SZ-Serie „Ich packe meinen Koffer“ Unter Abc-Schützen gibt’s Sorgenkinder

Neunkirchen · Urlaubszeit, Reisezeit. Sie kennen das Spiel „Ich packe meinen Koffer und nehme mit“? Die SZ hat sich spannende Koffer öffnen und ihren Einsatz erklären lassen. Teil 12 und Schluss: Im Landkreis Neunkirchen werden am Montag 956 Kinder eingeschult. Vorher hatten sie eine Verabredung mit der Schulärztin.

 Schulärztin Ruth Wolff hat im Koffer auch immer die „Helfer mit Spezialauftrag“, plüschige Kuschelhunde.

Schulärztin Ruth Wolff hat im Koffer auch immer die „Helfer mit Spezialauftrag“, plüschige Kuschelhunde.

Foto: Thomas Seeber

Ruth Wolff zaubert zwei kleine Kuschelplüschhunde aus ihrem grauen Koffer. „Türöffner“, aber auch „Helfer mit Spezialauftrag“. Wir werden später hören warum.

Wohl jedes Kind, das am 12. August im Landkreis Neunkirchen zu seinem ersten Schultag aufbricht, wird Schulärztin Wolff oder eine ihrer Kolleginnen Julia Hardenbourger, Sissy Kuhn und Evelina Smolenska vorab begegnet sein. Aufgabe des Ärztinnen-Teams vom Kreisgesundheitsamt samt sechs Sozialmedizinischen Assistentinnen ist es doch, sich zukünftige Abc-Schützen schon in der Kindergartenzeit mit Beginn des Vorschuljahres anzusehen. Sie untersuchen die Kleinen auf altersgerechte Entwicklung und Schulreife. Sie decken Risiken und Verzögerungen auf, um dann Hilfen anzubieten.

Für den kommenden Erstklässler-Jahrgang 2019/2020 haben die Schulärztinnen 1007 Jungen und Mädchen untersucht: 101 in Eppelborn, 103 in Illingen, 95 in Merchweiler, 385 in Neunkirchen, 115 in Ottweiler, 118 in Schiffweiler, 82 in Spiesen-Elversberg und neun außerhalb des Landkreises. Eingeschult werden am Montag voraussichtlich 956 Kinder, wie das Bildungsministerium auf Anfrage mitteilt.

Doch Ruth Wolff lastet etwas „auf dem Herzen“ mit Blick auf ihre aktuellen Daten: „Von den 1007 untersuchten Kindern hatten 89 Kinder vor Schulbeginn keinen Kindergarten besucht. Allein im Bereich der Stadt Neunkirchen waren es 39 Kinder. Es gibt zu wenig Plätze.“ Fast alle, die keinen Kindergarten besucht haben, seien nicht hier geboren, mit ihren Eltern hierhergekommen. Die Folgen: „Diesen Kindern fehlt die vorschulische Gruppenerfahrung. Die Gelegenheit, mit anderen Kindern spielerisch zu lernen. Die Chance, so auch die deutsche Sprache zu lernen.“  39 von 385 Kindern in der Stadt Neunkirchen: „Das sind zehn Prozent. Zu viel.“ Wolff skizziert die Folgen: „Für diese Kinder ist es eine Riesenherausforderung, jetzt mit der Schule zurecht zu kommen. Sie schleppen einen großen Nachteil zu Schulbeginn mit sich.“  

Zurück zum Koffer, an dem künftige Abc-Schützen sehr wohl reifen können. „Da ist ein halbes Büro drin“, sagt Wolff. Sie untersucht ihre Schützlinge meist im Kindergarten (manchmal auch im Amt). Dort braucht es auch Laptop und Drucker. Manche Daten werden gleich eingegeben. „Es ist weniger medizinische Technik im Koffer drin als Spielzeug“, sagt Wolff.  Zum Equipment gehören natürlich Waage (dünn und hübsch bunt) sowie Metermaß.  Wie groß und wie schwer sind die Kinder?  Stethoskop und Blutdruckmessgerät hat Wolff auch im Gepäck. Dann sind wir aber schon beim Spielzeug. Als Hilfsmittel, um zu sehen, wie fit das Kind ist, wo es vielleicht Unterstützung braucht. Buntstifte kommen zum Vorschein, auch bunte Bauklötze. Der weiße und der braune Plüschhund sitzen während des Gesprächs mit unserer Zeitung schon mal auf dem Koffer. Sie haben bei Untersuchungen zusammen mit den Bauklötzchen ihren Einsatz. Vereinfacht ausgedrückt geht es um eine Merkkette. Das Kind wird von Ruth Wolff aufgefordert: „Leg das gelbe Bauklötzchen hinter den braunen Hund.“ Um die Aufgabe zu lösen, muss das Kind die Farbe Gelb kennen, den richtigen Hund wählen und zudem noch „vor“ und „hinter“ managen.

Eine Sammelmappe hat auch ihren Platz im Koffer. Darin Testseiten, die der Ärztin Aufschluss geben können übers Hören und Sehen, wie es mit Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit aussieht, aber auch mit feinmotorischen Fähigkeiten etwa beim Nachmalen von Zeichen. Und wie kann das Kind Mengen erfassen? Sind im abgebildeten Korb drei, fünf oder sieben Äpfel? Nicht im Koffer, aber auch auf der To-do-Liste der Ärztin sind Bewegungsspiele wie hüpfen, um zu schauen, ob  motorisch alles im grünen Bereich ist.

„Das Programm ist standardisiert, aber ich kann es flexibel ans Kind anpassen“, sagt Ruth Wolff. Es gebe mit der Erfahrung über die Jahre „kleine Tricks und Techniken“, um zu Kindern, die scheu und ängstlich sind, eine Brücke zu schlagen. „Ich versuche auch, die Kinder mitsteuern zu lassen: Möchtest du, dass wir zuerst das oder was anderes machen?“ Ordentlich Zeit passt nicht in den Koffer. Wird aber in der meist 45-minütigen Sitzung für Gespräche mit den Kindern, den Eltern und den Erziehern gebraucht.

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