Spielstark-Preisverleihung in Ottweiler Erster Platz für ein Stück zum Nachdenken

Ottweiler · Spielstark-Theaterpreis ging an die Grazer Formation „Follow the Rabbit“ für ihr Jugendstück „Mongos“. Gelungener Ausklang mit „Shut up“ der Überzwerge.

 Für die ausgezeichnete Theatergruppe „Follow the rabbit“ holte Nuri Yildiz (2. von links) den Theaterpreis mit nach Graz, hier im Kreis der Jurymitglieder.

Für die ausgezeichnete Theatergruppe „Follow the rabbit“ holte Nuri Yildiz (2. von links) den Theaterpreis mit nach Graz, hier im Kreis der Jurymitglieder.

Foto: Anja Kernig

Spielstark. „Sehr, sehr cool. Vielen Dank.“ So ein bisschen fehlten Nuri Yildiz die Worte, als ihm die Jury im Foyer des Schlosstheaters den Spielstark-Theaterpreis 2021 für „Mongos“, „das übermütige und zugleich sanfte Stück“ seiner Theaterformation „Follow the Rabbit“, überreichte. Sicher vor Rührung, aber auch, weil der Schauspieler gerade vom Bahnhof rüber gesprintet war. Fast hätte die chronisch schwächelnde Deutsche Bahn den krönenden Abschluss des 20. Ottweiler Kinder-, Jugend- und Familientheaterfestivals vergeigt.

Überhaupt war es ein Schluss mit Mühen. Das ursprünglich geplante Stück „Shut up“ konnte wegen Erkrankung einer Darstellerin nicht gezeigt werden. Stattdessen sprangen die „Überzwerge“ Nicolas Bertholet und Reinhold Rolserg mit „Patricks Trick“ ein: ein mehr als vollwertiger Ersatz! Meistert Regisseurin Lejla Divanovic doch den Spagat, dem Thema Behinderung gerecht zu werden, ohne die Zielgruppe 10+ aus den Augen zu verlieren, ins Melodramatische abzugleiten oder mit Political Correctness zu langweilen.

Worum ging es? Patrick ist elf Jahre alt und wünscht sich so, so sehr einen großen Bruder. Biologisch ist das schwierig bis unmöglich, von Adoption mal abgesehen. Doch plötzlich kommt Bewegung in die Sache. Patrick belauscht ein Gespräch seiner Eltern, in der von Schwangerschaft die Rede ist. Nur seltsam, wie verzweifelt Mama und Papa sind, wie sehr sie damit hadern. Des Rätsels Lösung: Der kleine Mensch im Bauch wird mit einer Behinderung zur Welt kommen und vielleicht nie sprechen können. Doof, aber kein echtes Problem für Patrick. Dann bringt er seinem Bruder halt das Sprechen bei! Unterstützung findet er bei den unterschiedlichsten Leuten wie seinem Freund Valentin, einem kroatischen Box­trainer oder „Professor Milch“. Erzählt wird das von Patrick und seinem ungeborenen Bruder, wobei beide virtuos agierend, mehr als dutzend Personen verkörperten. Gern wäre man als Zuschauer da näher dran gewesen, um jedes Detail zu genießen. Corona verbannte das Publikum aber – diesmal noch – in den Saal, die Mimen auf die für diese Zecke überdimensionierte Bühne.

Und wenn schon, die Witze zündeten auch so. Die oft abrupten Rollenwechsel brachten angenehme Dynamik ins Spiel, unterstrichen durch viel Bewegung am, auf und vor dem stilisierten Fußballtor, das auch als Schaukel diente. Am Ende strahlten alle zufrieden, nicht zuletzt Patrick: „Ich wollte immer einen großen Bruder haben. Jetzt bin ich selber einer“ – und was für ein toller.

Womit sich die Jubiläumsausgabe von Spielstark dem Ende zu neigte. Fehlte nur noch der Preisträger. Als der endlich eintraf, erläuterten die fünf Jurymitglieder, warum der mit 1000 Euro dotierte Preis diesmal nach Graz geht. „Das Stück schaffte es mit sparsamsten Mitteln, das Publikum zu erreichen und zum Nachdenken über sich selbst und den Umgang mit anderen anzuregen. Zunächst derb, dann aber mit zunehmend leiseren und gefühlvollen Tönen, haben uns die beiden Darsteller den Spiegel der Realität vor Augen gehalten, der sich niemand entziehen kann“, so Dietmar Kempf. Mittels Rollstuhls und Krücken schlüpfen Nuri Yildiz und Jonas Werling in die Rollen zweier Krüppel, die in einer Reha-Klinik Freundschaft schließen. „Dabei überzeugten sie, ohne die Behinderungen selbst zur Schau zu stellen, auch wenn die körperlichen Einschränkungen im Stück von zentraler thematischer Bedeutung waren.“

Dagmar Wiltz fuhr fort: „Mit ihrer überwältigenden Präsenz und wenigen Requisiten gelang es den Schauspielern problemlos, uns zum Oberarzt, zum Psychologen oder der jungen Patientin Jasmin mitzunehmen. Der Einsatz eines simplen MP3-Players und die sparsam vorgetragenen, sanften Texte des Jugendlichen Francis gaben der Handlung nicht nur einen akustischen Rahmen – das Vorgetragene rührte das Herz an und brachte zum Nachdenken.“ Natürlich weiß das junge Publikum ganz gut, welche täglichen Schwierigkeiten und Fallstricke das Leben bereit hält. Der Verdienst des Preisträger-Stücks sei es aber, „nachdrücklich und doch ungekünstelt zu zeigen, dass alle Menschen von den gleichen Problemen umgetrieben werden … Herzlichen Glückwunsch!“

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