Digitalisierung im Klassenzimmer Neunkircher Schüler tauschen Tafel gegen Tablet

Neunkirchen · Die Schüler der 8i am Steinwald Gymnasium verzichten weitgehend auf Papier. Sie sind Saarlands erste Ipad-Klasse.

 Am Gymnasium am Steinwald in Neunkirchen lernen die Schüler mit ihren Ipads: Viola Lawall, Sophie Lex und Lehrerin Michaela Vus (v.l.).

Am Gymnasium am Steinwald in Neunkirchen lernen die Schüler mit ihren Ipads: Viola Lawall, Sophie Lex und Lehrerin Michaela Vus (v.l.).

Foto: Iris Maria Maurer

„Ich gebe euch mal schnell die Arbeitsblätter“, sagt Michaela Vus. Jetzt geht die Französischlehrerin nicht etwa mit einem Blätterstapel durch die Klasse. „Ich hoffe ihr habt alle „Air Drop“ an“, sagt sie, und tippt mit ihrem Finger auf den Touchscreens eines Ipads. An der weißen Projektionsfläche, in normalen Klassenräumen hängt an dieser Stelle eine grüne Tafel, erscheinen nach und nach die Namen der Schüler. Die Klasse 8i des Neunkircher Steinwald Gymnasiums ist eine besondere Schulklasse: die erste Ipad-Klasse des Saarlandes. Zu Beginn dieses Schuljahres ist das Pilotprojekt gestartet. Statt die Nasen in ein Schulbuch zu stecken, hat hier also jeder Schüler ein Tablet zur Hand. „Wir testen das jetzt drei Jahre lang in dieser Klasse“, erläutert Schulleiterin Karin Weiskircher-Hemmer: „Dann werden wir evaluieren: Vorteile und Nachteile.“

Die Ipads mussten die Schüler selbst anschaffen. „Das haben wir bei einem Elternabend vorher klar gemacht“, sagt Weiskircher-Hemmer. Ob die Schüler ihre Eltern davon überzeugen mussten, eine solch teure Investition zu leisten? „Nein, mein Papa hat mir sogar dazu geraten“, sagt Sophie Lex. „Er fand gut, dass ich das mache, weil später im Leben, im Beruf ja auch alles digital ist.“ Die Fachräume der Ipad-Klasse hat die Schule für rund 8000 Euro mithilfe der Mediserv Bank, der Sparkasse und der Scheer AG ausgestattet. An der Decke hängen Projektoren. Apple TV wurde auch angeschafft. Die Idee, eine Klasse mit Tablet-Unterstützung arbeiten zu lassen, hatte Mirko Busch – inspiriert von einem Zeitungsartikel. Busch ist Lehrer für Englisch, Geografie und Wirtschaftslehre. Er ist der Überzeugung: „Wir müssen die Zukunft mitgestalten und uns nicht überrollen lassen.“ Sein Engagement überzeugte auch Kollegen. Pro Fach gibt es jetzt zwei Ipad-Lehrer. Die Fortbildung habe das Ministerium finanziert.

Für den Sprachunterricht hat sich Michaela Vus etwas Besonderes einfallen lassen. Sie zeigt den Kindern ein Youtube-Video. Das Thema: L’amitié, Freundschaft. Es ruckelt. „Ah, c’est l’internet“, seufzt Vus. „Beim W-Lan ist der Landkreis noch in Zugzwang“, meint Schulleiterin Weiskircher-Hemmer. Bisher konnten nur einige Fachräume mit dem Drahtloszugang ausgestattet werden, und heute macht ausgerechnet auch die Bandbreite Probleme. „Plan B“, sagt Vus und spielt das Video von der Festplatte ab. Es zeigt einen französischen Youtuber. Er sitzt in seinem Zimmer und erzählt von Freunden und Familie. Er spricht schnell, es ist eben keine Lehrbuch-CD. Im Zimmer des jungen Mannes: Manga- und Star-Wars Poster. Ein Gegensatz zu den altmodischen Holzschulbänken, an denen die Lernenden sitzen. Und: Die Jugendlichen hören Alltagssprache. Währenddessen bearbeiten die Schüler auf ihren Bildschirmen das dazugehörige Arbeitsblatt. Vus hat kurze Aussagen vorbereitet, die Jugendlichen müssen entscheiden, ob sie zutreffen oder nicht. In der App haben sie die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Werkzeugen zu wählen. Der Finger kann alles sein, ein Radiergummi, Textmarker oder Buntstift. Nach einigen Minuten geht es an die Auswertung. „Christian“, fordert die Lehrerin auf. „La première phrase c’est vrai“, die erste Aussage ist richtig, antwortet dieser korrekt. Vus nimmt etwas in die Hand, was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Stift aussieht und kann damit virtuell auf das an die Wand projizierte Arbeitsblatt schreiben.

Klassische Schulbücher fallen für die 8i fast gänzlich weg. Die Verlage bieten längst digitalisierte Versionen an. Das macht zumindest den Schulranzen leichter. Aber, ist das auch sinnvoll? Lehrerin Vus findet: „Auf jeden Fall. Es ist vor allem eine Sache der Geschwindigkeit. Außerdem können die Kinder sich selbst kontrollieren, auch ohne Lehrer.“ Sie fordert Illja Bayer auf, seine Ergebnisse zu präsentieren, der mit einem Klick sein Ipad über Apple TV mit der Projektionsfläche verbindet. So sieht nun die ganze Klasse Illjas Seite. Er klickt auf den Absenden-Knopf, sofort werden richtige Antworten grün, falsche rot. Illjas Lösungen sind zwar alle richtig, die Begründungen dazu aber falsch. „Da müssen wir also noch dran arbeiten“, sagt Vus.

In der nächsten Stunde unterrichtet Peter Groben die Klasse in Geografie. Aus seiner Zeit als Lehrbeauftragter an der Uni weiß er, wie wichtig die digitale Kompetenz der Kinder ist. „Wir legen großen Wert darauf, dass die Kinder lernen, die Medien kritisch zu betrachten. Wir versuchen sie zu sensibilisieren, auf Quellen zu achten, machen klar, dass dem geschriebenen Wort im Internet nicht immer zu vertrauen ist.“ Aber werden die Kinder durch die Tablets nicht zu sehr abgelenkt? „Das Ipad soll als Werkzeug dienen, es soll alltäglich werden“, sagt er. Und tatsächlich sind die 8iler nicht unruhiger als andere Schüler ihres Alters. „Natürlich schicken sie sich ab und zu mal Nachrichten. Aber Zettel sind schon immer von Bank zu Bank gewandert“, sagt Groben. Ihm ist auch wichtig, dass die Kinder nicht ausschließlich mit dem Ipad arbeiten. „Die Kernkompetenzen Lesen und Schreiben müssen auch erst mal da sein. Eine Ipad-Klasse macht erst ab einer gewissen Stufe Sinn.“

Und die Klassenarbeiten? Die werden auch in der modernen Welt noch immer analog, mit blauer Tinte auf weißes Papier geschrieben.

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