Was ist Angst? Wie sich die Angst Platz schafft

Neunkirchen · Angst empfindet jeder anders. Doch wo kommt sie her, wie entsteht sie? Persönliche Gedankengänge zum Thema.

 Kommt es auf dem Lübbener Platz zu Übergriffen von Flüchtlingen auf Frauen? Der Neunkircher Polizei liegen keine Anzeigen vor.

Kommt es auf dem Lübbener Platz zu Übergriffen von Flüchtlingen auf Frauen? Der Neunkircher Polizei liegen keine Anzeigen vor.

Foto: Spettel

Unter einem Artikel unserer Lokalredaktion mit dem Titel „Diffuse Gemengelage am Lübbener Platz“ stapeln sich die Facebook-Kommentare. Männer, die ausschauen wie Ausländer, sollen dort Frauen belästigt haben, steht in dem Text vom 12. Juli. Frauen erzählen in dem Artikel, dass sie sich mehr als unwohl fühlen, wenn sie über den Platz gehen. „Meist sind es die Männer, die nicht mal den Anstand haben, ein 16-jähriges Mädchen wie mich in Ruhe zu lassen. Immer rufen sie einem etwas Unangenehmes zu, pfeifen, rufen nach“, schreibt eine junge Frau in den Kommentaren. Im Text selbst berichtet eine Frau davon, von Ausländern umringt und bedrängt worden zu sein. Sie flüchtete, rief die Polizei, wartete nicht auf sie, sondern fuhr sofort nach Hause. Panik. Angst. Sie war fix und fertig. Ihre Angst hatte einen Grund. Sie fühlte sich nicht nur bedroht. Sie wurde bedroht. Das ist nicht akzeptabel. Genauso wenig, wie alle Migranten über einen Kamm zu scheren.

Ausländer, Asylbewerber, Fremde. Sie treffen sich auf dem Platz. Draußen - wie es in ihren Kulturen üblich ist. Sie knabbern Sonnenblumenkerne, werfen die Schalen auf den Boden, sind laut, rauchen. Ungewohnt ist der Anblick für manche Passanten. Das mögen nicht viele hier. Dennoch sind viele der Meinung, dass sie den Menschen, die dort stehen, und deren Namen und Geschichten sie nicht kennen, genau kennen. „Pack“ schreibt ein Mann unter den Artikel. „Ist ja mittlerweile in ganz Deutschland so, dass du dich als Fremder fühlst“, schreibt ein anderer. Gemeinsam ist diesen beiden Kommentarschreibern eines: die Angst vor dem Fremden.

Sie ist deutlich zu unterscheiden von der realen Angst, die jene von Männern umringte Frau ganz begründet erlebte. Eine, die sie wirklich erleben musste. Doch nicht alle Frauen, die über den Platz gehen, werden bedroht. Sie fühlen sich aber so. Und zwar auch bereits in der Zeit, bevor die Geschichte der jungen Frau bekannt wurde.

Was ist diese Angst vor dem Fremden? Woher kommt sie? Die Angst vor dem Fremden ist uralt. Und lässt sich mit der vor Spinnen vergleichen. Beide sind Urängste. Beispiel Spinne. Die Angst davor ist in Deutschland nicht nötig. Hier gibt es keine gefährlichen Spinnen. Früher, also vor Ur-Urzeiten, war diese Angst eine berechtigte. Zur selben Zeit war es auch wichtig, Angst vor Fremden zu haben. War ja ein Überlebensvorteil. Zusammenrotten, den Stamm verteidigen und Mitglieder anderer Stämme erschlagen. So lief das damals. Das Problem solcher Urängste ist, dass sie in einem doch recht primitiven Teil unseres Hirns entstehen. Einem Teil, der nicht so gut entwickelt ist. Sie lassen sich dazu nur schwer durch die etwas helleren Teile unseres Hirns durch den Einwurf von Fakten beruhigen. Dieser Angstteil ist nur schwer überzeugbar.

Dabei hat unser Vernunft-Hirn verstanden, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, Opfer eines Anschlags, einer Vergewaltigung oder einer Belästigung zu werden. Aussagekräftige Statistiken dazu gibt es genügend. Und es gibt natürlich auch die vernunftgesteuerten Menschen, die sagen, dass Flüchtlinge gut für uns sind. Ökonomisch vor allem – wenn junge Menschen in das alternde Deutschland einwandern. Diese Rationalität kommt allerdings nicht gegen jenes Urangst-Depot an. Restzweifel können bleiben: Was, wenn dieser arabisch aussehende Mann da hinten ein Grapscher ist? Diese Sorge scheint auf den ersten Blick berechtigt, da die Ereignisse von Köln (Silvesternacht) präsent sind. Auch den Frauen, die über den Lübbener Platz gehen. Obwohl sie wissen, dass nicht jeder Mensch ein Grapscher ist, werden sie in Zukunft an den Artikel über die Belästigung denken, so sie ihn denn gelesen haben, wenn sie über den Platz gehen.

Diese Ängste nicht ernst zu nehmen, ist gefährlich. Schließlich sind es vor allem rechtsgerichtete Parteien oder Bürgerbewegungen, die diese subjektive Angst vor dem Fremden für ihre Ziele nutzen. Daher scheint es auch in Neunkirchen wichtig, darüber zu schreiben und zu reden. Und über Lösungswege zu diskutieren. Dazu scheinen große Anstrengungen notwendig. Auf Seiten des Staates, auf Seiten der Menschen, die hier schon immer leben - und auch auf Seiten der Migranten.

Der Staat sollte für ein Sicherheitsgefühl sorgen. Polizeistreifen, das bessere Einbinden der Citywache. So hat uns eine Leserin geschrieben, ihr wäre noch nicht mal klar, wie sie die Citywache in der Wellesweilerstraße erreiche. Wir sollten doch mehr darüber berichten.

Die Polizei hingegen weiß nichts von Belästigungen, da, wenn sie geschehen, offenbar von den Frauen nicht zur Anzeige gebracht werden. Aus Scham? Aus Angst?

Doch was kann man selbst gegen diese Urangst tun? Einen Therapeuten aufsuchen? Kann man machen. Sich ihr stellen, hilft auch. Wer Angst vor Pferden hat, muss reiten. Wer Angst vor Spinnen hat, sollte sich eine auf die Hand setzen. Wer Angst vor Fahrstühlen hat, sollte sie nutzen. Nach hunderten Versuchen ist klar: Es passiert nichts.

Ähnlich funktioniert es mit der Angst vor den Fremden. Das erklärt auch, warum genau in den Landstrichen in Deutschland mit besonders wenigen Ausländern die Angst davor am Größten scheint. Wir sollten uns also mit den neuen Mitbürgern auseinandersetzen, auf sie zugehen. Mit ihnen reden. Das ist ein Weg aus der Angst. Für viele ein zu steiniger Weg. Auch für viele Flüchtlinge. Auch sie müssen reden,die  Grapscher anzeigen, auf Menschen zugehen. Doch genau das fällt ihnen offenbar auch schwer. Wohl auch, weil sie sie eben auch kennen: die Urangst vor dem Fremden.

Die Telefonnummern der City-Wache: Tel. (0 68 21) 202 216, Mobil ist sie auch zu erreichen: (01 73) 6 76 35 55.

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