Erinnerung geht durch den Magen

Landsweiler-Reden · Gerhard Bungert stellte gestern im Steigerbüro des Bergwerks Reden sein neues Buch „Mahlzeit“ vor – in fließendem „Oxford-Saarländisch“. Neben Autobiografischem finden sich da jede Menge Fußnoten und Anekdoten verpackt.

Es war 1971, da wurden per Aushang an der Uni Interviewer für unter Tage gesucht. Der Sprache der Eingeborenen mächtig und nicht übermäßig zartbesaitet, erfüllte der in Spiesen geborene Soziologie- und Psychologiestudent Gerhard Bungert alle Voraussetzungen für den Job. Zwei Monate fuhr er täglich ein, um die Bergleute zu befragen - die erste Bekanntschaft mit der Örtlichkeit, an der Bungert gestern sein neuestes, im Verlag Perlenschur erschienenes Buch präsentierte.

Dabei handelt es sich um eine Art Autobiografie, wobei sich das Leitmotiv "Essen" wie ein roter Faden durch die 237 Seiten zieht, erklärte der Autor in gut verständlichem "Oxford-Saarländisch" dem handverlesenen Publikum im Steigersaal. Noch nie dagewesen sein dürften Bungerts dreierlei Fußnoten, die den Leser durch das ganze Buch begleiten: eine für Quellenangaben, eine für Links und eine für "Apropos": - sprich, wenn es mit dem Erzähler ein bisschen durchgeht, weil da ja noch die Anekdote passt und ihm dann gleich noch etwas Anderes einfällt. Das sei im Übrigen ein typisch saarländisches Phänomen, "wir sind die Weltmeister im Abschweifen".

Die erste Apropos-Fußnote versteckt sich auch gleich in der Überschrift des ersten Kapitels: "Satt gen (1) in schlechten Zeiten". Bungerts Anmerkung dazu lautet: "Mit dem Hilfsverb ,werden' haben wir Saarländer nicht viel am Hut. Wir ,geben' lieber . . . Man gebbt of de Autobahn iwwerholt, de Bub gebbt Lehrer, de Lyoner gebbt gegrillt". Geboren wurde Bungert am 11. November 1948, im Jahr zuvor waren die Lebensmittelmarken abgeschafft worden. "Da gab es im Saarland plötzlich wieder etwas zu essen." Allerdings noch keine Hoorische oder Schaales, die auch gar nicht von hier, sondern aus dem Kölschen Raum und der Pfalz stammen, sondern Datteln, mit denen die Franzosen ihre Nachbarn in rauen Mengen versorgten. Nach einem Schlenker in die Geschichte des Bergbaus und damit dem Ursprung der deftigen saarländischen Kost fand Bungert noch mal zur eigenen Person zurück: "Das einzige Heimweh, das ich kenne", meinte der Vielreiser, der seit der Jahrtausendwende mit Ehefrau Roswitha in Südfrankreich und winters auf Gran Canaria lebt, "ist kulinarisch". Stattet er der alten Heimat einen Besuch ab, führt kein Weg an der Stammrostwurstbude vorbei. Seine Standardbestellung: "Ich hätt' gäre e Weißi, gudd braun, awwer net so schwarz wie die Rood do hinne." Mit dieser Lektion in saarländischer Farbenlehre entließ der Autor sein aufmerksames, applaudierfreudiges Publikum zu Buffet und Grubenfrühstück - fast auf den Schlag 12 Uhr, denn dann "gebbt gess".

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