Ansage auf Anrufbeantworter Tierarzt aus Kreis Neunkirchen redet sich in Rage – und wird vom rechten Rand gefeiert

Neunkirchen · Ein Tierarzt aus dem Landkreis Neunkirchen geht in den Urlaub und schaltet eine Abwesenheitsansage auf dem Anrufbeantworter. Darin wettert er gegen die Politik. Seine Nachricht verbreitet sich rasend, erreicht Hunderttausende – und bringt ihm Applaus vom rechten Rand ein.

 Ein Tierarzt aus dem Landkreis Neunkirchen redet sich auf seinem Anrufbeantworter in Rage (Symbolbild).

Ein Tierarzt aus dem Landkreis Neunkirchen redet sich auf seinem Anrufbeantworter in Rage (Symbolbild).

Foto: picture alliance / dpa/dpa Picture-Alliance/Peter Kne

Der beliebte saarländische Tierarzt ist aktuell nicht zu erreichen. Seine Praxis im Landkreis Neunkirchen hat seit Mitte Januar geschlossen. Auf seinem Anrufbeantworter informiert er über seine Vertretung.

Ansage auf Anrufbeantworter von Tierarzt aus Neunkirchen geht viral

Doch die Nachricht ist mehr als nur eine Abwesenheitsnotiz. „Bitte legen Sie nicht auf und hören diese Ansage bis zum Schluss“, ermahnt der Tierarzt die Anrufer gleich zu Beginn. Und der Aufforderung sind inzwischen Hunderttausende gefolgt – weit über die Grenzen des Saarlandes hinaus. Für seine folgende Tirade erhält der Tierarzt dabei auch Applaus vom rechten Rand.

Die knapp dreiminütige Nachricht ist seit einiger Zeit auf dem Nachrichtendienst Whatsapp im Umlauf. Als Audiodatei ist sie dort mit der Information „häufig weitergeleitet“ versehen. Auch auf dem Videoportal Youtube ist die Aufzeichnung verewigt und bereits tausendfach aufgerufen.

Tierarzt aus Neunkirchen wettert gegen „Politikerkaste“

Der Tierarzt beginnt darin zunächst wie gewohnt mit den Kontaktdaten seiner ihn vertretenden Kollegen. Er nennt Name, Ort, Telefonnummern. Doch was er dann als „kleine Anmerkung am Schluss“ ankündigt, wächst sich zu einer Generalabrechnung mit gesellschaftlichen Entwicklungen und der Politik in Deutschland aus, von denen der Mann offenbar wenig hält.

Nachdem er zunächst über Personalengpässe spricht, unter denen viele Branchen zurzeit leiden und wegen derer er seine Praxiszeiten reduziert habe, kommt der Tierarzt auf die große Politik zu sprechen. Deutschland sei „finanziell, moralisch und politisch pleite“, so sein Fazit. Technologisch habe das Land den Anschluss verloren. Dennoch leiste man sich eine „Politikerkaste“, so der Mann pauschalisierend, die es nicht könne oder wolle. Die „gern auch ohne Ausbildung“ sei und teils „divers, non-binär“, spottet er.

Sarkastischer Dank an „Annalena, Robert, Olaf“

Der Tierarzt wirft Politikern vor, trotz in seinen Augen großen Problemen wie „ungezielter Migration“ lieber über „Regenbogen“, „Diversität“, „kulturelle Aneignung“ und „veganes Essen“ zu „labern“. Im Anschluss unterstellt er dem Staat, Geld herauszuschleudern „für Menschen, die uns nicht mögen und verachten und abkassieren“. Konkret wird er dabei nicht.

Womöglich um jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die seine Bandansage nicht gutheißen, wirft er ihnen selbst Generalverdacht vor: Wer Kritik ausspreche, werde gleich als Reichsbürger, Nazi, AfDler oder Covidiot tituliert, behauptet er. Er beendet sein fast dreiminütiges Statement mit einem sarkastischen Dank an unter anderem „Annalena, Robert, Olaf“ für „betreutes Denken“.

Umstrittener Blogger Boris Reitschuster lobt den Tierarzt

Seine wortreiche Tirade bringt dem Tierarzt viel Zustimmung im Internet ein. Der Blogger Boris Reitschuster verschriftlichte die Anrufbeantworter-Ansage und veröffentlichte sie mit lobenden Worten (“bestechend, ja mitreißend“) auf seiner Website. „Sie steht derart für sich selbst, dass ich ihr gar nichts mehr hinzufügen will – sondern sie einfach für Sie hier wiedergebe“, schrieb Reitschuster an seine treuen Leserinnen und Leser gerichtet.

Reitschuster war bis 2015 Focus-Korrespondent in Moskau. Er betreibt einen eigenen Youtube-Kanal sowie einen umstrittenen Blog. „Er erhebt den Anspruch, dort Informationen zu verbreiten, die von etablierten Medien unterdrückt würden“, schrieb die Süddeutsche Zeitung 2022 über Reitschuster. In der Corona-Pandemie erhielt er viel Zulauf und wurde zu einem der „wichtigsten Verschwörungsmultiplikatoren“, wie Netzexperte Sascha Lobo im Spiegel schrieb. Auch andere Medien sehen eine Nähe zur Querdenker-Szene, ordnen Reitschusters Blog als rechts oder rechtskonservativ ein.

Dritterfolgreichster Beitrag in den sozialen Netzwerken in Deutschland

Reitschuster hat auf Youtube, Twitter und Telegram jeweils mehrere Hunderttausend Follower. Sein Artikel über den Tierarzt aus dem Landkreis Neunkirchen verbreitete sich rasend. Reitschuster postete auf Twitter einen Screenshot des etablierten Online-Dienstes „10000 Flies“, der analysiert, welche Texte in sozialen Netzwerken in Deutschland Verbreitung finden. Reitschusters Artikel über den Tierarzt war demnach am 25. Januar der News-Artikel mit den drittmeisten Likes und Shares in Deutschland. „Vor Spiegel, Bild, FAZ etc.“, freute sich Reitschuster.

Vielen Reitschuster-Lesern gefiel die Tirade des Tierarztes offenbar, wie ein Blick in die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke zeigt. Auch auf Google erhielt die Praxis des Tierarztes zwischenzeitlich Hunderte positive Bewertungen innerhalb von nur einer Woche, großteils wohl von Usern, die die Praxis noch nie von innen gesehen haben und vielmehr in den Kommentaren ihre Zustimmung für die Anrufbeantworter-Ansage ausdrückten. Mittlerweile hat Google die auffällig vielen Fünf-Sterne-Rezensionen aus der jüngsten Vergangenheit wieder gelöscht.

Die SZ hätte den Tierarzt gern gefragt, was er zu dem Applaus vom rechten Rand sagt und ob er weiter hinter seiner Wortwahl steht. Doch der Mann war für die SZ-Redaktion nicht zu erreichen. Seine Bandansage hat keine Anrufbeantworter-Funktion. Eine Nachricht per E-Mail blieb unbeantwortet.

Update: Einige Tage nach Veröffentlichung des Artikels hat der Tierarzt sich nun an die SZ gewandt. „Wie die nummerische Anzahl der Aufrufe zeigt, liege ich nicht so falsch und die so große Reaktion zeigt doch auch Ihnen (...), dass die Menschen das genauso empfinden“, teilte er am 4. Februar in einem schriftlichen Statement mit.

Dass ein Unbekannter seine Ansage ins Netz stelle, sei nicht seine Intention gewesen. Er habe sich an die Anrufer der Praxis richten wollen. Den Artikel der SZ kritisierte er: „Sie unterstellen mir in Ihrem Artikel aus Ihrer Wohlfühloase in herablassender Weise Rage und rechter Rand. Dem ist nicht so. Nichts liegt mir ferner. Ich bin parteilos.“

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