Fantastisches Saarland

Schiffweiler · Beim zweiten Fantasie- und Rollenspielkonvent (Fark) tummelten sich am Wochenende über 20 000 Besucher. Sie alle eint die Leidenschaft für fantastische Welten. Sind sie deshalb auch alle weltfremde Träumer?

 Julia Andlauer in ihrer Rolle als Astari Rabenherz. Auf ihrem grünen Gewand schimmert ein goldenes Hexenzeichen.Foto: Oliver Dietze

Julia Andlauer in ihrer Rolle als Astari Rabenherz. Auf ihrem grünen Gewand schimmert ein goldenes Hexenzeichen.Foto: Oliver Dietze

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 Endzeit-Spieler lehnen sich an Filme wie „Mad Max“ an. Foto: b&b

Endzeit-Spieler lehnen sich an Filme wie „Mad Max“ an. Foto: b&b

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Trommel- und Dudelsackklänge steigen zum blauen Himmel auf. Musiker in Kutten und Lederstiefeln sitzen zwischen Stahlträgern und Backsteingebäuden der ehemaligen Grube Reden . Von der Musik angelockt, bleiben zwei Mädchen mit langen blauen Zöpfen, Mini-Kleidern und Spitzenschirmen stehen. Ein Trupp Jedi-Ritter marschiert vorbei. Bevor ihre blitzenden Visiere in der Sonne verschwunden sind, tritt eine junge Frau auf den Platz. "Ich bin die Hexe Astari Rabenherz", stellt sie sich vor, rafft ihr Gewand und nimmt auf einer hölzernen Bank Platz.

Mit ihr kamen über 20 000 Besucher zum zweiten Fantasie- und Rollenspielkonvent (Fark) im Saarland. Vergangenes Jahr zählte Veranstalter Benjamin Kiehn die Hälfte. Statt Eintritt zu zahlen, spendeten die Besucher dieses Jahr 21 870,90 Euro für das Kinderhospiz Saar.

Ein Steampunk-Pärchen winkt der Hexe zu. Das Phänomen Steampunk entwickelte sich aus der Literatur zu einem Kunstgenre und einer kulturellen Bewegung. Darin trifft das viktorianische Zeitalter auf die Moderne, verbunden mit Abenteuern und einer Faszination für Dampf-Maschinen. Die Frau trägt ein Korsett, eine Baumwollbluse, einen langen Rock und eine Taschenuhr, der Mann Hemd und Hose sowie eine Schutzbrille über seinem Zylinder. Die Wurzeln des Steampunk reichen zurück bis zu Büchern von Jules Vernes und H. G. Wells, die um 1900 entstanden.

Astari Rabenherz dagegen wurde vor etwa vier Jahren geboren. Zu dieser Zeit entdeckte Julia Andlauer (27) aus Neunkirchen das Live-Rollenspiel (LARP). "Meine Hexe Astari ist halb Elfe, halb Mensch. Sie kann heilen und auch verfluchen", erzählt sie und trinkt einen Schluck Limo. Erstaunt betrachtet sie einen Mann, der an einer Leine zwei Frettchen Gassi führt, Richtung Taverne. Etwa viermal im Jahr fährt Andlauer zu sogenannten Conventions, kurz Cons. Dort spielt sie für einen Abend oder mehrere Tage mit Gleichgesinnten. Das größte LARP-Gelände in Deutschland liegt in Bexbach und heißt Utopion. "Im Saarland gibt's viele Fantasy-Spieler. Hier auf der Fark kann ich mich aber nicht so benehmen wie auf einer Con", sagt Andlauer und lächelt verschmitzt. Dafür sei Astari zu misstrauisch. Das unterscheide sie von Julia, auch wenn die beiden sonst einiges gemeinsam hätten. So wie Astari ihren Hexenzirkel schütze, kümmere sich Julia oft um ihre Freunde. Beide seien naturverbunden, tierlieb und bewegten sich viel im Wald.

Trotz Ritualgewandung, Schminke und Waffenstab hat die 27-jährige Lehramtsstudentin so gar nichts von einem schüchternen Freak, der mithilfe von Fantasy aus der Realität abtaucht. Bei der Erwähnung dieses Vorurteils bekommt Astari alias Julia Falten auf der Stirn. "Die LARP-Welt fasziniert mich, weil sie so vielseitig ist. Die Spieler müssen kreativ sein, sich ihren Charakter ausdenken und das Kostüm zusammenstellen", erzählt sie weiter. Im Live-Spiel müssten sich zudem alle auf ihre Mitspieler einlassen und ständig neu reagieren. "Ein bisschen wie im Improvisationstheater." Und doch ganz anders. Im Rollenspiel sei man viel freier als im Theater. "Das Spiel steht und fällt mit den Leuten." Falle jemand aus der Rolle, mache er für die anderen das Ambiente kaputt. "Erlebe ich Gefühle meines Charakters mit, von Freude über Trauer bis Jähzorn, dann ist das Spiel richtig gut", so Andlauer. Lehrer, Ärzte und andere Akademiker aus ganz Deutschland kennt sie, die sich genau wie sie für Cons gut organisieren müssen: Anfahrt, Spiel-Charakter, Kostüm, Verpflegung, Kenntnis der Spielregeln. Mit vielen ist Andlauer auch außerhalb der Cons gut befreundet. Das alles passt nicht zum Klischee vom weltfremden Nerd, der mit einem Schwert seinen Frust wegprügelt. "Unsere Waffen verletzen niemanden", sagt Andlauer. "Die sind aus Kunst- und Schaumstoff."

Ein Kunststoffschwert besitzt auch die Gestalt neben ihr. Mit Kapuze, spitzen Plastikzähnen und dunkler Schminke ist Andlauers Freund, der SAP-Berater Thomas Di Lenardi (35) aus Illingen, heute als Chaos-Krieger unterwegs. "Kennengelernt haben wir uns aber im echten Leben", sagt er. Dann nimmt der Krieger die Hexe bei der Hand und verschwindet mit ihr zwischen Steampunkern, Klingonen und Feen.

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