Signaturen zeigen Lauf der Zeit

Neunkirchen. Ein "Alt-68er" hat sich seit mehr als 40 Jahren bei der Stadt Neunkirchen eingenistet. Er ist in schwarzes Leder gewandet und hat es auf schriftliche Bekenntnisse prominenter Zeitgenossen abgesehen. Die hortet er im Tresor des städtischen Hauptamtes

Neunkirchen. Ein "Alt-68er" hat sich seit mehr als 40 Jahren bei der Stadt Neunkirchen eingenistet. Er ist in schwarzes Leder gewandet und hat es auf schriftliche Bekenntnisse prominenter Zeitgenossen abgesehen. Die hortet er im Tresor des städtischen Hauptamtes.Beschrieben ist damit das "Goldene Buch der Stadt Neunkirchen", das Neunkircher Zeitgeschichte widerspiegelt. Und solches, unbeleckt vom Zeitalter elektronischer Daten, wohl auch noch lange tun wird: Nach vier Jahrzehnten ist es erst etwa zu einem Viertel beschrieben. "Das Buch soll nicht allzu oft benutzt werden", sagt Hauptamtsleiter Fred Leibenguth. "Schließlich soll der Eintrag den Wert der Person oder des Anlasses ausdrücken." Für profanere Anlässe gibt es deshalb noch ein "gewöhnliches" Gästebuch der Stadt.Das goldene Exemplar hat seinerzeit Oberbürgermeister Friedel Regitz auflegen lassen. Anlass war offensichtlich der Besuch von SPD-Ikone Willy Brandt an der Blies - damals Außenminister der großen Koalition unter Kanzler Kiesinger. Brandt war am 5. Oktober 1968 der Erste (ihm folgte acht Monate später mit "Zuchtmeister" Herbert Wehner eine weitere SPD-Größe), der seinen Namenszug aufs Büttenpapier setzte. Sein aktueller Nachfolger als SPD-Chef, Franz Müntefering, lieferte in dieser Woche als 28. Einzelperson den vorerst letzten Eintrag.Beim Durchblättern stößt man vor allem auf politische Amts- und kirchliche Würdenträger. Mit Bernhard Stein (Juni 1970), Hermann-Josef Spital (November 1990) und Reinhard Marx (August 2007) ist die komplette Trierer Bischofsriege vertreten. Die Namenszüge der Bundespräsidenten Walter Scheel (Oktober 1978), Richard von Weizsäcker (März 1988) und Johannes Rau (August 1999) sind zu entdecken. Natürlich auch die Autogramme sämtlicher saarländischer Ministerpräsidenten seit Franz-Josef Röder. Wobei Reinhard Klimmt als einziger zwei Mal im Goldenen Buch auftaucht: Einmal als Saar-Regierungschef (April 2000) und sieben Monate später als Bundesverkehrs- und -bauminister. "Allzeit Gottes Segen dieser tollen Stadt" schrieb Peter Müller im vergangenen Juni zu seinem Autogramm.Bundesbauminister tauchen gehäuft im Goldenen Buch auf, weil Neunkirchen als Modellstadt für sozialen Umbau einen Besuch wert war: Von Karl Ravens (1975) über Dieter Haack (1978) bis zu Klaus Töpfer (1995) und Klimmt. Einzige Frau, die bisher den Sprung ins Neunkircher Promi-Album schaffte ist Annemarie Renger (Februar 1975), seinerzeit erste Bundestagspräsidentin.Historisches Highlight ist zweifellos die Rückkehr eines Wiwwelskeijers: "Seine Exzellenz, der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" wurde auf Wunsch über den Namenszug Erich Honeckers geschrieben, den der DDR-Machthaber am 10. September 1987 bei einem Besuchs der Bundesrepublik ins Neunkircher Buch setzte.Neben der Politik blitzt spärlich die Kultur auf: Professor Wolfgang Kermer, ein Gewächs der Stadt, trug sich im Mai 2005 ein, als er seine Kunstsammlung der Stadt spendierte. Daneben wurden die Städtepartnerschaften mit Mantes-la-ville (Oktober 1970) und Lübben (Dezember 1986) sowie deren Jubiläen per Delegations-Signatur festgehalten.Die Kunstschrift-Texte zu den Signaturen gestaltete bis 1979 der Stadtangestellte Willy Süßkind, seitdem der Neunkircher Künstler Hans Huwer.

HintergrundDie Kunstschrift-Texte in schwarzer Tusche, die den jeweils Unterschreibenden vorstellen, hat bis zu seinem Ausscheiden aus dem städtischen Dienst der kalligraphisch versierte Mitarbeiter xcxcxcxcxc Süßkind gestaltet. Seitdem hat sich der Neunkircher Künstler und Designer Hans Huwer dieser Aufgabe angenommen. gth

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