Hüttenführung Mit Freifrau und Alfred auf den Hochofen

Neunkirchen · Zum Advent veranstaltet die Stadt Neunkirchen besondere Führungen über das alte Hüttengelände.

„Hallo Chef“, „mein Gatte“ – so begrüßten der schnurrbärtige Alfred und Ida von Stumm-Halberg das Standbild Karl Ferdinands auf dem nach ihm und seiner Sippe benannten Stummplatz. Gleich würde Glühwein die kalten Glieder der „Mäde und Bube“, wie Alfred immer wieder jovial die bereitwillig mitspielenden Besucher nannte, erwärmen. Doch erst galt es, ihn noch zu würdigen: den Stahlbaron nämlich und seine Verdienste hier im größten Dorf Preußens. Denn, so Lektion Nummer eins, die Ida den zwei Handvoll Zuhörern erteilte, erst 1922 bekam Neunkirchen die Stadtrechte.

Wir schreiben das Jahr 1904. So fortschrittlich, wie das Trio vorgibt zu sein, war es damals ganz sicher nicht. Undenkbar, dass eine Dame des gehobenen Standes, Freifrau gar, eine Gast-Delegation zusammen mit einem hemdsärmeligen Arbeiter durch die Hütte führt. Wobei der Reiz natürlich genau in dieser Konstellation lag. Hier der ungebildete Proletarier, dort die Frau von Welt. Wer sich nicht von den Temperaturen abschrecken ließ, kam in den Genuss einer gelungenen, kurzweiligen Premiere. Die etwas andere Stadtführung gestalteten Heike Lismann-Gräß und Rosa Wehlitz, letztere begleitet von Helene in Person von Pauline Gräß, „eine preußische Perle voller Anmut und Grazie“. Jene Perle hatte vor allem eine Aufgabe: „Helene, Hochofenstaub“, insistierte Ida alle Naselang, woraufhin die Angesprochene ihre Kleiderbürste zückte und die Gewänder der Freiherrin abbürstete.

Denn so ein Hochofen, wovon es immerhin sechs Stück gab, so Alfred – „hier das ist nur der klägliche Rest“ – hatte niemals Feierabend. Rund um die Uhr wurde eingeheizt und Dreck geschleudert. Natürlich auch auf das Stummsche Herrenhaus, das man sich neben das erhaltene und frisch sanierte Kutscherhaus imaginieren musste: Prachtvoll sei es gewesen, schwärmte Ida von Stumm, eine Römische Villa mit Ming Vasen, Orientteppichen und Springbrunnen auf der Kiesterrasse. Und auf allem dieser nervige Staub. Dazu der grässliche Lärm. „Ich fand’s scheen“, strahlte Alfred. Und verzählt Geschichten wie die von Hermann Fuchs, der stundenlang vor dem Stummschen Casino in der Wilhelmstraße ausharrte, weil drinnen der spielsüchtige Heinitzer Grubendirektor zockte. Als ihn Karl Ferdinand, der ihn beobachtet hatte, darauf ansprach, meinte Fuchs: „Ein guter Kutscher bleibt immer bei seinem Pferd.“ Drei Tage später hatte er einen Arbeitsvertrag bei Stumm als Oberkutschmeister.

Bevor das Gerüst am Hochofen zu erklimmen ist, werden Helme ausgeteilt. Dann steht man andächtig an der Rinne, durch welche das 1300 Grad heiße Roheisen floss. Ein Knochenjob für jene, die hier früher die Schlacke abzogen – und ein Leben verkürzender noch dazu. „Die Leit, wenn sie auch nicht rein gefallen sind, die sind nicht alt geworden“, bringt es Alfred auf den Punkt. Oben, in 32,5 Meter Höhe, gilt es die Hängebahn zu bestaunen und das Panorama. Dereinst, als die noch glühende Schlacke auf die Halde gekippt wurde, sei der Himmel rot gewesen über Neunkirchen, erinnert sich Alfred. „Meine Oma hat immer gesagt, jetzt bäckt das Christkind Plätzchen.“ Welch fleißiges Geschöpf, dachte er da: „Es hat ja schon den ganzen Sommer gebacken.“

Laut Mitteilung der Stadtpressestelle war die Aktion ein großer Erfolg. Deshalb will man diese Form künftig in das Führungsangebot für Gruppen mit aufnehmen (Preis je nach Gruppenstärke auf Anfrage). „Einfache“ Kostümführungen werden von März bis Oktober einmal im Monat angeboten, doppelte können gesondert gebucht werden.

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