opfer fiel und niederbrannte. Vorbei an der Straße des 13. Januars, wo sich das Saarbrücker Aufmarschfeld befand und wo für Staat und Partei marschiert wurde. Und letztlich auch vorbei am Elternhaus von Willi Graf und der Kirche, in der er damals Messdiener war.

Auch sein Grab auf dem Alten Friedhof St. Johann ist eine der Stationen. Der junge Widerstandskämpfer wuchs in Saarbrücken auf. Er wurde mit nur 25 Jahren in München wegen Hochverrat hingerichtet. Heute schmückt eine weiße Rose sein Grab. "Weiße Rose" hieß die Widerstandsgruppe, in der Willi Graf mit den Geschwistern Scholl maßgeblich an Flugblattaktionen beteiligt war. Mit ihnen wollten sie das Volk zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus bewegen.

Während die letzte Ruhestätte von Willi Graf ein gepflegtes Ehrengrab ist, so gibt es hier auch das krasse Gegenteil. Nur ein paar hundert Meter weiter liegt eine Ansammlung von Kriegsgräbern. Nur wenige der Steine tragen Namen, viele haben nur ein Todesdatum und den Schriftzug "Unbekannt". Im Sommer sind sie überwuchert, einige bereits umgestürzt, fast alle gefährdet.

Dort liegen Soldaten und zivile Kriegsopfer verschiedener Nationalitäten zusammen auf engstem Raum, auf einem Feld, mit der Zeit vergessen. An dieser Stelle entstehen bei ihren Führungen oft interessante Diskussionen mit Schülern, sagt Verena Paul. "Denn inwiefern waren die Soldaten, die vielleicht gegen ihren Willen gezwungen wurden für ihr Vaterland zu kämpfen und zu sterben, selbst Opfer des Nationalsozialismus und seiner Ideologie?"

Ansprechpartnerin für die Stadtrundfahrt ist Elena Steinmetz bei der Stiftung Demokratie Saar, Tel. (0681) 9 06 26 11, E-Mail: es@sdsaar.de.

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