Alternative zum Schlachthaus Wie ein Neunkircher Landwirt auf dem eigenen Hof schlachtet

Neunkirchen · Um ihren Tieren am Lebensende Stress und Ängste zu ersparen, suchen Landwirte nach Alternativen zu Transporten und Schlachthäusern. In Neunkirchen etwa werden Rinder direkt am Stall geschlachtet. Das hat aber seinen Preis.

Der Hof des Neunkircher Landwirt Dirk Fiedelak
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Der Hof des Neunkircher Landwirt Dirk Fiedelak

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Foto: dpa/Oliver Dietze

Holly steckt ihren Kopf tief in den Eimer mit gemahlenem Getreide, den ihr der Neunkirchener Landwirt Dirk Fiedelak im Fressgitter hinhält. Irgendwann, in ein paar Tagen oder wenigen Wochen, wird das Rind genau in jenem Moment, in dem es sein Futter genießt, sterben. Zunächst betäubt durch einen Bolzenschuss auf der Stirn, dann innerhalb von einer Minute getötet durch Blutenzug nach einem gezielten Schnitt von einem Metzger.

Ein Moment, der auch für Dirk Fiedelak (32) und seine Frau Janica (28) nicht leicht ist. Sie sind aber überzeugt, dass es die richtige Methode für ein Nutztier ist, aus dem Leben zu scheiden: „Für mich war immer wichtig, wie Tiere gestorben sind“, sagt die 28-Jährige, eine frühere Veganerin. „Es muss mit Würde leben und es muss mit Würde sterben dürfen. Es bringt nichts, wenn es ein schönes Leben hatte aber letztendlich dann einen grausamen Tod.“

Deshalb werden die Rinder vom „Fiedelak Hof“ im saarländischen Neunkirchen-Wiebelskirchen seit neuestem direkt auf dem Hof geschlachtet: an ihrem vertrauten Ort, wo sie täglich gefüttert werden. 27 Fleischrinder und einen Deckbullen aus Rassen wie Limousin, Angus und Fleckvieh hat das Ehepaar. Zehn bis zwölf werden pro Jahr im Alter von 20 bis 24 Monaten geschlachtet, nachdem sie ihr Leben bei der Mutter und der Herde verbracht haben. Davon leben kann die vierköpfige Familie nicht: Ein festes Einkommen hat Dirk Fiedelak als Industriemechaniker.

Schon als Kind hatte er jedoch ein besonderes Verhältnis zu Kühen. Er besuchte sie ständig auf dem Hof eines Nachbarn, begleitete sie schon als Jugendlicher mit zum Schlachthof und setzte dies auch wie selbstverständlich fort, seit er seine eigene Herde ab 2015 immer weiter vergrößerte. „Das gehört für mich absolut dazu“, sagt er. „Für mich war immer wichtig, meine Tiere bis zu ihrem letzten Moment nicht alleine zu lassen und zu sehen, was mit ihnen passiert.“

Doch mehr und mehr wurde ihm bewusst, wie viel Stress die Rinder und Schweine in ihren letzten Lebensmomenten haben. „Es geht los mit dem Aufladen, dann wird es mit dem Abladen noch schlimmer. Dann müssen sie in einer neuen Umgebung durch einen schmalen Gang in die Box, wo es schon nach Blut riecht.“ Manche Tieren seien dabei „komplett durchgedreht“. Das war der Moment, als sich das Ehepaar Fiedelak über Alternativen Gedanken machte und vom Veterinäramt erfuhr, dass es die Möglichkeit einer so genannten teilmobilen Schlachtung gebe.

Die Erlaubnis zur Weidenschlachtung mit einem Kugelschuss im Freien wie in Rheinland-Pfalz gibt es im Saarland derzeit nicht. Und wäre für Fiedelaks eh' nicht in Frage gekommen, weil die Rinder dafür das ganze Jahr auf der Weide stehen müssen, ihre im Winter aber im Stall untergebracht sind. Im November fand die erste Hofschlachtung bei ihnen statt, inzwischen beendeten bislang zehn Rinder auf diese Art ihr Leben: im Beisein der vertrauten Landwirte, die den Eimer mit dem Futter halten, mit einem Metzger, der den Bolzenschuss und Entblutungsschnitt setzt und mit einem Amtstierarzt.

Auch Kundin und Freundin Yvonne Riefer ist oft dabei. „Für mich war unausgesprochen klar, dass ich diesen Weg mitgehen will, weil mir das Thema sehr am Herzen liegt“, sagt die 34-Jährige. Dass sie weiß, welches Tier später bei ihr zuhause auf dem Teller landet, störe sie nicht. Ganz im Gegenteil: „Ich kann es dann mit einem besseren Gefühl essen, weil ich weiß, wie es gelebt hat und wie es gestorben ist.“

Auf dem Hof Heeger im pfälzischen Breunigweiler (Donnersbergkreis), zu dem 45 Mutterkühe plus Nachzucht und 40 Mastschweine gehören, werden die Tiere seit knapp einem Jahr im hofeigenen Schlachthaus getötet. Metzgermeister Henrik Heeger garantiert eine artgerechte Schlachtung. „Es sind fast keine fremden Personen dabei, die Tiere sehen nur mich“, sagt er. Dass sie in den letzten Stunden und Minuten vor ihrem Tod keinen Stress mehr hätten, habe auch positive Auswirkungen auf Qualität und Geschmack: „Viele Kunden sagen, dass man das dem Fleisch anmerkt.“ Und das wüssten immer mehr zu schätzen: „Die Leute wollen wissen, woher das Fleisch stammt.“

Der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD) sieht es positiv, wenn sich Landwirte bemühten, Transportwege für die Tiere kurz zu halten oder weitestgehend zu vermeiden. „Die Schlachtung im eigenen Betrieb unter Einhaltung aller hygienischen Standards ist dabei eine gute Lösung.“

Doch mehr Tierwohl hat auch seinen Preis: Mit 12,50 Euro pro Kilo ist das Rindfleisch bei Fiedelaks etwa doppelt so teuer wie üblich. Die Sorge, die Kunden würden bei der Preisanhebung abspringen, war allerdings unbegründet: „Wirklich jeder hat mitgezogen“, berichtet Janica Fiedelak. Seit sich die Hofschlachtung herumgesprochen habe, sei die Nachfrage sogar so weit gestiegen, dass man sie gar nicht mehr vollständig erfüllen könne.

Wie ein Landwirt in Neunkirchen seine Tiere ohne Schlachthaus schlachtet
Foto: dpa/Oliver Dietze

Älteste Kuh in ihrem Stall ist übrigens die fast 19 Jahre alte Liesel: Die erste, die Dirk Fiedelak mit ihrem Kalb schon als Jugendlicher kaufte und auf dem Hof nun ihr Rentner-Dasein genießt. Wie sie wohl einmal sterben wird? „Idealerweise“, sagt Janica Fiedelak nachdenklich, „wird sie einfach mal tot umkippen.“

(dpa)
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