Nur die Schönen dürfen weiter wachsen

Sönke Sonnenberg zieht sich Meter für Meter das orangefarbene Seil hoch. Die Eiche an der er hängt, ist über 100 Jahre alt. In der Baumkrone - zirka 15 Meter über dem Boden - angekommen, zieht er mit dem Seil die Motorsäge nach oben. Langsam tastet er sich in die äußeren Äste vor, mit der einen Hand hält er sich fest, in der anderen die Motorsäge

Sönke Sonnenberg zieht sich Meter für Meter das orangefarbene Seil hoch. Die Eiche an der er hängt, ist über 100 Jahre alt. In der Baumkrone - zirka 15 Meter über dem Boden - angekommen, zieht er mit dem Seil die Motorsäge nach oben. Langsam tastet er sich in die äußeren Äste vor, mit der einen Hand hält er sich fest, in der anderen die Motorsäge. Schwindelfrei muss man für diesen Beruf auf jeden Fall sein.Sonnenberg ist selbstständiger Forstunternehmer. Heute entfernt er Äste, die morsch sind, weil neben der alten Eiche ein Fahrradweg gebaut werden soll. "Die Äste müssen entfernt werden, damit sie für die Radfahrer keine Gefahr mehr darstellen", erklärt Ralf Simon, der Förster der Gemeinde Losheim. Er kontrolliert die Arbeiten im Wald regelmäßig und trägt die Verantwortung für alles, was im Forst passiert. Sein Revier, das er überwacht, beträgt rund 2000 Hektar Wald, die zur Gemeinde Losheim gehören.

Mittlerweile hängt Sonnenberg horizontal mit der Säge zwischen den Ästen. Das Dröhnen der Motorsäge übertönt fast die vorbeifahrenden Autos.

Das Beschneiden der Bäume sei eigentlich keine typische Arbeit für einen selbstständigen Forstunternehmer wie Sonnenberg, erklärt Simon. Doch der Arbeitsmarkt sieht nicht sehr rosig aus: "Die Reviere werden größer, es gibt immer weniger Stellen", sagt Simon. So müsse sich jeder seine Nische suchen. Es wirkt geradezu artistisch, wie sich der Baumkletterer dort oben bewegt. Seine Motorsäge ist kleiner und leichter als andere. So kann man sie beim Klettern in einer Hand halten. "Dann hat er die andere frei, um die Äste kontrolliert abzuwerfen", erklärt Simon.

Um diese Arbeit zu machen, müsse man nicht nur relativ leicht, sondern auch sehr fit sein. Um in die Krone steigen zu dürfen, braucht man eine extra Ausbildung: zum Baumkletterer. Das sei eine Zusatzausbildung für Gärtner oder Forstarbeiter, erklärt der Gemeinde-Förster. Als Förster hat Simon die Aufgabe, für Sicherheit im Wald zu sorgen: "Zweimal im Jahr kontrolliere ich die Bäume an der Straße. Ich war einmal vor Gericht, weil ein Baum auf die Straße gestürzt ist, und ein Motoradfahrer deshalb einen Unfall hatte." Da er jedoch die regelmäßige Kontrolle habe nachweisen können, traf ihn keine Schuld.

Ein Auto hält auf der anderen Straßenseite. Der Mann, der aussteigt, geht schnurgerade auf Simon zu: "Wie siehts aus mit Brennholz?", fragt er. Nach einem kurzen Plausch fährt der Mann weiter. Das passiere ständig, sagt Simon. Die Leute kennen ihn, kommen sogar zu ihm nach Hause, um nach Holz zu fragen.

Dann geht's weiter zum nächsten Kontrollpunkt. In einem anderen Teil des Waldes sind Fällarbeiten im Gange. Mit einem lauten Krachen kippt der hochgewachsene Baum durch die Kronen seiner Nachbarn auf den Boden. Steht man nur wenige Meter weg, spürt man die Erschütterung unter den Füßen. Das Laub, das auf dem Waldboden liegt, wird aufgewirbelt, fliegt nach oben und schwebt leise wieder nach unten.

Nächster Baum: Zuerst befestigen die Waldarbeiter ein Drahtseil am Stamm. Dieses führt zu einem speziellen Schleppfahrzeug, das im Forstbetrieb eingesetzt wird. Das Seilgewinde hat eine Fernsteuerung. Das Drahtseil verhindert bei den Bäumen, die am Hang stehen, dass sie auf die Straße fallen. Einer der Arbeiter sägt eine Kerbe in den Baum. Die Kerbe bestimmt die Fallrichtung des Baumes. Wieder hört man erst das Knacken der Äste, durch die der Baum fällt, dann einen dumpfen Aufprall.

Ralf Simon erklärt den Grund für die Fällarbeiten: "Viele der Bäume stehen zu dicht. Die schönen, geraden Bäume bleiben. Die krummen werden gefällt, so können die anderen wieder besser wachsen." Wie und wo ein Baum steht, kann man an den Jahresringen erkennen. Anhand eines abgesägten Baumstammes erklärt Simon: "Die Innenringe sind weitläufig." Denn früher hatte der Baum Platz. Das heißt, in seinem Umfeld standen wenige Bäume. Die Außenringe an diesem Stamm werden immer enger: "Der Bestand um diesem Baum wurde immer dichter." Und je dichter die Bäume beisammen stehen, desto weniger Krone entwickelt ein einzelner. Denn die Bäume nehmen sich gegenseitig das Licht und wie Simon sagt: "Die Äste ohne Sonne sterben ab."

Damit der Bestand wächst, muss man darauf achten, wie viele Bäume gefällt werden: "Da wir uns nachhaltig verhalten, schlagen wir weniger ab, als nachwächst", erklärt Simon. Fünf Festmeter werden im Jahr abgeschlagen. "Wir dürfen nur das abschlagen, was nachwächst." Im Jahr gebe es einen Zuwachs von 8,5 Festmeter. Festmeter ist ein Raummaß für Holz. Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter fester Holzmasse. Im Gegensatz zum so genannten Raummeter: Damit messe man geschnittenes gestapeltes Holz, einschließlich der Zwischenräume: "Ein Raummeter sind 0,7 Festmeter."

Ein Forst ist auch ein Wirtschaftsunternehmen: Den größten Erlös erhält die Gemeinde Losheim aus dem Holzverkauf. Damit verdient sie rund 500 000 Euro im Jahr. Ralf Simon: "Die schmalen Stämme werden eher zu Brennholz verarbeitet. Aus den richtig dicken können Möbel hergestellt werden."

Der Förster legt fest, welche Bäume abgeholzt werden. Je dicker und schöner das Holz sei, desto teurer könne man es verkaufen: Bis zu 100 Euro bekomme man für einen Festmeter. Für die dünneren Stämme gebe es um die 70 Euro pro Festmeter. Die Preise seien jedoch nicht stabil: "Das kann in fünf Jahren aber schon wieder ganz anders aussehen."

Wirtschaftlich gesehen, bringen Nadelbäume mehr ein, weil Nadelwälder schneller wachsen als Laubwälder. Fichten wachsen zum Beispiel schneller als Buchen. Und trotzdem dauert es sehr lange, bis ein neuer Wald entsteht: "Ein Fichtenwald dauert rund 90 bis 100 Jahre", sagt Simon. Seine Arbeit richtet sich nach langfristigen Zielen. Die eigenen Erfolge, die aus seiner Arbeit resultieren, wird er vielleicht selbst nicht mehr erleben.

Dafür aber die seiner Vorgänger: "Wenn Jahren jemand Mist gebaut hat, muss ich heute damit leben." Wenn die Arbeiter anfangen, Bäume zu fällen, muss Simon sie entsprechend kennzeichnen, da er nicht immer bei allen Arbeiten dabei sein und Anweisungen geben kann. Denn die geraden, glatten Bäume sollen als Zukunftsbäume weiter wachsen. Da der Festmeter Holz von starken, dicken Bäume besser bezahlt werde, werden natürlich mehr davon gezüchtet. Beim Anpflanzen neuer Bäume müssen jedoch auch der Standort und Bodenbeschaffenheiten geprüft werden, erklärt der Förster: "Lerchen wachsen zum Beispiel besser am Berg. Tannen dagegen eher am schattigen Nordhang."

In seinem großen Revier hat Förster Simon alle Hände voll zu tun. "Ich bin auch noch Geschäftsführer vom Brennholzhof und kümmere mich um den Waldfriedhof." Doch seine Arbeit möchte er nicht mehr missen. Es sei ein flexibler Job. Seine Zeit kann er sich selbst einteilen. Bei schlechtem Wetter widme er sich der Büroarbeit: "Förster zu sein ist eine Einstellung, nicht nur ein Job", schwärmt er. Man müsse Freude an der Natur haben und gerne draußen sein. Anfangs war Simon sich nicht sicher, was er werden wollte. Er schwankte zwischen Förster, Sportlehrer, Architekt und Gartenbauingenieur. Zuerst habe er den Beruf des Gärtners erlernt, bevor er dann doch auf Förster umschwenkte. Mit der Technik habe sich aber auch der Beruf des Försters gewandelt, sagt Simon: "Heute hat der Förster ein Auto, ein Handy und einen Laptop." Früher habe es noch das klassische Bild gegeben: Mit Hut, Bart und Hund unterwegs. Doch es gibt auch Gebiete im Losheimer Forst, die naturbelassen bleiben, ohne menschlichen Einfluss. Hier kommt Ralf Simon gerne her, um den Vögeln zu lauschen und Spechte zu beobachten. Hier dürfen die Bäume in aller Ruhe alt werden, bis sie zerfallen: "Bis ein morscher Baum komplett zerfällt, dauert es zehn bis 30 Jahre."

Seit 23 Jahren betreut er sein Revier schon. Arbeiten geht er gerne: "Ich würde kaputt gehen, wenn ich den ganzen Tag nicht raus könnte." Freizeit und Arbeit vermischen sich in seinem Fall. Geht er privat wandern, hat er immer auch ein wachsames Auge auf seinen Wald und schaut, wo es in der nächsten Arbeitswoche wieder etwas zu tun gibt. "Ich war einmal vor Gericht, weil ein Baum auf eine Straße gestürzt ist."

Förster Ralf Simon

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