Die SZ schaut hin Spiesen-Elversberg, das ist „mehr als gewohnt“
Spiesen-Elversberg · Sonderfall Spiesen-Elversberg: Die SZ war in beiden Ortsteilen der Gemeinde unterwegs. Der Eindruck war jedoch ähnlich: Kleine Anbieter haben zu leiden.
Wer von der Autobahn aus nach Elversberg kommt, sieht zuerst eine Riesenbaustelle. Der Fußball-Regionalligist SV Elversberg baut neben dem Stadion Kaiserlinde einen Parkplatz. Die namensgebende Linde kippte 2015 bei einem Sturm um, ein umgestürzter grüner Mega-Blumentopf, aus dem Blütenpflanzen purzeln, erinnert an das Baum-Denkmal. Hier an der Lindenstraße ist ein erstes „Zentrum“ von Elversberg: Tankstellen, Lidl, Curry Schörry, Geldinstitut, Post und der Nek-Markt, in dem es russiche Spezialitäten gibt. Leerstände sehen wir kaum.
Dann geht es runter in die St. Ingberter Straße, dort fällt gleich der Cap-Markt ins Auge. Ein Integrationsprojekt für Menschen mit Behinderungen, das knapp zehn Jahre als Versorger mit den Dingen des täglichen Bedarfs diente. Doch die Reha GmbH als Betreiber schloss den Laden kürzlich: keine Perspektive, der Wettbewerbsdruck zu hoch. Diese Diagnose passt auch für etliche andere Händler und Dienstleister in beiden Ortsteilen. Die großen Discounter, das Internet und die Mitbewerber in den nahen Städten St. Ingbert und Neunkirchen, zwischen denen Spiesen-Elversberg eingezwängt ist, machen gewaltig zu schaffen. Nachfolger für alteingesessene Geschäfte sind auch hier nur schwer zu finden.
Rund um die etwas angejahrt wirkende Glückauf-Halle mit ihrem eigenwilligen Farb-Konzept gruppieren sich noch etliche Anbieter von der Apotheke über Fahrschule, Schuhgeschäft, Eiscafé, Imbisse, Bäcker, Friseure bis zur unvermeidlichen Shisha-Bar.
Die fast lückenlos bebaute Straße geht weiter vorbei an Sonnenstudio, Kneipen, einer Auto-Sattlerei in Richtung Friedhof und damit Ortsende. Auf dem Rückweg biegen wir ab in Richtung Alter Markt. Schon am Vormittag sitzen hier Leute im Biergarten, auch wenn der Platz mit der Bergarbeiter-Figur mit etwas mehr Grün sicher noch etwas einladender sein könnte. Ecklokale sind verwaist, der Rückgang an Gaststätten hat längst auch Elversberg erreicht. Das Feierabendbier mit Freunden scheint nicht mehr modern zu sein. Eher geht man sich ja heutzutage einen Döner holen, um ihn daheim zu verspeisen.
Wer sich in Spiesen-Elversberg mit seiner Berg-und-Tal-Lage und etlichen Einbahnstraßen orientieren will, ist gut beraten, sich an eine Binsenweisheit zu halten: Elversberg ist oben auf dem Berg, Spiesen unten, wo auch das Rathaus in der Hauptstraße ist. Drumherum gibt es trotz einiger blinder Ladenscheiben noch ein vielseitiges Angebot.
Unter der Arkade des Rathaus-Zweckbaus lässt sich sogar am Vormittag ein Getränk einnehmen. In diesem Bereich des Ortes gibt es die einzige Metzgerei in der gesamten Gemeinde, die mit Discountern gut versorgt ist. Zwischendurch sind wir in der Industriestraße auf ein Dorado für Liebhaber klassischer Autos, beispielsweise der Marke Porsche, gestoßen. Das hat man als automobiler Normalverbraucher in dieser Sackgasse nicht vermutet.
Üblicherweise hat die SZ im Rahmen dieser Serie auch mit Leuten vom örtlichen Gewerbeverein gesprochen, um zu erfahren, wie sie die Situation einschätzen. Doch in Spiesen-Elversberg ist solch eine Instanz mittlerweile Fehlanzeige. Weswegen wir mit Berthold Jung sprechen, der lange Vorsitzender des Gewerbevereins Spiesen war. Für den erfahrenen Unternehmer (unter anderem Wohndecor Jung) ist die Gesamtsituation für Handel, Handwerk und Gewerbe in der Gemeinde „bedauerlich“.
Es mangele an jungen Leuten, die den Mut hätten, sich selbstständig zu machen. Was aber angesichts der Rahmenbedingungen, auf die Jung-Unternehmer in der saarländischen Provinz träfen, kaum verwunderlich sei. „Es gibt aber auch wenig Austausch zwischen denen, die hier noch vor Ort arbeiten“, sagt einer, der schon netzwerkte, als dieses Wort noch gar nicht erfunden war.
„Mehr als gewohnt“, das ist ein Slogan in der Gemeinde Spiesen-Elversberg, deren Verwaltungschef Reiner Pirrung nicht zur Lautsprecher-Fraktion unter den Verwaltungschefs im Lande zählt. Dass er auch die Kultur und nicht nur die Wirtschaft im Auge hat, wird ihm dann und wann vorgeworfen. Den wunderbaren Begriff „Wohnfühlgemeinde“ benutzt Pirrung gerne, nachzulesen im Internet auf
Bereits erschienen: Illingen, SZ vom 21. Januar 2018; Merchweiler, SZ vom 20. Februar 2018; Ottweiler, SZ vom 13. März; Eppelborn, SZ vom 9. April; Schiffweiler, SZ vom 20. April.