Gastbeitrag der Angehörigen Frau in Ottweiler erschossen: Hier meldet sich die Familie des Opfers zu Wort

Ottweiler · Ein Mann erschießt in Ottweiler eine 78-Jährige und sich selbst. Auch den Begleiter der Frau, die dem 51-Jährigen eine Absage für eine Mietwohnung überbrachte, verletzt er lebensgefährlich. Die Angehörigen der Getöteten erinnern in einem Beitrag in unserer Zeitung an ihre Mutter, Großmutter, Schwiegermutter. Die SZ veröffentlicht den Beitrag im Wortlaut.

Großeinsatz in Ottweiler: Zwei Tote nach Schießerei​
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Großeinsatz in Ottweiler: Offenbar zwei Tote nach Schießerei

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Foto: BeckerBredel

Unsere Mutter, unsere Großmutter, unsere Schwiegermutter

Wie fühlt es sich an, wenn ein Mensch, den man sehr liebt, erschossen wird? Seit letztem Freitag weiß ich es. Seit letztem Freitag wissen meine Kinder, wie es sich anfühlt, die eigene liebevolle Oma durch ein Gewaltverbrechen zu verlieren. Seit letzten Samstag kennt meine Frau das tiefste Dunkel der Worte der sachbeschreibenden Obduktionsergebnisse: „Ihrer Mutter wurde ins Gesicht geschossen.“

Kaum vom Schock erwacht und zur Kompensation der tiefen Trauer begann meine Frau am Samstag, sich bis halb zwei Uhr Nacht gegen Kommentare in einer virtuellen Welt zu stemmen, in der sich Menschen allein aufgrund eines Wortes aus den Medien, wie beispielsweise ‚Vermieterin‘, zu Kommentaren haben hinreißen lassen wie beispielsweise: „Na ja, wenn die Vermieterin dem armen Mietinteressenten, dem sie Hoffnungen gemacht hat, auch mit der Absage auf die Pelle rückt …“.

Mein Reflex war es, sie vor alledem zu schützen – aber in den Augen meiner stolzen Ehefrau spiegelten sich ihre Worte wider: „Ich lasse es nicht zu, dass das Andenken meiner Mama, die nie jemanden etwas getan hat und für alle Menschen da war, so beschmutzt wird. Wenn jemand all diese falschen Schlussfolgerungen liest, und dort etwas hängen bleibt – ich will das einfach nicht!“

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass meine Schwiegermutter und ein guter Freund von ihr unschuldige Opfer dieser nicht fassbaren Gewalttat wurden? Warum waren sie und er dort, in der Wohnung eines Menschen, der sie ohne Skrupel und Hemmungen grundlos erschossen hat?

Sie hätte nicht dort sein müssen. Sie selbst hatte den ‚Mietinteressenten’ niemals ein Mietangebot gemacht, geschweige denn einen Mietvertrag mit ihm abgeschlossen. Sie selbst hatte das Ehepaar bis zu diesem Moment des Gewaltausbruchs noch nicht einmal gekannt. Als sie erfahren hat, dass der ‚Mietinteressent’ (verzeihen Sie – ich sollte ex ante Mörder schreiben) von einem Mietanspruch ausging, tat sie das, was anständige Menschen nun mal tun: Sie fahren zu demjenigen hin, um alles zu klären.

Der Großmutter meiner Kinder wurde ihr liebes Wesen letztlich zum Verhängnis. Sie sollte diesen Besuch nicht überleben. Aus dem Leben gerissen auf unvorstellbare Weise.

Ich bin in Gedanken zugleich bei dem Freund meiner Schwiegermutter, der zweimal angeschossen wurde und zuvor mit ansehen musste, wie sie neben ihm getroffen zusammensinkt.

Seit Montag weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn die Presse (zunächst) in objektiven Worten versucht zu erklären, was für ein ‚schweres Leben’ der Täter doch hatte. Ich fühle jetzt noch den imaginären Schlag des nassen Handtuchs im Nacken. Mein Verstand versteht, dass es nur journalistische Arbeit ist und alle fassungslosen Menschen und Zeitungsleser nach Antworten auf unvorstellbare Fragen ringen. Vermeintlich müssen hierzu die Hintergründe des Täters durchleuchtet werden – aber wo sind die Worte für das Leben des Opfers?

Eine Frau, die in ihrem Leben schwerste Schicksalsschläge verkraften musste, an denen viele andere mit Sicherheit zerbrochen wären. Diese Frau habe ich nur als äußerst hilfsbereite, sehr liebevolle und wunderbar humorvolle Mutter und Oma erlebt. Sie war ein bescheidener, geselliger, offener und zugleich unendlich bodenständiger Mensch – mit dem Herz stets am rechten Fleck.

Den Bekannten von ihr, der sie an diesem schwärzesten aller Freitage begleitet hat, kenne ich nicht persönlich, aber das Mitgefühl meiner ganzen Familie ist bei ihm. Er hat mit schweren Wunden diesen Tag überlebt.

Im Falle eines natürlichen Todes meiner Schwiegermutter hätten wir – die Familie – hier in dieser Zeitung nur eine Traueranzeige geschaltet. Wir hätten uns gewünscht, nie diesen Brief einer inneren Stimme folgend schreiben zu müssen.

Kein Schatten ohne Licht:

In tiefster Nacht waren enge Freunde und Familienangehörige bei uns, die uns aufgefangen haben.

Edeltrud, Du hättest Dich so sehr gefreut zu sehen, wie viele liebevolle Menschen in unserer Trauer um Dich bei uns waren. Du wirst uns ewig in Erinnerung bleiben. Wir lieben Dich.

P.S: Jeder Mensch hat das Recht, sich eine Meinung zu bilden über Dinge, von denen er nur Fragmente kennt. Jedem Menschen – uns eingeschlossen – wünschen wir zugleich die Kraft, diese Meinung im Spiegel des eigenen Herzens zu betrachten.

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