Kirchturmmuseum Ein ganzer Turm, voll mit Geschichte(n)

Wiebelskirchen · Einzigartig, aber für Großgewachsene nicht ganz einfach zu betreten: das Museum der Evangelischen Kirchengemeinde Wiebelskirchen.

 Beim Eintreten muss man sich bücken, wie hier Pfarrer i. R. Hartmut Thömmes demonstriert. Der Einstieg war ehemals ein Kirchenfenster.

Beim Eintreten muss man sich bücken, wie hier Pfarrer i. R. Hartmut Thömmes demonstriert. Der Einstieg war ehemals ein Kirchenfenster.

Foto: Jörg Jacobi

„Vorsicht, Kopf einziehen.“ Wer den Besuch des Kirchenmuseums der Evangelischen Kirchengemeinde Wiebelskirchen heil überstehen möchte, tut gut daran, die Warnrufe Hartmut Thömmes’ ernst zu nehmen. Den Weg weisend, bückt sich der Pfarrer im Ruhestand und tritt – temporär auf halbe Körperhöhe geschrumpft – in angemessen demütiger Haltung in das Dachgeschoss der Kirche. Durch ein früheres Turmfenster hindurch.

Zuvor galt es den Aufstieg zu meistern. „66 Stufen, das geht doch noch, oder?“, erkundigt sich Thömmes bei den Gästen. Begrüßt wurden sie im Kirchenschiff. Denn „die Kirche ist Teil des Museums“, darauf hatte der Ex-Archivar des Kirchenkreises Ottweiler hingewiesen. Ein eingemauerter Grabstein anno 1583 und ein Stück ausrangierte Kanzelumrandung schmücken den Eingangsbereich des Turms. Der ist im unteren Teil mittelalterlich, doziert Thömmes und geht die ausgetretenen Holzstufen nach oben voran. Auf halber Strecke hat die Stumm-Orgel von 1863 ihren Alterssitz gefunden. Sie wurde im vergangenen Jahrhundert von einem 35-Register-Beckenrath-Instrument abgelöst. Wobei die Orgelbauer aus Hamburg Teile des Stummschen Vorgängermodells verwandten. Ebenfalls im Turm befindet sich das mechanische Weule-Uhrwerk der früheren Kirchturmglocke – so groß wie eine umgelegte Duschkabine. „Wir wollten es nicht verschrotten“, meint Thömmes.

Assistiert wird der Pfarrer i.R. von Claudia Zilt. Gemeinsam kümmern sie sich um das Museum. „Es ist unser Baby“, sagt die Küsterin lächelnd. Seit 2008 arbeitet sie nicht nur hier, sondern wohnt mit ihrer Familie im Anbau des sakralen Gebäudes. Letzteres gründet auf den Fundamenten des einstigen Wehrturms. Der könnte aus der Römerzeit stammen, Funde in der Nachbarschaft lassen jedenfalls darauf schließen. Zupass kamen die Überreste des einstigen Befestigungsbauwerks den hier in Wiebelskirchen ansässigen Lutheranern. Nach dem Dreißigjährigen Krieg bauten sie daraus ihre Kirche. 1732 wurde das Gotteshaus erneuert, um es 131 Jahre darauf – der desolate Zustand ließ nichts anderes mehr zu – durch ein ganz neues zu ersetzen. In dem Zuge vergrößerte man auch gleich das Kirchenschiff. Seither „lehnt“ es in Querrichtung am Kirchturm, der seinerseits einen achteckigen Aufbau erhielt, gekrönt von einem Spitzhelm.

Besonders verbunden fühlte sich vermutlich Hans Karl Schmidt dem sakralen Gebäude und seiner wechselvollen Geschichte. Begann der frühere Gemeindeamtsleiter doch damit, Urkunden, Briefe, Protokollbücher, Siegel, Bibeln, Gesangbücher und Ritualbestecke der Gemeinde aufzuspüren. Vom Staub befreit, hortete er diese Schätze unter dem Dach des Langschiffes – dort, wo die kleine Besuchergruppe gerade verweilt. Im Laufe der Zeit ergänzte Schmidt die Schätze durch angekaufte Gegenstände und Bilder, traditionsbewusste Familien und Vereine beteiligten sich mit Leihgaben.

Als sich der gebürtige Völklinger und Wahlottweiler Thömmes 2001 dem Archiv der Gemeinde widmete, kam ihm die Idee, Schmidts Sammlungen zu einem richtigen Kirchenmuseum auszubauen. Wobei das für einen allein eine Nummer zu groß gewesen wäre. Unterstützung fand er in der Arbeitsgruppe des Männerkreises. Gemeinsam gestalteten sie in 13 Metern Höhe über dem Altar die fünf Räume neu und ordneten die Archivalien nach Themen. Im Eingangsbereich – alle haben sich nach dem so gewöhnungsbedürftigen wie originellen Einstieg wieder zu Lebensgröße aufgerichtet – grüßen Porträts der Wiebelskircher Pfarrer. Zu überregionaler Prominenz hat es bekanntlich Dr. Johann Friedrich Wilhelm Pustkuchen gebracht. Der Theologe und Arzt ging mit seinem 1821 veröffentlichten Buch „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ in die Literaturgeschichte ein. Denn auch Dichterfürst Goethe war auf diese Idee gekommen – ein Plagiatsstreit brach vom Zaun. Wobei man heute weiß: Dr. Pustkuchen war im Recht.

„Jetzt kommt schon was Besonderes“, kündigt Thömmes an und deutet auf ein recht unspektakuläres weißes Tuch. Es handelt sich um ein sogenanntes „Verwahrtuch“, in dem man Arme zu Grabe trug. Da Stoffe damals teuer waren, nahm man die Tücher anschließend wieder mit, kochte sie aus und legte sie fürs nächste Begräbnis bereit. Das eigentlich Wertvolle ist nicht das Tuch (leider kein Original, bedauert Thömmes), sondern der Brief von Prinzessin Wilhelmine Henriette von Nassau-Saarbrücken, verheiratete Marquise des Soyecourt. An sie hatten sich das Presbyterium und Pfarrer Johanes Maurer in ihrer Not mit der Bitte um Leichentücher gewandt. „Postwendend stiftete die Dame zwei Stück.“ Das beigelegte Schreiben ist auf den 21. März 1826 datiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Französische Revolution allerdings selbst schon Geschichte. An der Saar hatte seit Jahren die preußische Obrigkeit das Sagen. Dennoch wandten sich die noch treu ergebenen Untertanen mit ihrem Gesuch an die Tochter des vorletzten Saarbrücker Fürsten, Wilhelm-Heinrich.

Einen schönen Kontrast bildet ein Brief des gebürtigen Wiebelskirchers Erich Honecker. Dass es mal eine Wiebelskircher Zeitung gab, auch darauf weist der Pfarrer i.R. hin. Kurios: Veröffentlicht wurden dort regelmäßig die Zahltage der Saargruben. Dann nämlich holten die Frauen ihre Männer vom Werkstor ab, damit diese ihren daheim dringend benötigten Lohn nicht in der nächsten Kneipe versoffen. Und dann gibt es da noch diese Gedenkmünzen mit dem Konterfei Neunkircher Gotteshäuser, gefertigt aus den Kupfer-Oberleitungen der letzten Neinkerjer Straßenbahn.

Immer wieder gilt es den Kopf einzuziehen, wenn man von einem Raum in den nächsten wechselt. Im zweiten beherbergen Vitrinen die erdgeschichtliche Steinsammlung des früheren Neunkircher Oberstudienrates Dr. Matthias sowie Knochenfunde, auf die man bei Ausgrabungen im Umfeld der ältesten Wiebelskircher Kirche stieß.

Die drei übrigen Räume sind gefüllt mit Alltagsgegenständen und Mobiliar aus den vorangegangenen zwei Jahrhunderten, darunter Tisch und Stühle aus dem Standesamt der Bürgermeisterei Wiebelskirchen. Damit bietet das ungewöhnliche Museum nicht zuletzt Einblicke in vergangene, nostalgische Lebenswelten, die Schulkinder bei ihren Besuchen faszinieren – und zum Grübeln bringen. Was bitteschön ist ein Dreschflegel? Selbsterklärend dürfte dagegen die Schuhmachermaschine sein, anders als der quasi multifunktionale Esstisch, dessen Backmulde bei Bedarf aufgeklappt wurde. Dass hier oben in luftiger Höhe, wo ab und an schon Schleiereulen im Gemäuer brüteten, auch regelmäßig gelacht wird, dafür sorgt der „Pisspott“ unterm schmalen Bauernbett.

Den, so Hartmut Thömmes, deutet manch junger Gast als XXL-Tasse für den Fall der Fälle, sprich, „wenn man nachts mal großen Durst hat“.

Alle Serienteile, die bisher erschienen sind, finden sich im Internet.

 Küsterin Claudia Zitz mit „Scheesewäänsche“.

Küsterin Claudia Zitz mit „Scheesewäänsche“.

Foto: Jörg Jacobi
 Möbel unter anderem aus dem ehemaligen Bürgermeisteramt.

Möbel unter anderem aus dem ehemaligen Bürgermeisteramt.

Foto: Jörg Jacobi
 Hier geht es hoch: Der Aufgang zum Kirchenmuseum.

Hier geht es hoch: Der Aufgang zum Kirchenmuseum.

Foto: Jörg Jacobi
 So sah sie aus, die „gudd Kisch von domools“.

So sah sie aus, die „gudd Kisch von domools“.

Foto: Jörg Jacobi
 Inmitten der Möbel aus dem Bürgermeisteramt: Hartmut Thömmes.

Inmitten der Möbel aus dem Bürgermeisteramt: Hartmut Thömmes.

Foto: Jörg Jacobi
 Der Brief der Prinzessin Henriette von Nassau-Saarbrücken.

Der Brief der Prinzessin Henriette von Nassau-Saarbrücken.

Foto: Jörg Jacobi
 Die Fahne des evangelischen Jugendbundes aus dem Jahr 1913.

Die Fahne des evangelischen Jugendbundes aus dem Jahr 1913.

Foto: Jörg Jacobi
 Münzen, gegossen aus dem Kupfer der letzten Straßenbahn.

Münzen, gegossen aus dem Kupfer der letzten Straßenbahn.

Foto: Jörg Jacobi
 Das Weule Uhrwerk von 1909.

Das Weule Uhrwerk von 1909.

Foto: Jörg Jacobi
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