Inklusion auf „Augenhöhe“ gefordert Barrieren bremsen noch in allen Bereichen
Die Probleme Körperbehinderter im Alltag werden von gesunden Menschen viel zu oft übersehen.
Am 5. Mai finden zum 30. Mal bundesweit Aktionen zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen statt. Was ist in der Region geplant?
Annette Pauli: In Saarbrücken findet ein Protestmarsch durch die Innenstadt zum Landtag des Saarlandes und eine Abschlusskundgebung vor dem Rathaus Saarbrücken statt. Veranstalter ist der Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) Saarland. Eine weitere Kundgebung steht unter der Federführung der Lebenshilfe Saarbrücken am Landwehrplatz.
Die Landesvereinigung Selbsthilfe fordert die Umsetzung der Inklusion „auf Augenhöhe“. Was ist damit gemeint?
Pauli: Inklusion bedeutet Selbstvertretung in allen gesellschaftlichen Bereichen, also die gleichberechtigte Beteiligung Betroffener, Angehöriger und der Interessenvertretungen in Entscheidungsgremien. Außerdem muss Teilhabe gesichert sein – immer und überall.
Was muss im Bereich Bildung passieren?
Pauli: Inklusive Schule ist eine Schule für alle. Dies bedeutet: keine Ausgrenzung und Ablehnung von Schülerinnen und Schülern. Gestaltung der Curricula abgestimmt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse. Ein individuelles Lernangebot und die Gestaltung des Lernraums erfordern Veränderungen in der Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen und der sachgerechten Ausstattung der Schulen.
Wie kann Gleichstellung am Arbeitsplatz erreicht werden?
Pauli: Durch Gestaltung der Arbeitsplätze und die Abstimmung über Arbeitsaufträge und Arbeitsbedingungen. Außerdem erforderlich: die Bereitstellung der notwendigen Ausstattung und einer Arbeitsassistenz nach persönlichem Bedarf und die Anpassung der Strukturen der Eingliederungshilfe auf diese Bedarfe. Geeignete Weiterbildung, Ausbau der barrierefreien Angebote in dem Bereich der Erwachsenenbildung sind ebenso dringend notwendig wie die Sicherstellung der Mobilität zum Erreichen des Arbeitsplatzes. Die Unterstützung und Begleitung der Arbeitgeber stärkt die Bereitschaft zur Schaffung geeigneter Arbeitsplätze.
Wo sehen Sie noch Defizite im Öffentlichen Personennahverkehr?
Pauli: Hier sollte man zwischen Bussen und schienengebundenem ÖPNV unterscheiden: im Busverkehr ist das Problem der Zugänglichkeit, auch trotz Niederflurtechnik, Lücken bestehen im Ausbau der Haltestellen. Im schienengebundenen Nahverkehr ist die durchgehende Nutzbarkeit der Bahnsteige eingeschränkt, ebenso wie die Zugänglichkeit durch defekte Aufzüge mit zum Teil sehr langen Reparaturzeiten. Barrieren gibt es in Orientierungssystemen, Verständlichkeit der Ansagen und der Lesbarkeit von Fahrplänen.
Wo finden Familien Unterstützung, die ein Kind mit Behinderung haben?
Pauli: Im Zentrum stehen die Angebote der Selbsthilfeverbände, die von betroffenen Familien gegründet wurden, um sich über Unterstützungsmöglichkeiten auszutauschen, bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln und Ansprechpartner zu bieten. Die Informationen hierzu sind über die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (KISS) zu erhalten. Als weiteres Beratungsangebot steht Familien die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) zur Verfügung, in verschiedenen Trägerschaften mit insgesamt 7 Stellen in allen Landkreisen.